Fit mach mit
Shoppen ist lustig, aber wählen gehen macht keinen Spaß – bei der Auswahl! Bloß, die Politik ist so, wie sie ist, weil die Menschen apathisch sind. Und die Menschen sind apathisch, weil die Politik ist, wie sie ist. Ein Teufelskreis, den man nur mit weitreichenden Beteiligungsmodellen durchbrechen kann.
Text: Robert Misik, Bild: Karin Wasner
Die Wahlen sind vorbei und das ist gut so. War ja schwer genug, sich da jemanden auszusuchen. Da ist ja nun wirklich niemand, der einen begeistern könnte. Eine politische Kraft, politische Ideen, für die man sich noch mit Leidenschaft engagieren würde? Ich bitte Sie! Inhaltlich sklerotisch, versuchen die Parteien krampfhaft ein, zwei Programmpunkte mit Hilfe von PR-Agenten unter die Leute zu bringen. Mehr können sie ohnehin nicht hoffen, als dass ein Slogan hängen bleibt. Verkaufen sich wie Seife. Das Publikum merkt’s und wählt, wenn es denn wählt, das kleinere Übel.
We are all politikverdrossen, now. Da lässt man sich gerne von der „Obamania“ anstecken: Ein Politiker, der wenigstens noch etwas verkörpert, der noch Hoffnungen zu mobilisieren vermag. Leider kandidiert der der ein paar Tausend Kilometer westwärts. Ach, wär’s schön, wenn es so einen auch hier gäbe.
Demokratie = Apathie?
Aber liegt es vielleicht nicht nur an „den“ Parteien? Womöglich liegt es an einer großen Apathisierungsmaschine, die man formelhaft so beschreiben könnte: liberale, repräsentative Demokratie plus konsumistische Mentalität plus Neoliberalismus. Das ergibt ein fatales Knäuel. Die repräsentative Demokratie hat ihre Vorzüge: Sie funktioniert relativ einfach. Man wählt alle vier Jahre ein Parlament (und dazwischen noch ein paar Mal auf niederer Ebene) Menschen, die sich stellvertretend um die öffentlichen Dinge kümmern. Diese „vermittelte“ Politik zähmt auch den politischen Eifer. Wer die Tyrannei der Mehrheit oder die Despotie des „gesunden Volksempfindens“ fürchtet, wird die repräsentative Demokratie nicht schlechtreden wollen.
Ein direkterer Zugriff des Volkswillens auf die Gesetzgebung würde womöglich ganz schnell zur Einführung der Todesstrafe führen. Eine kleine „Krone“-Kampagne würde wohl reichen. Aber sie hat auch ihre Nachteile: RepräsentantInnen kümmern sich um das Öffentliche, die BürgerInnen dürfen ungestört ihren Privatangelegenheiten nachgehen. Grassierender Privatismus ist da nicht überraschend. Vor allem, wenn noch ein paar Dinge dazu kommen: Früher waren die politischen Lager mehr als temporäre Meinungsgemeinschaften, sie waren „Gesinnungsgemeinschaften“, die die gesamten Lebenswelten strukturierten. Man war über das Parteileben politisch aktiviert. Das ist heutzutage nur mehr in Einzelfällen so. Gleichzeitig kolonisierte der Konsumkapitalismus alle Lebenswelten, und der ist nicht nur ein ökonomisches System: Er ist eine Schule des Sehens, er bildet unseren Habitus, prägt unsere Mentalitäten. So betrachtet man auch die Politik wie den Warenmarkt.
Man wählt die Marke, die einem am besten zusagt, und die wird, wie Autos oder Turnschuhe, vom Marketing modelliert.
Heißt: Mit einem Image versehen, einer unique selling proposition. Und zu all dem kommt noch die ideologische und praktische Ordnung des Neoliberalismus hinzu, die grob gesprochen auf eines hinausläuft: Politik soll sich zurück halten. Sie soll vor allem die Unternehmen nicht beim Unternehmen stören. Allerdings soll sie ein offenes Ohr für „die Wirtschaft“ haben. Die BürgerInnen privatisieren, aber die Wirtschaftslobbys sind natürlich ins tagtägliche Regierungsgeschäft involviert. Was die BürgerInnen wünschen könnten, es zerschellt dann an „den Sachzwängen“. All dies zusammen gibt dann ein politisches Knäuel, in dem sich Demokratie auf Apathie reimt.
BürgerInnen aktivieren. Aber wie?
Was tun dagegen? Kann man dagegen überhaupt etwas tun? Da naheliegende Antwort ist natürlich: die Parteien müssen profilierter werden. Wer konzise, überzeugende Ideen vorlegt und authentisch sichtbar macht, dass er/sie sich für diese selbst begeistert, wird auch andere für seine Ideen begeistern können. Nichts ist so tödlich wie das Konsensgewabere der Mittelweggefährten aller Coleur, dem sich an den Rändern das Radau-Spektakel der Ressentiment-Politik zugesellt. Beides sind zwei Seiten einer Medaille: Der rechte Populismus ist nur die Maskerade von Konfliktpolitik unter der Ägide des Konsenswahns, aber er ist vor allem Symptom des Unbehagens an dem Konsenswahn. Womöglich greift auch dieser „Lösungsvorschlag“ zu kurz: Profiliertere Parteien, die das politische Publikum zu fesseln vermögen, ändern nichts an der konsumorientierten Politik. BürgerInnen bleiben KonsumentInnen, bloß, dass sie mehr Begeisterung für das Produkt aufzubringen vermögen, das ihnen angeboten wird. Aktivierung ist das noch keine.
AnrainerInnen machen mobil
So werden Partizipationsmodelle – jetzt übrigens auch schon seit zwanzig, dreißig Jahren – als Königsweg vorgeschlagen. Sie klingen meist utopisch und fade-realistisch zugleich: Utopisch, weil sie vom Phantasieideal aktiver BürgerInnen getragen werden, die sich nach Feierabend im Gemeindesaal versammeln und dort basisdemokratisch die Dinge beraten und entscheiden, die sie alle angehen. Und fade-realistisch, weil sie sich dann mit so bedeutenden Fragen wie Parkbegrünung, dem Bau von Tiefgaragen oder ähnlich elektrisierenden Dingen herumschlagen. Zusammen ergibt es einen Kurzschluss: Die BürgerInnen, noch dazu wenn sie sich den Passivismus antrainiert haben, werden ihre Freizeit nicht im Bürgerhaus versitzen. Wenn sie einmal kommen, dann meist kein zweites Mal mehr, auch, weil die Dinge, die man ihnen im Nahbereich zu entscheiden erlaubt, ziemlich irrelevant sind.
So können diese kleinen Trippelschritte partizipativer Beteiligung im Extremfall sogar undemokratisch sein: eine Handvoll AktivistInnen, die sich aus irgendeinem Spezialinteresse für (oder meist gegen) eine Sache engagieren, finden Gehör im Übermaß.
Pointiert gesprochen: Die 17 AnrainerInnen, denen man die Tiefgarage vor das Fenster bauen will, bestimmen, dass sie nicht gebaut wird – da sie logischerweise die einzigen sind, denen sie so wichtig ist, dass sie auch zur Versammlung kommen. Und wenn tatsächlich einmal die große Mehrzahl der BürgerInnen antanzt, wie das in kleinen Kommunen gelegentlich vorkommt, dann ist das demokratische Element doch äußerst unterentwickelt: Schon bei Themen wie dem Bau eines neuen Abwasseraufbereitungssystems sind die technologischen Fragen so komplex, dass die Mehrheit letztendlich den Ratschlägen der „ExpertInnen“ folgt – der Ingeneure und Baumeisterinnen (die freilich auch ihre Eigeninteressen haben).
Partizipative Budgetpolitik
Und was die etablierte Politik betrifft, so schlagen, ach, zwei Seelen in ihrer Brust. Einerseits weiß sie, dass BürgerInnenbeteiligung ihr einen Teil jener Legitimation zurückgeben kann, die sie durch niedrige Wahlbeteiligung und allgemeinen Politikverdruss verloren hat. Andererseits erschwert Partizipation auch „die Politik“ im Sinne von geschäftsmäßiger Verwaltung. Routinierter Technokratismus geht dann nicht mehr so einfach. Nicht selten werden Beteiligungsmodelle erst eingeführt und dann wieder abgeschafft. Meist sterben sie einen der stillen Tode, den geübte Handhabe der Geschäftsordnung herbeizuführen vermag.
Eine Lösung für all diese Dilemmata besteht letztlich nur darin, die BürgerInnen viel weitgehender in die Regierung zu involvieren, also zu einer regelrechten Selbstregierung zu kommen. Das weltweit leuchtendste Exempel ist dafür die partizipative Budgetgesetzgebung, die die südbrasilianische Stadt Porto Alegre einführte und nun schon seit Jahren praktiziert. Die BürgerInnen stellen im Rahmen des „Orcanamento Participativo“ die Prioritäten des Haushalts selbst auf und kontrollieren, ob Bürgermeister und Stadtrat sich auch daran halten. Ein Modell, das auch in Europa bereits Nachahmung findet, wenngleich noch etwas vorsichtig.
In Spanien experimentiert die Stadt Rubí bei Barcelona mit der partizipativen Budgetgesetzgebung, in Deutschland haben diverse Kommunen Modellversuche gestartet – die Stadt Emsdetten etwa, Hamm in Westfalen, Hilden, und Castrop-Rauxel. Was an solchen Partizipationsmodellen faszinierend ist, liegt auf der Hand: die BürgerInnen bestimmen über das Herzstück der Politik mit. Sie müssen sich tatsächlich Gedanken darüber machen, welche Entwicklungsrichtung ihr Gemeinwesen einschlagen soll und sie müssen das auf verantwortungsvolle Weise tun. Gelder, die in ein Politikfeld fließen sollen, fehlen in einem anderen. Jeder ist betroffen – und damit auch potentiell interessiert -, nicht nur unmittelbare Anrainer. Aber auch die Politik wird sich sukzessive verändern. Sie muss die komplizierte Budgettechnik so darstellen, dass sie verständlich wird. Die politische Sprache tendiert ja im Zeitalter des ExpertInnentums dahin, die Dinge möglichst kompliziert darzustellen (weil eine bestimmte Art zu sprechen als Kompetenzausweis gilt), ab nun sind die Incentives andere.
Gefordert ist plötzlich: die wesentlichen Punkte so darzustellen, dass darüber vernünftig befunden werden kann. Die etablierte Politik hat aber, insbesondere in Zeiten leerer Kassen, auch ein paar Vorteile.
Apathische BürgerInnen geben, wenn gespart werden muss, ressentimentgeladen „den Politikern“ die Schuld. Involvierte BürgerInnen wissen selbst, was mit beschränkten Ressourcen möglich ist. So haben in Emsdetten die BürgerInnen darüber zu entscheiden gehabt, welche Maßnahmen getroffen werden sollen, damit der Haushalt ausgeglichen wird: Kürzungen bei Personal, bei Gebäudeunterhaltung, bei Kultur oder Sport? Sollen Rücklagen aufgezehrt werden? Die Steuern erhöht oder Kredite aufgenommen oder städtische Gebäude verkauft werden? Man entschied sich für letzteres.
Eine Frage der Ressourcen
Gewiss, das ist ein bisschen BürgerInnenbeteiligung in der Not, die der Neoliberalismus geschaffen hat. Und es ist auch bei weitem nicht die deliberative Beteiligungs-Demokratie der griechischen Agora. Bis zu der ist es ein weiter Weg, und gerne ist zu hören, dass es erst eine Bildungsoffensive bräuchte, zudem Zugang zu Ressourcen, mindestens ein Laptop für alle und höchstens einen Fünf-Stunden-Arbeitstag, damit die BürgerInnen fähig sind, sich selbst zu regieren. Nur ein Hinweis: Nie war das Bildungsniveau so hoch wie heute, nie war das Niveau der Politik so niedrig wie heute. Also, der Zusammenhang zwischen Wissen und Qualität einer Demokratie ist kein so simpler. Wo die Leidenschaft existiert, sich für eigene Belange einzusetzen, folgt das nötige Wissen schon auf den Fuss.
Besser handeln
Eher ist schon eine komplizierte Frage, wie man zu einer lebendigen Demokratie noch kommen soll mit BürgerInnen, die bereits weitgehend apathisiert sind. Insofern ist eine partizipative Demokratie, in der alle auf allen Ebenen der Gesellschaft mitbestimmen und sich mitverantwortlich für das Gedeihen eines Gemeinwesens fühlen, eine Utopie. Wer darüber auch nur nachdenkt, dem ist der Spott der kaltschnäuzigen RealistInnen sicher, die gerne über „PhantastInnen“ lachen. Aber noch als unerreichbares Ideal hat eine solche partizipative Demokratie ihren Nutzen, wie Colin Crouch in seinem heftig diskutierten Buch „Postdemokratie“ schreibt: schließlich sei es wichtig, „die Frage zu stellen, wie unser Handeln sich zu einem bestimmten Ideal verhält, denn nur dadurch haben wir die Möglichkeit, in Zukunft besser zu handeln.“