Wo Energie fliesst
Die Gesellschaft ist wie eine Pokerrunde
Die Rede über politische Partizipation ist schön und gut. Wie aber stehen überhaupt die Chancen auf Beteiligung? Harald Katzmair, renommierter Netzwerkanalytiker, über ein hermetisches System namens Österreich. Interview: Ernst Pohn
Herr Katzmair, es heißt immer wieder: BürgerInnen sollen sich doch an politischen Prozessen beteiligen. Es stellt sich die Frage: Ist Mitsprache ohne ein Netzwerk überhaupt möglich?
Die Frage ist berechtigt. Es ist eine Tatsache, dass selbst das größte persönliche Potenzial nichts bringt, wenn es nicht genutzt und umgesetzt werden kann. Dazu sind Beziehungen notwendig.
Das klingt leicht. Was braucht es denn, um zu solchen Beziehung zu kommen?
Es geht darum, für jemanden so interessant zu sein, so dass diese Person etwas mit mir zu tun haben möchte. Wir haben nur begrenzte Zeit zur Verfügung um Beziehungen zu pflegen, das sind am Tag etwa 14 bis 15 Stunden. Für diese Zeit müssen wir entscheiden, mit wem wir sie verbringen wollen.
Macht geht oft von Netzwerken aus, wie wird man für sie interessant?
Netzwerke sind nichts anderes als Verbindungen, in denen Energie fließt, also ein Austausch von Information, Wissen oder Gütern stattfindet. Dieser Fluss basiert auf Ungleichheit, bei völliger Gleichheit wäre kein Austausch möglich. Für die Teilnahme an einem Netzwerk ist es deshalb wichtig, dass man etwas zu geben hat. Ich stelle mir die Gesellschaft gerne wie Pokerrunden vor, in denen ein bestimmter Eintrittspreis zu bezahlen ist. Wer arm ist oder nichts zu geben hat, muss draußen bleiben.
Ist das politische Netzwerk in Österreich auch so beschaffen?
Das große Problem in Österreich liegt darin, dass ein sehr dichtes, nach innen orientiertes Netzwerk besteht. Wir haben es mit einem politischen Apparat zu tun, der extrem in sich geschlossen ist. Es ist ein institutionalisiertes Netzwerk, das über mehrere Jahrzehnte hinweg gewachsen ist. Die Deals werden ausschließlich innerhalb dieses Systems geschlossen. Drinnen kennt jeder jeden, das ist schon seit 30, 40 Jahren so. Wer draußen ist, hat kaum eine Chance mitzureden. Es gibt nur 0 und 1, man ist entweder drinnen oder draußen.
Wer ist Teil dieses Netzwerks?
Dazu gehören in erster Linie die politischen Parteien mit ihren Vorfeldorganisationen. Politische Funktionäre machen in den Parteien Karriere und werden über diese Funktionen in der Wirtschaft und in andere Bereiche verteilt. Das sind Medien, staatsnahe Betriebe, Ministerien oder sozialpartnerschaftliche Institutionen. Das Herz des Netzwerks bleiben aber die politischen Parteien.
Gibt es dennoch Wege, etwa für eine NGO, hier einzudringen?
Möglichkeiten gibt es, vor allem über Leute im System, die mit ihrer Situation unzufrieden sind und Kontakt nach Außen suchen. Das können junge Leute sein, die die Inspiration von Außen brauchen. Wenig Sinn macht es, sich an Personen zu wenden, die in ihren Ressourcen schon überlastet sind. Es hat keinen Zweck zu versuchen, eine Beziehung zur Nummer Eins aufzubauen.
Wie baut man solche Kontakte auf?
Das funktioniert nur über Dreiecksbeziehungen. Dazu ist es ziel führend, sich an Leute zu wenden, die man schon kennt. Über diese Bekannten versucht man eine Dreiecksbeziehung zu anderen herzustellen, nach dem Motto: Ich kenne Sie, Sie kennen jemand anderen, schauen wir, dass wir uns gegenseitig kennen lernen. Die Stärke einer Beziehung zwischen zwei Personen hängt davon ab, wie viele gemeinsame Freunde und Feinde man hat. Erst wenn gemeinsame Dritte miteinbezogen werden, entsteht Vertrauen und man öffnet sein weiteres Beziehungsumfeld. Eine NGO sollte bestrebt sein, dass sich Leute untereinander kennen lernen, so werden die Beziehungen schlagkräftiger. Durch die systematische Schaffung solcher Dreiecksbeziehungen entstehen starke Beziehungen, über die dann mehr Einfluss möglich ist.
Also eine Möglichkeit, um im System mitzuspielen?
Ja, man kann reinkommen und mitspielen. Die Regeln innerhalb des Systems kann man damit aber nicht ändern.
Ist es wirklich nötig, Teil des Systems werden? Genügt es nicht, von außen eine Kampagne zu starten?
Dazu müssen aber ebenso Verbindungen mit den Medien geschaffen und Dreiecksbeziehungen aufbaut werden. Es ist notwendig, einen Supporter in einen Promoter zu verwandeln. Und das funktioniert nur, in dem dieser sein Tun bestätigt bekommt. Er muss die Legitimation zu seinem Handeln von einem Dritten bekommen, eben über eine Dreiecksbeziehung.
Wie kann ich mich noch für ein Netzwerk attraktiv machen?
Es muss ein gegenseitig befruchtendes Verhältnis entstehen. Dazu ist eine entsprechende Unterschiedlichkeit der Personen oder Gruppen notwendig, da erst dadurch der Energiefluss garantiert ist. Die Basis ist ein Austausch, Personen zu große Ähnlichkeit schadet.
Oft erweisen sich sehr unterschiedliche Standpunkte aber für Zusammenarbeit eher hinderlich.
In solchen Fällen ist das richtige bridging notwendig. Das bedeutet, dass unterschiedliche Ausgangspositionen akzeptiert werden, um ein neues, gemeinsames Ziel zu finden. Man spricht damit dem jeweils Anderen die Existenzberechtigung nicht ab und bringt dennoch seine eigenen Themen weiter. So können auch zwischen Konservativen, Liberalen oder Sozialisten gemeinsame Ziel erkannt werden.
Wenn eine Partei zum Beispiel mit der Aussage ‚Null Toleranz gegenüber Kriminalität’ oder ‚Null Toleranz gegenüber Kinderschändern’ wirbt, so könnte man dieser den Standpunkt ‚Null Toleranz gegenüber den Ursachen der Kriminalität, fehlender Ausbildung und Armut’ entgegenhalten. Da wird niemand dagegen sprechen und es ist möglich in einer gemeinsamen Richtung zu arbeiten.
Ein Vorgehen, das sie auch NGOs empfehlen?
Non Profit Organisationen sind dann erfolgreich, wenn sie nicht Parteipolitik mitmachen, sondern wenn es ihnen gelingt zu bridgen. Das wird aber zu selten gemacht. Ziel muss sein, eine win-win Konstellation zu finden. Das gelingt natürlich nicht immer.
Zur Person:
Harald Katzmair leitet seit elf Jahren das Unternehmen FAS.research, die Forschungsgesellschaft für angewandte Sozial- und Strukturanalyse. Sie führt Netzwerkanalysen für Wissenschaft und Wirtschaft durch. Harald Katzmair studierte Soziologie und Philosophie.