Die Ethnisierung von Sexismus
Dort, wo noch das altertümliche Patriarchat herrscht, sind "Parallelgesellschaften" und "Kulturdelikte" nicht weit.
Text: Vina Yun, Bild: Paul Sturm
In der öffentlichen Diskussion über Zuwanderung werden die ungleichen Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern immer häufiger als Erklärung für die Schwierigkeit oder das Scheitern einer "erfolgreichen Integration" herangezogen. Dabei geht es stets um eine angeblich rückständige Geschlechterideologie innerhalb der migrantischen – insbesonders muslimischen – Familien und Communities. Nicht aber um Strukturen in der Einwanderungsgesellschaft, die Migrantinnen weitgehend entmachtet und im Stereotyp der "durch ihre Kultur unterdrückten Frau" ein sowohl rassistisches wie auch sexistisches Bild schafft.
Ursprünglich war das "Patriarchat" ein in der Soziologie und Anthropologie entwickeltes Denkmodell, das während der 70er Jahre von der Zweiten Frauenbewegung re-formuliert und von feministischen Theoretikerinnen als zentrale Kategorie zur Gesellschaftsanalyse eingesetzt wurde. Heute schlägt sich die Rede vom Patriarchat zunehmend als Abgrenzungsmerkmal zwischen MigrantInnen und Mehrheitsgesellschaft in Medien und Politik nieder. Entscheidend dabei ist, dass bestimmte Formen der Unterdrückung und Diskriminierung von Frauen kausal mit "Kultur" verknüpft werden. Deutlich abzulesen ist diese Zusammenführung beispielsweise an der Wortschöpfung des "Kulturdelikts" von Innenministerin Maria Fekter im vergangenen Jahr.
Letztlich dient dieses empörte Aufdecken "patriarchaler Strukturen" und "überkommener Traditionen" auch immer dazu, Zuwanderung generell zu de-legitimieren. Nicht von ungefähr stehen daher auch Themen wie Zwangsheirat und "Ehrenmorde" seit einiger Zeit verstärkt auf den Agenden von PolitikerInnen, wenn es um "Integration" geht.
Sobald "traditionsbedingte" Gewalt an Migrantinnen – konkreter: Musliminnen – ins Spiel kommt, wird mit ungewöhnlicher Leidenschaft über weibliche Emanzipation und die Gleichstellung der Geschlechter debattiert – auch unter den Rechten. So will etwa die FPÖ im Kontext von Zwangsehen Frauen dahingehend ermuntern "endlich aufzustehen und diese Unterdrückung nicht länger zu akzeptieren" und fordert in ihrem Positionspapier "Wir und der Islam" einen jährlichen Situationsbericht "speziell zur Integration von Muslimen", der auch den Bereich der "Gleichberechtigung von Mann und Frau" untersuchen soll.
Natürliche Gewalt
Im Vergleich zu Österreich ist in Deutschland die diskursive Verbindung von "Multikulturalismus" und "Frauenrechten" schon länger und stärker in der öffentlichen Meinung verankert. "Tausende Musliminnen leben in Deutschland unter dem Joch des Patriarchats, weggesperrt in der Wohnung, hilflos gegen Gewalt und Zwangsheirat. Ohne Chance auf Integration verschwinden sie in einer Parallelwelt, die von fundamentalistischen Haustyrannen dominiert wird", proklamierte etwa das Nachrichtenmagazin Der Spiegel in seinem Themenschwerpunkt "Allahs rechtlose Töchter – Muslimische Frauen in Deutschland" im November 2004.
Mitte der 90er Jahre untersuchte die deutsche Sprachwissenschafterin Margret Jäger anhand von Alltagsdiskursen die Ausprägungen einer solchen "Ethnisierung von Sexismus": Einerseits werden z.B. muslimischen Männern Sexismus und Gewalt gegen Frauen als "natürliche Eigenschaft" zugeschrieben und diese dadurch charakterisiert, andererseits gelten die Geschlechterhierarchien bei den "Anderen" (und nur dort) als problematischer Zustand, der gewissermaßen "Entwicklungshilfe" braucht. Die "nachzuholende" Entwicklung kann freilich nur in eine Richtung gehen – hin zum westlichen, zu "unserem" Wertesystem. Die "eigene" Kultur gilt damit per se als emanzipatorisch.
Büchermarkt boomt
Auch auf dem Büchermarkt boomen autobiografische Berichte aus dem "Inneren", in denen türkische, iranische oder nordafrikanische Autorinnen von ihrer Flucht aus einer patriarchalen Gesellschaft erzählen. "Kulturindustrielle Ausschlachtung" nennt die Journalistin und Autorin Hilal Sezgin den Höhenflug dieses Genres, das seit den 90er Jahren das "Leid der Orientalin" in den Mittelpunkt stellt und vor allem einem Publikum der Mehrheitsgesellschaft einen Thrill bietet.
In der Kritik an solchen Entwicklungen geht es aber nicht darum, frauenfeindliche Gewalt zu relativieren oder gar zu leugnen. Vielmehr stellt sich die Frage, wie in der Diskussion um Frauenrechte rassistische Stereotype reproduziert werden – bei gleichzeitiger Ausblendung der "eigenen" Dominanzverhältnisse.
Was in migrantischen Zusammenhängen als "Ehrverbrechen" bezeichnet wird, heißt in mehrheitsösterreichischen Fällen schlicht "Familientragödie" oder "Eifersuchtsdrama". Die norwegische Sozialanthropologin Unni Wikan dazu: "Wenn man in Betracht zieht, dass häusliche Gewalt auch oft durch Gefühle der Demütigung, Scham und Rache motiviert ist, so könnte man auch Gewalt im Namen der Ehre als universell bezeichnen."
Unter der herrschenden Logik, in der sich kultureller Rassismus und Sexismus ineinander verschränken, werden die Stimmen von Migrantinnen freilich nur mehr in einem prekären Gegensatz von "für" oder "gegen Tradition" hörbar.
Pflegen, reinigen
Gerade weil aktuelle Politiken die Geschlechterverhältnisse zu einem zentralen Thema in den hiesigen Migrations- und Integrationsdiskursen gemacht machen, sind Allianzen zwischen feministischen und antirassistischen Bewegungen unerlässlich. Dass es gerade auch restriktive Einwanderungs- und Aufenthaltsbestimmungen sind, die Migrantinnen auf eine passive Frauenrolle reduzieren und abhängig machen – etwa anhand von Aufenthaltsbewilligungen, die an den Verbleib des Ehemannes gekoppelt sind – , wird wenig wahrgenommen. Hinzu kommt, dass Migrantinnen trotz guter Ausbildung sich oft in wenig qualifizierten Arbeitsverhältnissen wieder finden, um ihren Aufenthalt im Land zu sichern.
In diesem Zusammenhang hat sich während der letzten Jahrzehnte der Privathaushalt zu einem der größten und am schnellsten wachsenden Arbeitsmärkte für Migrantinnen entwickelt. Immer mehr Haushalte greifen auf die bezahlten Dienste von Migrantinnen zurück, um Reinigungs-, Betreuungs- und Pflegearbeiten auszulagern. Sie ersetzen Frauen der Ober- und auch vermehrt der Mittelschicht in den "klassischen" Frauenaufgaben.
Die patriarchale Arbeitsteilung in produktive (Erwerbsarbeit außerhalb der Familie) und reproduktive Arbeit (Haushalt, Betreuung, Sexarbeit) hat sich dahingehend verschoben, dass sie heute nicht mehr bloß zwischen Männern und Frauen, sondern auch unter Frauen stattfindet: Der berufliche Aufstieg von Mehrheitsösterreicherinnen und die Vereinbarkeit von Job und Familie wird demnach erst durch andere Frauen, nämlich Migrantinnen, und deren gering entlohnte sowie rechtlich und sozial ungesicherte Arbeit möglich. Patriarchale Verhältnisse herrschen daher nicht einfach woanders bei den "Fremden" – sondern in den eigenen vier Wänden und in uns selbst.
Vina Yun ist Redakteurin der Zeitschrift MALMOE.