Liebling der Massen
Nationalismus ist eine Frage der Interpretation
Ivica Vastic ist Österreichs beliebtester „Ausländer“. 1991 kam er aus Jugoslawien nach Wien. Was der 38-jährige LASK-Star über Mentalität, den Selbstmordversuch eines Jugendlichen, Serben und Kroaten und eine Headline der Kronen-Zeitung denkt, erzählte er Kerstin Kellermann im bislang ausführlichsten Vastic-Interview der Welt. Bilder: Paul Sturm
Sie sind sozusagen Österreichs ‚Lieblingsausländer’ und gelten als Beispiel für erfolgreiche Integration. Fühlen Sie sich als integrierter Migrant?
Ich fühle mich wohl in Österreich und freue mich, dass die Leute das erkennen. Ich bin kein Freund von großen Sprüchen. Ich versuche mein Leben zu führen und mich voll zu integrieren in die österreichische Mentalität, die ich sehr schätze. Ich akzeptiere die Menschen, so wie sie sind, egal von wo sie kommen, ob sie Österreicher sind oder andere -
ich respektiere jeden Menschen als Mensch, ich schaue wenig auf Nationalität oder Hautfarbe. Ich glaube, dass die Leute das an mir schätzen.
Was meinen Sie mit österreichischer Mentalität?
Jeder hat seine Gewohnheiten. Jedes Land pflegt eigene Gewohnheiten, obwohl ich das nicht verallgemeinern will. Ich sage nicht, alle Österreicher sind gleich oder alle Kroaten sind gleich. Überall gibt es gute und schlechte Menschen, ich schaue immer von Person zu Person. Ich versuche, mich mit den Guten aufzuhalten, meine Kraft für positive Dinge einzusetzen.
Was denken Sie über Arigona Zogaj und Ihre Familie? Wie würden Sie damit umgehen, wenn eine Jugendliche mit Selbstmord droht?
Das ist ein schwieriges Thema, mir fehlt hier der Einblick. Ich weiß nicht, was von der Medien-Berichterstattung richtig, was falsch ist.
Es gab auch eine ähnliche Geschichte wegen eines jungen Afrikaners, der beim LASK ein Probetraining absolviert hat. Haben Sie davon gehört?
Meinen Sie diesen guten Spieler aus Nigeria, der vor kurzem im Probetraining war?
Ich spreche von einem jungen Flüchtling, der an seinem 18. Geburtstag einen Selbstmord-versuch mit einem Messer verübt hat. Er kam ins Krankenhaus und lebt. Der Junge hat sich mit elf Jahren alleine bis nach Österreich durchgeschlagen, weil seine Eltern tot sind. Beim LASK war er zum Probetraining.
Davon habe ich nichts gehört. Ein wirklich hartes Schicksal, andererseits ist ein Selbstmordversuch nicht die richtige Methode, sich durchzusetzen. Es gibt auch andere Vereine. Sagen Sie ihm von mir, das Leben ist schön, auch wenn es manchmal steinig ist. Er soll bitte nicht aufgeben, das Leben lohnt sich.
Dennis Maklele hat gar nicht wegen des LASK einen Selbstmordversuch gemacht, sondern wegen seines Asyl-bescheids. Er fühlte sich als Fußballer wie ein Star und glaubte, die Österreicher lieben ihn und er kann hier bleiben. An seinem 18. Geburtstag erhielt er den Abschiebungs-bescheid. Ich glaube, es war auch dieser Gegensatz, beliebt und brav zu sein und dann diese Ablehnung zu erfahren.
Schon, aber ich glaube auch in der Frage des Asyls gibt es andere Wege und Methoden. Ich denke, dass die Gesetze in solchen Fällen ein bisschen variabler und flexibler sein könnten. In solchen Fällen könnte man schon eine Ausnahme machen, denn ich glaube nicht, dass alle Fälle gleich sind. So dramatische Ereignisse passieren ja nicht so oft. Es sollte doch möglich sein, sich mehr mit den Menschen zu beschäftigen und zu diskutieren – um eine vernünftige Entscheidung zu treffen.
Sie selbst sind 1991 nach Österreich gekommen. Sind Sie wegen des Krieges gekommen?
Ich bin wegen des Fußballs gekommen. Weil Jugoslawien sich damals schon getrennt hatte, zumindest im Fußball, hatte ich keine Möglichkeit mehr, zu spielen. Ab 1990 gab es keine Liga mehr, keine offiziellen Spiele, keine Meisterschaft, wir haben nur trainiert. Damals war der Krieg noch nicht ausgebrochen, ich litt an der damaligen Ungewissheit. Dann ergab sich die Möglichkeit, nach Wien zu kommen. Ein Freund meines Vaters arbeitete in Wien, bei dem wohnte ich, bis ich mit der Vienna einen Verein fand und in Österreich blieb. Meine Familie blieb in Kroatien, einzig meine Freundin war mit. Wir haben das alles gemeinsam gemacht.
Stimmt es, dass schon vor dem Krieg kriegsähnliche Zustände herrschten, wenn die Klubs aus Split und Belgrad gegeneinander spielten?
Es war genauso, wie wenn in Österreich Rapid gegen die Austria spielt. Die Derbys waren immer etwas Besonderes. Jeder will der Erste in der Stadt sein. Wenn Hajduk Split gegen Partizan Belgrad oder Roter Stern Belgrad gegen Dinamo Zagreb spielte, war das genau wie ein Derby. Später kann man hinein interpretieren, das wäre wie Serbien gegen Kroatien gewesen. Letztlich geht es immer um das Gleiche, um drei Punkte. Nationalismus ist eine Frage der Interpretation. Wie will man, dass diese Spiele interpretiert werden. Wenn sich im Bundesheer zwei Serben geschlagen haben, war das eine normale Schlägerei (lacht). Und wenn ein Serbe und ein Kroate sich prügeln, ist das plötzlich eine Schlägerei auf nationaler Basis?
Für Ivica Osim ist der Krieg wie eine offene Wunde. Waren Sie überrascht, als der Krieg anfing?
Überrascht? Ich war zu jung um mir Gedanken zu machen, erst zwanzig Jahre alt. Meinen Militärdienst leistete ich ganz normal mit 18 – mit 18 Jahren ist man noch ein Kind. Ich wurde zum Heer geschickt, als ich gerade auf dem Weg zum Profi war. Diese Chance hat mir das Militär genommen. Beim Militär spielt man nicht Fußball! (lacht) Das war’s. In dieser Zeit nahm ich 15 Kilo zu und brauchte dann über ein Jahr, um wieder auf Normalgewicht zu kommen. So habe ich zwei Jahre im besten Fußballalter verloren.
Sie wurden im Schiffsbau ausgebildet, wie passt das mit Fußball zusammen?
Überhaupt nicht. In dieser Zeit hatte ich nicht viel Auswahl, es ist ja nicht so wie heute, wo es Sportschule, Sportgymnasien oder seit vier Jahren die Fussball-Akademie gibt. Ich brauchte eine Ausbildung und entschied mich für Schiffsbautechnik, die gab es in der Nähe in Trogir. Das waren Zeiten, in denen man nicht auswählen konnte, sondern das bekam, wo es noch Platz gab.
Haben Sie auch schöne Erinnerungen an die sozialistische Zeit?
In der Jugend spürt man das nicht. Erst als Erwachsener merke ich, dass wir in der Schule beeinflusst wurden. Durch den Unterricht in Marxismus oder der Geschichte des Sozialismus. Man hat trotzdem einen eigenen Kopf, sieht das Leben und kann vergleichen, ob das zur Realität passt. Ich erkannte schon als Jugendlicher, dass die Lehre vom Sozialismus eine Illusion ist. Auch wenn nicht alles schlecht war. Sozialen Fragen und das Wir-Gefühl waren immer stark ausgeprägt. Ob das später missbraucht wurde, ist schwer zu sagen. Natürlich waren wir überrascht, als der Krieg anfing. Aber bei uns in Kastela oder auch in Split kam nie ein richtiges Kriegsgefühl auf.
Nationalteam-Trainer Karel Brückner betonte unlängst, dass Fußball vor allem disziplinierte Arbeit ist. Sind Fußballer Arbeiter, vielleicht gar im Sinn des Sozialismus?
Natürlich ist Fußball Arbeit. Das ist schwere, physische Arbeit (lacht). Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit, Technik, unter einen Hut zu bringen, dazu Koordination, das alles muss man sich hart erarbeiten. Fußball ist auch eine Kampfsportart ist, wir haben Konkurrenz durch Gegner, die gewinnen wollen. Am Ende kommen nur die Stärksten und die Besten weiter (lacht). Insofern hat Karel Brückner sicherlich Recht. Gegen Frankreich haben die Spieler sehr viel und fleißig gearbeitet. Man sieht, dass aus den Fehlern der Europameisterschaft gelernt wurde.
Ivica Osim sagte mir im Interview, dass die Mannschaft ein Kollektiv sein sollte...
Muss! Nicht sollte, muss! (lacht) Wir sind leider in keiner Einzelsportart, wo du für dich eine Entscheidung triffst, das macht Fußball aber auch interessant. Fußball ist eine Lebensschule, hier findet man alles, was man auch im Leben braucht: Toleranz, Akzeptanz, dass alle gleich und nicht gleich sind, dass jeder seine eigene Qualität hat. Diese Kollektivität heißt, dass man voneinander abhängig ist, dass jeder seine Qualitäten ins Team einbringt, dass man Fehler akzeptiert. Gemeinsam sind wir stärker als einzeln. Es gibt keinen einzigen Spieler, der allein ein Spiel entscheiden kann. Eine momentane Situation schon, aber nicht das ganze Spiel.
Die Kronen-Zeitung titelte bei der Weltmeisterschaft 1998 nach Ihrem Tor: „Ivo, jetzt bist Du ein echter Österreicher“. Wie haben Sie sich da gefühlt?
Es war eine euphorische Aussage in dieser Zeit. Wir waren alle froh, dass ich dieses Tor in letzter Sekunde geschossen habe, dass wir noch die Chance hatten, weiter im Bewerb
zu bleiben. Ich glaube nicht, dass das böse gemeint war. Ich fühlte diese Euphorie, die Krone auch, das hat damals gepasst, obwohl ich die österreichische Staatbürgerschaft schon seit 1996 hatte.
Wie sehen Sie die Verbindung von Fußball und Nationalismus? Mein Land, meine „Fahne“, den ganzen Patriotismus? Sie leben jetzt seit 17 Jahren in Österreich, wollten ursprünglich für Kroatien spielen.
Ich habe mich für Österreich entschieden, und es nie bereut. Man lebt hier, man fühlt sich wohl hier, man akzeptiert dieses Land und seine Gesetze. Man lebt aber auch ganz normal in Kroatien, ich fühle mich dort zu Hause und genauso fühle ich mich in Österreich zu Hause. Wieso kann man nicht auch zwei Länder haben, wo man sich gut fühlt?