Taschen voller Silberscheiben
Viele sind ihm in Wien schon begegnet, aber keiner kennt ihn: den Mann mit der Einkaufstasche voll günstiger DVDs. Seine Spur aus China führt zu einem erstaunlichen Phänomen. Text: Sabine Zhang, Bild: Bernhard Kummer
Zhang Hong spaziert mit seiner Einkaufstasche durch den 7. Bezirk. Er kennt die Lokalszene gut, obwohl er nie etwas konsumiert. Er ist nicht gebildet, ist auch kein Geschäftsmann, spricht nicht einmal Deutsch. In China war Herr Zhang Bauer. Heute verkauft er auf den Straßen Wiens billige DVDs. Viele kennen ihn. Vom Sehen.
Besser als Steine schnitzen
Herr Zhang stammt aus einer nichtssagenden Gegend in Südchina. Drei Viertel aller ChinesInnen in Europa kommen von dort. Wieso das so ist, weiß niemand so ganz genau. Die Gegend heißt Wenzhou und liegt am Ostchinesischen Meer. Qingtian, wo Herr Zhang herkommt, ist eine von vielen Städten dort, mit 300.000 Einwohnern eher eine Kleinstadt. Qingtian bedeutet „Grünes Feld“. Ein trügerischer Name für einen Ort, der einmal ein karges Bergdorf war. In dem es vor allem Steine gab. So viele Steine, dass die Bauern das Kunsthandwerk des Steineschnitzens entwickelten. Aber Steine gibt es überall, dazu braucht man nicht in Qingtian zu leben.
Vor fünf Jahren ging Herr Zhang also mit seiner Frau nach Österreich. Als er beschloss, die Reise in den Westen anzutreten, lebte seine jüngere Schwester bereits in Wien. Das nutzte ihm aber nicht so recht. Zwar hatte sie ihn am Anfang ein wenig unterstützt, aber seit einiger Zeit redet er nicht mehr mit ihr. „Sie verspielt ihr ganzes Geld im Casino“, klagt Herr Zhang, „während meine Frau und ich uns abmühen, unsere Schulden zurückzuzahlen.“ Herr Zhang hat viele Schulden. 11.000 Euro verlangten die Schlepper von ihm, eine beträchtliche Summe für einen chinesischen Bauern. „Das Geld haben mir Freunde und Verwandte geliehen“, erzählt er, „in der Hoffnung, dass wir es im Westen zu etwas bringen.“ Hätte er in China zum Beispiel versucht, einen kleinen Shop aufzumachen – niemand hätte ihm etwas geborgt. Aber das Abenteuer Europa weckt in Qingtian immer noch große Hoffnungen. Viele haben es geschafft, haben ein Restaurant oder ein Geschäft eröffnet und dann ihre Verwandten nachkommen lassen. So kommt es, dass heute ein Großteil der chinesischen Lokalszene in Österreich von Bauern aus einer kargen südchinesischen Berglandschaft betrieben wird.
Noch vor wenigen Jahrzehnten war diese Gegend verkehrsmäßig nicht einmal richtig an den Rest von China angeschlossen. Die Kommunistische Partei hatte kein Interesse, in eine mögliche Vorfront Taiwans zu investieren. Notfalls konnte man die karge Gegend ja auch dem Feind überlassen. Diese Kargheit, das Desinteresse Pekings und die Lage am Meer sorgten für ein Klima der Unabhängigkeit und Orientierung nach Außen. Und so stammt heute ein Großteil der chinesischen EinwanderInnen in Europa aus einer unbedeutenden Gegend am Ostchinesischen Meer. In Qingtian hat jede/r Verwandte oder Bekannte in Europa.
150 Mio. Bauern in Bewegung
Auch Zhang Hong hat in den ersten Monaten in Wien für monatlich 500 Euro in einer Restaurantküche gearbeitet. „Aber ich habe die langen Arbeitstage, die Arbeitsbedingungen und die Unfreiheit einfach nicht ertragen. Also bin ich gegangen.“ Seither verkauft er die Silberscheiben aus den unbekannten Produktionsstätten auf Wiens Strassen – und teilt sich seinen Tag so ein, wie er es für richtig hält. Meistens schaut Zhang ernst, doch zwischendurch macht sich ganz unvermittelt ein strahlendes Lächeln breit, dass man die erfolgreich verlassenen Steinhänge Südchinas zu spüren vermeint.
Sicherheiten haben die Zhangs bei ihrem Job keine. Das Geschäft geht mal besser, mal schlechter, jeden Tag ziehen sie hoffnungsfroh so ihre Runden. Von ihren Einnahmen verbrauchen sie fast nichts. Sie sparen Schulgeld für ihre beiden Kinder, die bei den Großeltern in Qingtian leben. Dass die Kinder das Gymnasium und die Uni besuchen können, ist nur deshalb möglich, weil Zhang im Ausland ein bisschen Geld verdient. „Als Bauer in Qingtian“, erinnert er sich, „konnten wir uns gerade ernähren und das allernötigste besorgen. Deshalb möchte ich, dass es meinen Kindern einmal besser geht.“
Zhang ist nicht der einzige chinesische Bauer, der von einer rosigeren Zukunft für seine Nachkommen träumt. Chinas Landbevölkerung ist auf Wanderschaft. Derzeit leben rund 150 Millionen Bauern als Wanderarbeiter auf den Baustellen und in den Fabriken des Riesenreichs. Sie betreiben die Nahversorgung und die Abfallwirtschaft, sie ziehen Wolkenkratzer hoch. Ihre Frauen arbeiten in Haushalten, versorgen die Kinder der Städter und bauen Chips für die Elektronik-Industrie zusammen. Ihre Kinder bleiben entweder bei den Großeltern auf dem Land oder ziehen mit in die Städte. Weil sie dort aber nicht registriert sind, dürfen sie auch keine regulären Schulen besuchen. 20 Millionen Kinder von WanderarbeiterInnen erhalten deshalb keine ordentliche Schulausbildung. Wer in China auf dem Land geboren ist, der bleibt für die Behörden Eine/r vom Land. Denn ein ländliches Hukou, das ist das Melderegister, lässt sich nicht einfach gegen ein städtisches Hukou eintauschen. Daran sind aber Sozialleistungen wie etwa der Schulbesuch geknüpft. Für viele bleibt die Suche nach dem Glück in China steinig.
Die Zhangs wollen nicht ewig in Österreich bleiben, ihnen schmeckt das Essen hier einfach nicht. Zu Hause stehen Fisch und Shrimps auf dem Speiseplan, das kann man sich in Österreich gar nicht leisten. Aber dennoch können sie nicht einfach so wieder zurückgehen, schon das Schulgeld und der Unterhalt für die Eltern kosten sie 400 Euro monatlich. „Wie wir das verdienen sollen, wenn wir wieder in China sind“, rätselt Herr Zhang, „weiß ich wirklich nicht.“ Freilich lässt sich auch in Österreich nicht viel ersparen, das DVD-Geschäft läuft nicht so toll, zudem wird er immer wieder von der Polizei erwischt. Dann muss er kaum erschwingliche Strafen zahlen. Aber Zhang ist ein lauterer Mann, er vereinbart Ratenzahlungen mit der Polizei und sie schicken ihm die Erlagscheine nach Hause. Dann sagt er „Danke Österreich“ und setzt wieder ein breites Grinsen auf.