Austritts-Märchen
2009: Österreich hat die EU verlassen. Der neue Kanzler erlebt ein beispielloses Popularitätshoch, Salami wird wieder geschmuggelt, in Spielberg rasen die Boliden und der Nullzuzug wird endlich umgesetzt. Text: Tommi Settergren
Seit zwei Stunden stehe ich im Stau an der ungarischen Grenze. Damit habe ich allerdings gerechnet. Es ist die auffälligste Folge des neuen Inseldaseins. Wie in den Jahren vor der EU-Integration lockt die Salami und der Reiz des Verbotenen. Seit auf solche Dinge wie Wurst und Käse wieder Zölle eingehoben werden, bringen kleine Tagesausflüge auch wieder jenen Nervenkitzel, den das in Babywindeln versteckte Beutegut beschert. Die reaktivierten Zoll-Wachmenschen, nach 1995 in diversen Amtsstuben untergebracht, spielen fleißig mit. Brav machen sie ihre Stichproben.
Steile Popularitätswerte
Ein Jahr ist es jetzt her, dass Österreich aus der EU ausgetreten ist. Das Ergebnis der Nationalratswahl im Herbst 2008 interpretierte der neue Bundeskanzler als klares Votum gegen die weitere Mitgliedschaft in der EU – und sorgte damit für einen Eklat beim Europäischen Rat. Doch eine Volksabstimmung zum Thema bestätigte eindrucksvoll: 57,3 Prozent waren für den Austritt. Und das bei einer Beteiligung, die sogar noch über jener der Zwentendorf-Abstimmung in den 70er Jahren lag. Zwei Wochen später folgte der großmäulige Auftritt beim Europäischen Rat, wo der neue Kanzler sich mediengerecht als Rebell gegen die Brüsseler Technokratie gerierte. Die wollte den Vertrag von Lissabon mit einer unverbindlichen Präambel für die Iren unterzeichnen. Den AmtskollegInnen hatte der Kanzler vor laufender Kamera gesagt, dass „Österreich mit so einem Verein nichts mehr zu tun haben will“. Ein populistischer Streich wie aus dem Bilderbuch. Von den internationalen Medien zerfetzt, von den heimischen gefeiert, schossen seine Popularitätswerte nach oben.
Mauscheleien mit Brüssel
„Die Wirtschaft wird einbrechen!“ Das war nicht der einzige Warnruf, der über das Land schwappte. Aber der einzige, der von der Regierung ernst genommen wurde. Dem „Isolationsgejammer“ (O-Ton Bundespressedienst) aus dem Kultureck wurde erst gar nicht zugehört. Wirtschaftlich gesehen, das war auch den patriotischsten Kräften klar, konnte man sich natürlich nicht von heute auf morgen abschotten. Auf diplomatischer Ebene begannen sofort nach der „Austritts-Erklärung“ die Verhandlungen, wie man die EU-Mitgliedschaft in ein Freihandelsabkommen überleiten kann, so dass die wirtschaftlichen Vorzüge der Mitgliedschaft erhalten bleiben. Dabei geht die EU nach üblicher Taktik vor: Sie fordert die Übernahme des gesamten Rechtsbestandes der EU im Austausch gegen die Gewährung der Vorzüge. Die Verhandlungen werden sich noch Jahre hinziehen, glauben BeobachterInnen. Im Boulevard wird indes Kritik am Beamtenapparat laut: an der Mauschelei hinter verschlossenen Türen, und dem neuen Ausverkauf Österreichs an die EU.
Horrorszenarien eines ökonomischen Supergaus haben sich nicht bewahrheitet. Zwar jammern die Unternehmen über neue Hürden wie Zölle, auslaufenden EU-Förderungen und der Diskriminierung bei öffentlichen Aufträgen in der EU. Aber wenigstens blieben gröbere Konjunktureinbrüche bislang aus. Der Tourismus boomt weiter, und die Autozulieferer liefern weiter nach Deutschland. Denn alle rechnen damit, dass es in kurzer Zeit zu Vereinbarungen kommen wird, mit denen Österreich wieder am Binnenmarkt teilnehmen kann. Eine Werbekampagne sorgt mit „Made in A“-Produkten für einen kleinen Boom. Viele der über 30-Jährigen, die geistig nie auf Euro umgestellt haben, sind erleichtert, wieder den Schilling in Händen zu haben, aber entsetzt über die Preiserhöhungen, die sich seit dem erinnerten Schilling-Letztstand 1999 eingestellt haben. Und auch die beliebte Formel 1 ist wieder in die Steiermark nach Spielberg zurückgekehrt. Als Brüssel das Tabakverbot verhängt hatte, strich Bernie Ecclestone den Grand Prix von Österreich beinhart. Mit der Rückkehr der Boliden feiert auch Niki Nazionale ein sensationelles Comeback im ORF, das durch einen Sondervertrag ermöglicht wurde.
ÖsterREICH neu gestalten
Herb enttäuscht sind jene Linken und Gewerkschaftsflügel, deren Hoffnung auf eine nationale Umverteilungspolitik und ein Entkommen aus der neoliberalen EU-Wirtschaftspolitik sich nicht erfüllt hat. Statt als Spielraum wird die nationale Eigenständigkeit jetzt dauernd als Stütze für Sachzwang-Argumente genützt. Das Volksbegehren „Umverteilung jetzt! ÖsterREICH neu gestalten“, mit dem eine Reihe prominenter SchriftstellerInnen und GewerkschaftsaktivistInnen die Austritts-Euphorie für eine Politikwende in Richtung Besteuerung von Unternehmen und Vermögen sowie Einführung eines Grundeinkommens nützen wollten, konnte zwar 117.000 Unterschriften gewinnen.
Aber seine Forderungen wurden vom Präsidenten der Industriellenvereinigung mit den Worten quittiert: „Das wäre der Todesstoß für Österreichs Wirtschaft, und ist unter den aktuellen harten Bedingungen, wo wir wieder auf eigenen Füßen zu stehen lernen müssen, absolut ausgeschlossen“. Selbst minimale soziale Forderungen werden mit dem Argument abgeschmettert, dass nunmehr keinerlei „Experimente“ finanzierbar wären. Dass massive Erhöhungen der Agrarsubventionen aus dem Budget locker gemacht wurden, um den Ausfall der EU-Förderungen zu kompensieren, bleibt dabei unerwähnt.
In anderen Bereichen ist die Regierung jedoch sehr reformfreudig: „Ausgeburt einer Trittbrettfahrer- und Raubritter-Mentalität“ nannte EU-Binnenmarkt-Kommissar Jorge Elminkei die jüngsten Initiativen Wiens, die unter dem Namen „Standortpaket“ umgesetzt wurden. Österreich, das sich durch die Zinsbesteuerungs-Abkommen der EU nicht mehr gebunden sieht, senkt weiter die Besteuerung von Vermögen ausländischer AnlegerInnen, um „den Kapitalmarkt Österreich zu stärken“. Man rechnet mit weiterem Zufluss von Stiftungs- und Anlagekapital, sehr zum Ärger des Fiskus in den Nachbarstaaten. Die Einführung einer Sonder-Maut für LKWs, die Österreich als Transitstrecke nützen, von der heimische Speditionen ausgenommen sind, sorgt für Begeisterung im Inntal, und Zornesausbrüchen an den Grenzen.
Antidiskriminierung: abgeschafft
Was die im Wahlkampf 08 in Aussicht gestellten Repressalien für zugewanderte Menschen betrifft, vergeht keine Woche, in der nicht neue Maßnahmen angekündigt werden. Mit Sondergesetzen für MigrantInnen wird die Bevölkerung bei Laune gehalten und ausgenutzt, dass der Gesetzgeber nicht mehr an die Antidiskriminierungsregeln der EU gebunden ist.
Die Einrichtung einer eigenen „Ausländer-Sozialversicherung“, bei der nach zehn Jahren Einzahlung erst Auszahlungen möglich sind, stehen kurz vor der Umsetzung. Das erst vor wenigen Jahren durchgesetzte Betriebsratswahlrecht für arbeitende Nicht-ÖsterreicherInnen und das ohnehin zahnlose Antidiskriminierungsgesetz wurden wieder abgeschafft.
Rechtsextreme in ganz Europa bezeichnen Österreich als Vorbild, weil hier das Konzept der Null-Einwanderung zur Staatsdoktrin erklärt wurde und die Staatsgrenzen mit Bundesheer-Soldaten besetzt wurden. Dass die restriktiven Schengen-Außengrenzen ohnehin Österreich umgeben, tut der symbolischen Wirkung dieser Maßnahme keinen Abbruch. Die Zahl der legal ins Land gelassenen Menschen sinkt weiter. Für hochqualifizierte „Schlüsselkräfte“, um die die Wirtschaft heftig wirbt, ist Österreich mit seinem fremdenfeindlichen Klima völlig unattraktiv geworden.
Gleichzeitig steigt die vermutete Zahl der Zugewanderten ohne Aufenthaltsgenehmigung. Das Heer der Rechtlosen bildet ein Reservoir von Billigarbeitskräften, das von der Wirtschaft gern in Anspruch genommen wird, um einen Teil der Anpassungslasten zu kompensieren, die der EU-Austritt gebracht hat.
Auf Schmuggler sind bislang noch keine Soldaten angesetzt worden. Aber wer weiss: Zur Sicherheit hab ich ein Österreich-Fähnchen von der EM 08 ausgegraben und an meine Kühlerhaube gesteckt. Das kommt heutzutage immer gut an.
Tommi Settergren ist Mitarbeiter der Zeitung Malmoe. www.malmoe.org