Wirtschaftsflucht: Auf nach Europa!
Michael Sematimba ist gut ausgebildet, dennoch will er nach Europa gehen. Nicht aus Hunger, sondern für ein gutes Leben. Das möchten viele. Was genau sie antreibt, weiß Patricia Karner. Eine Reportage aus Ugandas Hauptstadt Kampala. Text: Patricia Karner, Bild: Georg Hauger
"Überleben“, sagt Michael Sematimba, „reicht nicht mehr. Amerikanische Filme führen uns doch ständig vor, was wir uns alles nicht leisten können. Zumindest nicht als kleine Angestellte. Vielleicht, wenn ich für eine dieser internationalen Organisationen arbeiten würde.“ Der Absolvent der Wirtschaftswissenschaften findet es grundsätzlich gar nicht schlecht in Kampala, der Hauptstadt Ugandas, zu leben. Der Großteil seiner neun Geschwister hat studiert, seine Eltern sind aufgrund ihrer Rinderzucht und Ländereien gut situiert. „Aber“, meint der 26-Jährige, „woanders ist es vielleicht besser…, leichter.“ Deshalb hat Michael beschlossen, einen Ausweg zu suchen. Wenn sich eine Chance biete, dann werde er sie nutzen. Arbeitsmigration ist für viele ein Weg, den sie ohne sich umzuwenden beschreiten. Hinter der Migration steckt üblicherweise die Armut. In diesem Fall ist Armut aber relativ, in Uganda dominiert nicht der Kampf ums Überleben, sondern der Wunsch nach mehr. – Die Verlockung, dass es in Europa leichter und schneller möglich ist, wohlhabend zu werden, treibt die Leute an: zur Wirtschaftsflucht.
Kenias Nachbarstaat verfügt über eine relativ breite Mittelschicht. Das heißt, viele junge Menschen stehen einem knapp dimensionierten Arbeitsmarkt gegenüber. Wer findig ist, schafft sich selbst einen Job, baut sich ein Geschäft auf. Jene, denen das nötige Kapital fehlt, müssen sich unter ihren Erwartungen zufrieden geben. Vielen fällt das zunehmend schwer. Auch Michael schlägt sich von einem Job zum nächsten durch, zu einer festen Anstellung hat er es bislang aber nicht geschafft.
Bei einem Spaziergang durch das Zentrum von Kampala findet sich alles, was bislang nur aus den Medien bekannt war. Das Stadtbild verändert sich zunehmend, wird moderner, vielfältiger. Von Cineplex über Pizzeria und belgische Schokolade, alles erhältlich. Der Haken daran: eine Kinokarte, eine Pizza oder eine Tafel Schokolade kosten hier etwa das halbe Monatsgehalt einer Kellnerin, ein Viertel eines Lehrers und immerhin noch ein fünfzehntel eines Anwalts.
So wie viele in Uganda kennt auch Michael jemanden, der es geschafft hat. „Ich habe eine Cousine, die als Krankenschwester in England arbeitet. Sie hat mich eingeladen. Ich warte nur noch bis ich genügend Geld für den Flug habe.“ Die Cousine versucht, ihre Familie zu unterstützen so gut sie kann. Auch, indem sie zur Migration verhilft. So wie sie denken viele und bilden zusammen ein Netzwerk der Migration. Ohne Verbindungen bliebe den meisten der Schritt verwehrt. Dabei weiß trotzdem kaum jemand, was ihn oder sie erwartet. Europa kennt Michael nur aus Erzählungen: „Aber was ich höre gefällt mir.“ Für ihn zählt nur eins, er will Geld verdienen. „Selbst, wenn ich in Europa einen schlechten Job habe, kann ich damit reich werden. Zurück in Uganda wird mich niemand fragen, wie ich mein Geld verdient habe. Ob als Straßenkehrer oder sonst was.“
Mittelschicht migriert
Es sind nicht die Armen, sondern vor allem Mitglieder der Mittelschicht, die am häufigsten migrieren. Sie wollen ihren sozialen Status verbessern. Dafür riskiert man nicht sein Leben, viele wandern legal aus, beantragen ein Visum, folgen ihren Verwandten. Uganda ist deshalb weniger ein Land dramatischer Fluchtgeschichten als der Arbeitsmigration. Es sind lediglich die Ärmsten der Gesellschaft die zu einer lebensgefährlichen Flucht bereit sind, wie sie zumeist in westlichen Medien beschrieben werden: als blinde Passagiere in Flugzeugfrachträumen oder auf klapprigen Booten. Wer überlebt, landet oft in Abschiebelagern. Uganda ist ein verhältnismäßig wohlhabendes Land – und nur wenige teilen ein solch drastisches Schicksal. Dennoch können auch hier Menschen von Verwandten berichten, von denen sie nach dem Abschied nie wieder etwas gehört haben.
Norman Kibuuka, 45, lebt seit vier Jahren in Europa, wo er als Taxifahrer arbeitet. „Mein Bruder war der erste der ins Ausland gegangen ist. Ich dachte damals noch, dass er verrückt sei. Wie kann nur jemand seine Heimat verlassen? Heute kommt es mir vor als sei ich selbst bereits eine Ewigkeit weg. Ich habe mich schnell überzeugen lassen.“ Die Suche nach Arbeit und damit Wohlstand scheint untrennbar mit Migration verknüpft. Das Bild, das Medien zeichnen, lässt den Westen golden strahlen. Aber auch jene AusländerInnen, die das Stadtbild Kampalas entscheidend mitprägen. In schicken Autos quälen sie sich durch die Straßen und verbrauchen in teuren Restaurants an einem Abend ein ugandisches Monatsgehalt. Als DiplomatInnen und MitarbeiterInnen internationaler Organisationen und NGOs leben sie in einem elitären Kreis und vermitteln leicht den Eindruck, das sei normal. Viele UganderInnen eifern ihnen nach.
„Ich kann mich noch erinnern, dass ich mir immer gedacht habe, die Länder der bazungu (der Weißen, Anm.) müssen sehr reich sein.“, meint Herr Kibuuka. Dass in Wien Menschen auf der Strasse leben, obdachlos sind und um Essen betteln, glaubt hier in Uganda niemand. Österreich ist reich. Für Schulen und Krankenhäuser muss nicht bezahlt werden, Verkehrsampeln und Straßenbeleuchtung funktionieren, Polizei und Beamtenschaft erhalten am Monatsende pünktlich ihren Lohn. Dass dafür weniger die Großzügigkeit der Regierung als gesellschaftlicher Reichtum, Verteilungsgerechtigkeit und ein ausgeklügeltes Steuersystem verantwortlich sind, ist kaum jemandem bewusst.
„Als mein Bruder damals begann Geld zu schicken um seine Frau, die in Uganda geblieben war, zu unterstützen war mir klar, dass auch ich auswandern muss. Was hilft es wenn ich zwar bei meiner Familie bin, ihnen aber nichts bieten kann?“ Mit Hilfe seines Bruders bekam Herr Kibuuka zuerst ein Touristenvisum und blieb dann illegal im Land. „Ich bin gewohnt hart zu arbeiten und habe bald eine Stelle als Taxifahrer gefunden. Ich war früher Lehrer. Als Taxifahrer verdiene ich aber viel mehr. Den Großteil meines Gehalts schicke ich jeden Monat nach Hause zu meiner Familie. Seit ich weg bin habe ich sie nicht gesehen, aber das muss ich in Kauf nehmen.“
Auswanderung als Antwort auf wirtschaftliche Missstände ist schon lange kein reines Phänomen strukturschwacher Länder mehr. Auch Industrienationen kennen den Faktor Wirtschaftsflucht. Nur ist nicht jeder bereit Familie und Freunde zu verlassen, um in einem fremden Land einen neuen Anfang zu wagen. In Uganda planen die meisten Wirtschaftsflüchtlinge, auf Zeit zu migrieren. Immer mit dem Ziel so schnell wie möglich, nachdem das Haus gebaut und die Kinder auf gute Schulen geschickt wurden, zurück zu kommen. Und ein gutes Leben zu führen.
„In vier Jahren habe ich genug verdient um neben den monatlichen Ausgaben ein Stück Land in Uganda zu kaufen und ein Haus zu bauen. Ich habe mehr für meine Familie erreicht als ich mit dem Lebensgehalt eines ugandischen Lehrers erreicht hätte.“ ist Herr Kibuuka stolz. „Ich habe den Schritt meinem Bruder zu folgen nie bereut obwohl ich mich auf den Tag freue an dem ich nach Uganda zurück fliegen werde. Manchmal scheint dieser Tag näher als gewollt. Mein Chef weiß dass ich illegal im Land bin. Er nützt das aus, um mich zu Arbeiten zu zwingen, die meine Kollegen ablehnen. Will ich mich weigern droht er mir mit Abschiebung. Weil ich keine Rechte habe, füge ich mich. Aber ich halte das aus. Trotzdem wünsche ich mir für meine Kinder, dass sie nicht so leben müssen.“ Wenig wissen seine Familie und Freunde in Uganda darüber. Selten spricht er von den Herausforderungen und den Schwierigkeiten. Neben den Erfolgsgeschichten von im Westen reich gewordenen HeimkehrerInnen verblassen die prekären Arbeitsverhältnisse und der fehlende Respekt den viele während der Zeit im Ausland erfahren haben. So lange das Geld stimmt ist alles gut.
Kasten:
Die International Labour Organisation (ILO) schätzt, dass etwa ein Fünftel aller ArbeitsmigrantInnen weltweit afrikanischer Herkunft sind. 2025 wird eine/r von zehn AfrikanerInnen außerhalb ihrer Geburtsländer leben und arbeiten.
Ugandas Bevölkerung wird sich bis 2025 verdoppeln. An die 60 Millionen Menschen leben dann in einem Gebiet, das dreimal so groß ist wie Österreich. Etwa die Hälfte davon unter 18 Jahre alt. Durch Medien und Globalisierung geprägt erwartet sich eine junge Generation zunehmend einen ansprechenderen Lebensstil.