Gewalt geht unter die Haut
Vaginalverstümmelung in Afrika. Vaginalverschönerung im Westen. Wie verhalten sich Beschneidung von Frauen und kosmetische Chirurgie zueinander? Die Politikwissenschafterin Sara Paloni im Interview.
Interview: Cathren Müller, Bild: Bernhard Kummer
Sie setzen im Rahmen eines Forschungsprojekts die Beschneidung von Frauen, wie sie etwa in Somalia passiert, und vaginale Schönheitsoperationen im Westen zueinander in Beziehung. Was haben beide gemeinsam?
Beide Eingriffe sind medizinisch sehr ähnlich, beide Praktiken könnten der sexuellen Kontrolle der Frau dienen. Grundsätzlich gilt: Die meisten vergleichenden Ansätze in der Forschung wollen Kritik an einem Diskurs üben, der westliche Körperpraktiken als unproblematisch – weil freiwillig – darstellt, während nicht-westliche als Ausdruck patriarchaler Unterdrückung schlechthin gelten. Ich denke, dass der soziale und kulturelle Kontext des Eingriffs relevant ist: Letztlich geht um seine Bedeutung in der jeweiligen Gesellschaft und um die sozialen Konsequenzen für die Mädchen und Frauen.
Beschneidung ist im Westen aber strafbar.
Dass FGM, also Female Genital Mutilation (Genitalverstümmelung, Anm.) eine Form von Gewalt ist, steht auf politischer Ebene außer Frage. Wie aber Polizei, medizinisches Personal und SozialarbeiterInnen in so einem Fall im Westen intervenieren sollen, ist offen. Ist es zum Beispiel sinnvoll, das Kind den Eltern zu entziehen? Die Beschneidung wird von den praktizierenden Eltern nicht als Kindesmissbrauch verstanden, sondern ist Teil ihrer kulturellen Identität. Die kosmetische Genitalchirurgie betreffend gibt es auch in Österreich Initiativen, Eingriffe zwar nicht strafbar zu machen, aber gesetzlich zu regulieren. Der Gesetzgeber sieht also durchaus die Notwendigkeit, sich einzumischen.
Sehen Sie bei kosmetischer Chirurgie bei Frauen keine Gewalt im Spiel?
Wenn sich ein erwachsener Mensch dazu entscheidet, eigentlich nicht. Aber wie frei ist unsere Wahl? Deute ich Geschlechterverhältnisse als patriarchale Gewaltverhältnisse, kann ich sagen, Schönheitsnormen sind verinnerlicht und die Gewalt geht unter die Haut. Andere sagen, dass Schönheitsoperationen auch selbstermächtigend sein können. Frauen haben sich die Bestimmung über den eigenen Körper hart erkämpft.
Welche Hintergründe sehen Sie für kosmetische Genitalchirurgie?
Websites von Schönheitschirurgen und Interviews operationswilliger Frauen ergeben, dass schöne weibliche Genitalien jugendlich sein sollten. Es geht also darum, den Alterungsprozess umzukehren. Gespräche mit ChirurgInnen ergeben, dass die Nachfrage bei Frauen sehr stark steigt. Neben dem Wunsch ein ästhetisch „normales“ Genital zu haben, geht es aber auch um Lustgewinn. Es gibt Eingriffe zur vaginalen Verengung und temporäre Vergrößerungen des G-Punkts.
Genitalbeschneidungen werden im Westen durchwegs kulturell erklärt. Wieso gilt das nicht für vaginale Schönheitsoperationen?
Zwischen den Gewalterfahrungen von Frauen aus kulturellen Minderheiten und jenen von Frauen aus der Mehrheitsgesellschaft wird auf eine fragwürdige Weise unterschieden. Politik und Medien sehen in FGM, Zwangsehe, Ehrenmorden oder dem Kopftuch eine kulturell begründete Gewalt. Wir müssen aber grundsätzlich fragen, welche Rolle Kultur bei häuslicher Gewalt, Vergewaltigung, Stalking oder sexueller Nötigung spielt. Handelt es sich hier um Einzeltäter – in sehr wenigen Fällen um Einzeltäterinnen – oder um kulturell bedingte Gewalt, für die es eine soziale oder kollektive Verantwortung gibt? Wir müssen endlich damit aufhören, die kulturelle Identität und Zugehörigkeit von bestimmten Menschen zu betonen und die von anderen auszublenden.
Zur Person, zum Projekt:
Sara Paloni untersucht in England im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsprojekts weibliche Genitalverstümmelung und ästhetische plastische Chirurgie. Das Forschungsprojekt, das auch Brasilien und Burkina Faso mit einschließt, soll Strategien der Anpassung an gesellschaftliche Normen und die darin eingeschriebenen Machtverhältnisse sichtbar machen.