Kulturalisierte Konflikte
Wenn MigrantInnen andere MigrantInnen kritisieren, haben sie neuerdings gute Chancen, in großen Medien Raum zu bekommen. Auch ein Phänomen der Ethnifizierung von Politik. Text: Gunnar Landsgesell
Wussten Sie, dass es in Anatolien, also im Osten der Türkei, Kameltreiber gibt? Das finden Sie vielleicht noch nicht so schlimm, sofern Sie nicht die subtil angebotene Meinung teilen, dass Staaten mit solchen kulturellen Phänomenen eher nichts in der Europäischen Union verloren haben. Was aber, wenn sich diese Tierhüter in Österreich einfach zu Vorbetern ausrufen? Die Sorge über „irgendwelche Kameltreiber“, die sich hier zu Imamen ernennen, artikulierte kürzlich der erste Grüne Bundestagsabgeordnete Efgani Dönmez. Und erhielt breite mediale Resonanz. Schon war wieder der politische Islam im Spiel, das Minarett als „Symbol der Macht“, die Parallelgesellschaft und der „Deckmantel der Liberalität“. Recht neu daran ist aber, dass ein Migrant selbst diese Zitate zur Verfügung stellt. Große Medien schaufeln dafür ordentlich Platz frei.
Kulturen: Monolithische Blöcke?
Nun mögen die Reaktionen auf Efgani Dönmez’ Ansichten auseinander gehen, einige Empörung wie auch der Zuspruch von vielleicht unerwünschter Seite dürften dem Polit-Newcomer auf jeden Fall zuteil geworden sein. Interessanter ist aber, dass in jüngster Zeit MigrantInnen ganz bereitwillig Platz in Medien eingeräumt wurde, der ihnen bislang verwehrt blieb. Woran das liegt? Das wird schnell klar, wenn man sich die Themen ansieht, die ZuwanderInnen setzen dürfen. Zumeist geht es um Fragen, die keineswegs neu sind. Angelpunkt der Diskussionen ist jeweils die Forderung nach „Integration“, als deren Schanier dann die kulturelle Verfasstheit der jeweiligen Gesellschaftsgruppe verstanden wird. Großes Interesse galt unlängst der deutschen Rechtsanwältin Seyran Ates, die in ihrem Buch „Der Multikulti-Irrtum“ nicht an markigen Statements spart: Multikulti bezeichnet sie als „organisierte Verantwortungslosigkeit“ und spricht von einer fehlgeleiteten Hoffnung, dass „im Schatten des Staates verschiedene Kulturen als Einzelkulturen friedlich nebeneinander existieren können.“ Schlagworte wie diese fanden bei Ates’ Österreich-Besuch viele offene Ohren, während ihr Plädoyer für eine so genannte Transkulturalität – in der sich Kulturen zu „komplexeren“ Identitäten vermischen sollen – auf wenig Interesse stieß.
Wie auch immer, ob Trans- oder Multikulturalität, oder auch Dönmez’ Aufforderung zur kulturellen Wachsamkeit; letztlich finden MigrantInnen, die sich im Mainstream kritisch über andere MigrantInnen äußern dürfen, vor allem aus zwei Gründen Gehör. Erstens vertreten sie eine Auffassung von Kultur, die von monolithischen Einheiten ausgeht. Kulturen verhalten sich wie große Blöcke, die aneinander reiben; ein bisschen Staub bleibt am anderen hängen, letztlich wird aber immer befürchtet, dass der eigene Block zerrieben wird. Nachdem wir die Ständegesellschaft mit ihren (von Geburt her) unveränderlichen sozialen Ordnungen schon länger hinter uns gelassen haben und heute vielmehr innerhalb der (z.B. österreichischen) Gesellschaft sich ständig verschiebende kulturelle Differenzen erlebbar werden, ist das ein veraltetes und inadäquates Modell zur Erfassung der Realität. Es fragt sich: Wo bleibt der viel gerühmte Individualismus, der einzelne Mensch, in diesem kulturparadigmatischen Denken?
Soziale Konflikte: ethnifiziert
Tagespolitisch schwerer wiegt der zweite Punkt: Die Probleme, von denen MigrantInnen nun über MigrantInnen sprechen dürfen, sind keineswegs neu – NGOs versuchten in den vergangenen Jahren immer wieder, sie auf die politische Agenda zu setzen. Zum Beispiel die Forderung nach StützlehrerInnen oder nach einem Vorschuljahr. Aus Mediensicht erschienen soziale Erklärungsmuster vielleicht nicht immer „sexy“ genug. Sofern aber Seyran Ates gesellschaftliche Probleme ethnifiziert, kommt das schon einer Garantie für Öffentlichkeit gleich. Denn: Heute muss alles unter dem Blickwinkel der Kultur, der Ethnie abgehandelt werden. Dann haben auch Konservative den Diskurs auf heimatlichen Boden zurückgebracht. Und das Lamento über „den Islam“ kann weiterhin bequem in politisches Kleingeld umgewechselt werden. Ates oder auch der Grüne Dönmez werden eine unliebsame Vereinnahmung ihrer Positionen wohl oder übel in Kauf nehmen, während bislang unbekannte Persönlichkeiten die neuen medialen Räume nun auch zu nutzen wissen. So buhlt in einem Standard-Interview Emeka Assor, Gründer oder Vorsitzender des „Vereins der konservativen Migranten“ offen um ein Ticket bei der ÖVP. Die Räumlichkeiten hat sie der Initiative schon zur Verfügung gestellt.
Die Gutmenschen-Falle
Was aber steckt hinter den Multikulti-ist-tot-Sagern? Wozu auf eine Idee hinhauen, die schon seit längerer Zeit kaum noch FürsprecherInnen hat? Warum ein Gespenst für tot erklären? Das Kalkül ist recht einfach: Wer sich in der politischen Auseinandersetzung als gesellschaftliche Mitte präsentiert, ist mehrheitsfähig. Dafür ist es wichtig, Positionen links von der eigenen zu finden oder erfinden, und schon lässt sich postulieren, dass Religion politisch nicht missbraucht werden darf oder Toleranz auch Grenzen hat. Die Kulturalisierung sozialer Probleme hat Hochsaison, das Gespenst des Kulturkampfs geistert derart munter durch die Medien. Wer heute die Ethnisierung von Kriminalität in Frage stellt und auf die soziale und ökonomische Dimension verweist, hat schlechte Karten. Dem wird schnell mit dem Vorwurf der Naivität oder Realitätsverweigerung gekontert. Die ethnische Karte sticht so gut wie nie zuvor.
Tatsächlich aber erleben wir heute Probleme im Schulbereich oder am Arbeitsmarkt, auf die die Linke jahrelang hingewiesen hat. Ziemlich erfolglos. Einerseits verwies die schwarz-blaue Regierung in den vergangenen Jahren auf Sparpläne und kürzte sogar noch Lehrkräfte. Andererseits eint eine sachpolitische Lösung die politischen Lager weit weniger wie ein gemeinsamer Feind. Gewissermaßen als nächster Schritt im Kulturalisierungsprozess sozialer Probleme treten nun also auch MigrantInnen gegen MigrantInnen quasi als unbestechliche ZeugInnen auf. In einer Tageszeitung richtet eine Mitarbeiterin der migrantischen Jugend-Illu „Biber“ZuwanderInnen aus, sie sollten ihre Aufmerksameit doch lieber auf gute Bildung statt auf Statussymbole richten. Das ist nicht ganz falsch, Bildung bringt einen sicherlich weiter als ein Spoiler am Auto oder ein Sneaker von Nike. Das Problem ist vielmehr das pauschalisierende Bild: es wird der Eindruck geweckt, dass MigrantInnen grundsätzlich an Bildung desinteressiert sind. Zudem: Würde die Tageszeitung auch auf die Idee kommen, ÖsterreicherInnen mit einem kulturalistischen Ansatz erklären lassen, dass sie statt dem fetten Auto oder dem noch fetteren Fleisch besser ihre Zeit in einen Ausbildungskurs stecken sollen?