Der Strache war in der Disco
Wählen ab 16 Jahren ist cool. Meint die Politik. Und ließ erstmals bei Nationalratswahlen Teenager wählen. Wie aber filtern sie Informationen? Verfügen Jugendliche über genügend Medienkompetenz? Ein leises Pladöyer für Medienunterricht. Text: Maria Sterkl, Bilder: Bernhard Kummer
„Werner Faymann? Sagt mir nichts", meint Patrick. Der 17-jährige Industriekaufmann-Lehrling durfte heuer zum ersten Mal wählen. Und er ist nicht der einzige, der mit dem Kanzlerkandidaten nichts anzufangen weiß. Wer auf Wiens größter Shoppingmeile mit Österreichs Jungwahlvolk spricht und Politikerhass erwartet, wird schnell korrigiert: Die Kids schimpfen nicht auf „die da oben" – sie kennen sie gar nicht. Internet, Satelliten-TV, Privatradio: Nie waren Teenager so gut mit Medien versorgt wie heute. Doch was davon an Nachrichtenmaterial hängen bleibt, ist erstaunlich wenig. Wann hat Patrick das letzte Mal Nachrichten gelesen? „Gestern." Woran erinnert er sich? „An das Wetter." Wie lautete die Prognose? Patrick überlegt kurz, schaut zum Himmel, und antwortet grinsend: „Schön."
Präsenz statt Kompetenz Was früher Umgang mit Medien genannt wurde, heißt heute Medienkonsum – Buchstaben und Bildpunkte als neue Maßeinheiten der Information. Oder, wie Patrick sein Bild der Kronen Zeitung formuliert: „Steht eh alles drin, was ich wissen muss." Die auflagenstärkste Tageszeitung Österreichs? „Die Presse." Der Herausgeber der Kronen Zeitung? „Keine Ahnung." Wem der ORF gehört? Schulterzucken. Woher sollte er es auch wissen: In den Schulen spielt Medienbildung keine Rolle. „Ich war vier Jahre in einer Privatschule", erzählt Matthias. „Da hat man 400 Euro bezahlt, aber über Medien oder Politik haben wir nichts gelernt." Anders in der Berufsschule. „Da halten wir Referate über irgendwas aus der Zeitung und dann diskutieren wir." Matthias glaubt, dass nichts stimmt von dem, was in der Zeitung steht. Medien würden Nachrichten nach Eigennutzen gestalten. Bei der Frage, wer in Österreich mehr Macht besitzt, die Medien oder die Politiker, sind sich die beiden Lehrlinge einig: „Die Zeitungen." Matthias kennt die Kronen Zeitung – deren Inseratenkunde Werner Faymann hingegen ist auch für ihn ein Unbekannter. Und Patricks Ansicht nach kommt für Packeleien mit Medien ohnehin nur ein Politiker in Frage: „Der Strache. Der war ja auch in der Disco".
16-Jährige? Sollen nicht wählen
Ein paar Meter weiter warten gerade Anne und Alina auf eine Freundin. „Wenn ich was wissen will, frag ich meine Mutter", beschreibt Alina ihr Informationsverhalten. Freundin Anne besucht das Gymnasium Rahlgasse, eine liberale Reformschule im sechsten Bezirk. Sie schätzt den „Standard" als leserstärkste Zeitung Österreichs ein und gibt an, ihn auch hin und wieder zu lesen. Der Name Faymann ist der 15-Jährigen dennoch nie
begegnet, was nichts daran ändert, dass sie „am ehesten SPÖ" wählen würde.
Was sie aber ohnehin noch nicht darf. Das sei auch gut so, befindet Annes Freundin Alina: „Ich finde das so dumm, dass 16-Jährige wählen dürfen, weil ich weiß, wie die 16-Jährigen sind. Die wählen alle den Strache." Alina hingegen ist 15 und würde ungültig wählen: „Ich kenne mich nicht gut genug aus, um wählen zu gehen". Nachrichten verfolgt sie, wenn sie in Zeitungsform „irgendwo herumliegen" oder zufällig aus dem Radio tönen. Wie zum Beispiel heute Nachmittag, als eine Sendung lief, „wo Politiker hinkommen und wo man anrufen kann." Ob sie sich noch erinnern kann, was das Thema war? „Studiensteuer oder sonst irgendwas soll weggemacht werden."
Standard-Zeitung? Zu langweilig
Lächelnder Faymann, grinsender Molterer: Ein paar Wahlkampfständer weiter lehnt ein Grüppchen gut gelaunter Burschen an der Hausmauer einer Bawag-Filiale. Ein Neuer kommt dazu, begrüßt alle mit zwei Wangenküssen und Händedruck. „Das machen wir immer so", erklärt Arlind. „Die Moslems machen's zweimal, die Katholiken dreimal." – „Was redest du da?", meckert Manuel. „Ich bin Kroate, aber kein Ustascha. Ich will keine Serben umbringen." Manuel und Arlind besuchen die HTL, der 18-jährige Florim ist Tontechniker, der 17-jährige Valon macht gerade eine Elektrikerlehre. Irgendwer von ihnen sei immer hier, sagt Valon und raucht sich eine Marlboro an. Was sie tun? „Einfach da sein und schauen." Zeitung lesen würden sie jeden Tag, und zwar „die Heute-Zeitung", sagen Valon und Arlind. Sie sei zwar am wenigsten glaubwürdig von allen, „aber man hat sie so schnell in der Hand." Mehr Vertrauen hat Arlind in „die Standard-Zeitung", die in der Gruppe allerdings niemand liest: „Zu beschäftigt", meint Florim. „Zu langweilig", sagt Arlind.
Werner Faymann löst auch bei den Bawag-Kids Kopfschütteln aus. Nur Florim kann aushelfen. „Strache ist für die Blauen, Haider für die Orangen, der Van Dell für die Grünen...dann ist das der Neue von den Roten." Beifall in der Gruppe. Und für die Schwarzen? „Diese Schüssel", glaubt Florim. „Nein, die Ferrero", meint Arlind. Kleine Hilfe, es ist ein Bartträger. Darauf Arlind: „Die Kdolsky!" Na dann... Und was sollte die Politik eigentlich ändern? "Was der Strache gegen die Kopftücher sagt", das stört Arlind. Und sonst? "Passt alles", findet Valon, "alles außer Strache." Auf die Frage nach der leserstärksten Zeitung erklärt Manuel: "Das ist Österreich. Und dann kommt gleich Heute. Hab ich in der Heute gelesen."
Faust statt U-Bahn-Zeitung
„Das ist ein Wahnsinn, das ist gefährlich, das gehört abgeschafft", ärgert sich Xiangyu Wu, wenn er den Namen der U-Bahn-Zeitung hört. Wir stehen im beschaulichen Innenhof des Wiener Schottengymnasiums, gleich muss Xiangyu wieder in den Unterricht. Doch für ein Gespräch über Medien nimmt er sich gerne Zeit. Denn sie hätten ihn einfach „enttäuscht".
Nicht nur der Boulevard, der „mehr als Manipulation, ja fast schon Propaganda" betreibe, auch Qualitätszeitungen: „Man weiß ja: Der Standard ist eher rot, die Presse eher schwarz. Klar wird da vorgefiltert." Dafür hat er Verständnis: „Jede Zeitung braucht ihre Zielgruppe, niemand kann alle erreichen." Um mehrere Zeitungen zu lesen fehle ihm aber die Zeit. Was er stattdessen liest? „Goethe." Xiangyu ist sich bewusst, „nicht die Norm" zu sein, wenn er fordert: „Warum lesen die Leute in der U-Bahn nicht Faust?" Xiangyus Medienskepsis hat Gründe. Bis vor acht Jahren lebte er in China: „Meine Mutter ist voll vom Kommunismus manipuliert." Das aktuelle Geschehen erfährt er im persönlichen Gespräch – „mit Lehrern, mit Kontakten". Doch auch er kann Werner Faymann nicht zuordnen: „Das ist der auf dem Plakat", sagt Xiangyu – und nach kurzem Überlegen meint er: „Sehen Sie? Die Medien sind eine sehr gute Waffe. Wenn ich Politiker wäre, würde ich sie auch nutzen. Aber weil ich keiner bin, fall' ich nicht drauf rein."