Was die Armen über uns denken
Die einen haben zum Leben zu wenig, andere kommen aus dem Hamsterrad nicht raus. Bilder von Armut können stigmatisierend wirken. Moment begnügt sich nicht, die Perspektive einfach umzudrehen.
Wenn wir Bilder von Armen in Magazinen, im Fernsehen oder bei Spendenaufrufen sehen, dann wird dort meistens eine ganz bestimmte Bildsprache verwendet: Die Blickachse geht von oben nach unten. Auch wenn die Person sitzt oder steht, ihre Augen befinden sich unterhalb unserer Blickachse – wir können auf sie hinabsehen. Denn Arme sind Opfer.
Meistens kauern Arme am Boden, manchmal reckt eine Hand empor. Es ist auch typisch, dass Arme in Situationen gezeigt werden, in denen sie warten: bettelnd, vielleicht am Tisch sitzend oder in einer Schlange stehend. Oft scheint die ganze Umgebung still zu stehen. Diesen Eindruck erreichen FotografInnen zum Beispiel, indem große leere Flächen das Bild dominieren.
So wirken die Dargestellten passiv, sie lassen ihr Schicksal über sich ergehen. Arme werden kaum als aktive HandlungsträgerInnen dargestellt, die ihre Zukunft dynamisch in die Hand nehmen.
Diese Darstellungsform – oft auch von Hilfsorganisationen angewendet, um unser Mitleid zu erregen und uns zum Spenden zu bewegen – ist stigmatisierend und kann bei den Betroffenen Scham auslösen. Niemand will arm sein. 62 Prozent der Berechtigten in Österreich nehmen ihre Sozialhilfe nicht in Anspruch. Viele wollen sich nicht deklarieren.
So gesehen kann diese Beschreibung und Darstellung von Armen auch ein Machtinstrument sein, um sie „unten“ zu halten. Die Bilder sagen uns: Arme sind VerliererInnen, sie sind nicht wie wir, die Erfolgreichen. In extremer Ausformung vermittelt diese Ideologie: Als Armer bist du selbst schuld und kannst dich auch nicht wehren, denn du bist passiv und deine Position ist am Boden. Manchmal gebe ich dir Almosen, aber nicht wenn du dich erhebst, dann bist du nicht mehr hilflos und brauchst mich nicht mehr.
Deshalb dreht MOMENT den Blick um. Mit dem Titel dieser Ausgabe “Was die Armen wirklich über uns denken” sollen die Perspektiven und Darstellungsformen selbst aufs Korn genommen werden. Stigmatisierung kann begegnet werden, indem man sich den Blickwinkel auf gesellschaftliche Phänomene bewusst macht. Und indem man Arme nicht auf ihre Situation festschreibt oder auf dieses Identitätsmerkmal reduziert. Es gibt weder „die Armen“ noch gibt es ein davon abgegrenztes „uns“.
Armut ist oft nur eine Phase und ein Aspekt im Leben von Menschen – die Grenzen verlaufen fließend. Und Armut wird immer in Relation zur näheren oder globalen Umgebung gesehen. Stigmatisierung zu bekämpfen heißt noch nicht Armut zu bekämpfen. Aber es bedeutet Achtung und Respekt gegenüber Menschen in schwierigen Lebensbedingungen.
Und die Beseitigung von unsichtbaren Barrieren, welche das Überwinden von Armut noch erschweren. Es sind nicht „die Armen“, die hier zu Wort kommen, sondern Menschen wie „Du und Ich“. Vielleicht gelten ihre Aussagen über materiellen Wohlstand trotzdem Ihnen. Schließlich liegt es an uns, den Wohlstand besser zu verteilen.