Die Widerständigen
Flüchtlinge aus Tschetschenien gelten in den Medien als gewalttätig. Menschenrechts-anwältin und SOS Mitmensch-Vorsitzende Nadja Lorenz über ihre KlientInnen und deren Probleme. Interview: Michael Weiß, Bild: Bernhard Kummer
Frau Lorenz, Sie vertreten viele tschetschenische ImmigrantInnen vor dem Asylgerichtshof. Mit welchen negativen Vorurteilen und Stereotypen haben sie zu kämpfen?
Was ständig kolportiert wird, ist Aggressivität, Kriminalität und fehlender Integrationswille. Es ist schwer, auf derartige Pauschalurteile nicht pauschal zu reagieren, was aber eigentlich wichtig wäre.
Ich kann nicht über alle TschetschenInnen in Österreich sprechen, sondern nur über meine KlientInnen. Aber bei denen fallen mir im Gegenteil sogar sehr oft herausragende positive Eigenschaften auf.
Zum Beispiel?
Die meisten von ihnen sind Menschen, die sich nichts gefallen lassen wollen. Sie fragen sehr genau nach, sind neugierig und bereit, das Wenige, das ihnen noch geblieben ist, mit aller Kraft zu verteidigen. Das imponiert mir, deshalb vertrete ich diese Menschen gerne. Es gibt aber leider auch Ausnahmen. Natürlich gibt es auch Aggressivität und Kriminalität, so wie Ursachen dafür.
Und die wären?
Ich habe vor kurzem einen jungen Mann vertreten, der zwei Vorstrafen hatte. Beide aus einer Zeit, als er aus der Grundversorgung herausgefallen war. Dieser junge Mann stand auf der Straße und hatte nichts. Da liegt es nahe, einen Ladendiebstahl zu begehen. Was würden Sie tun, wenn Sie keinen Platz zum Schlafen und nichts zu Essen für den nächsten Tag haben? Das sind Situationen, in die AsylwerberInnen leider immer wieder geraten. Ein Skandal in einem immer noch sehr reichen Land wie Österreich.
Wie sieht es mit dem Willen zur Integration aus?
Den sehe ich bei den meisten meiner Klienten absolut. Es ist für mich ein sehr wichtiger positiver Aspekt, dass diesen Menschen sehr viel daran liegt, dass ihre Kinder – und das sind oft viele - zur Schule gehen, eine Ausbildung bekommen, und dadurch integriert werden. Was durchaus ein Problem ist, ist die archaische, patriarchalische Gesellschaftsstruktur in Tschetschenien, in der Frauen untergeordnete Rollen spielen. Das stößt mir zwar selbst immer wieder bitter auf, aber es hält mich nicht davon ab, diese Menschen zu unterstützen.
Woher kommen die Ressentiments gegen TschetschenInnen?
Ich glaube, dass hat mit der schon erwähnten Widerständigkeit zu tun. Wer sich nicht so viel gefallen lässt, fällt in Österreich schon mal auf. Dazu kommen Aussagen diverser Politiker, die teilweise sehr hetzerisch waren. Medien beten das teilweise nach. Die Bevölkerung glaubt das, es steht ja kaum selbst jemand in Kontakt mit den Betroffenen. So werden diese Unbekannten dann zu Sündenböcken für allerhand Probleme, die die Menschen in ihrer eigenen Umgebung vorfinden.
Also sind die Medien mit Schuld?
Ja, natürlich. Ich habe den Eindruck, dass die österreichischen Medien erst nach diesem tragischen Mord im Jänner begonnen haben, sich mit der tschetschenischen Geschichte beschäftigen. Das Tschetschenen-Bashing wich plötzlich Artikel mit anderem Blickwinkel. Diese Auseinandersetzung ist wichtig. Ich selbst hatte lange nicht verstanden, wie jemand in derart unsicheren Zuständen, auf der Flucht, Kinder in die Welt setzen kann. Unter Stalin wurde mehr als die Hälfte dieses Volkes ausgerottet. Das ist zwei Generationen her, das prägt diese Menschen.
Wo äußert sich das noch, außer in der Größe der Familien?
Ich beobachte bei vielen TschetschenInnen ein unglaublich starkes Nationalgefühl. Viele sagen in ihren Interviews am Asylamt unaufgefordert, dass sie das Land niemals freiwillig verlassen hätten. Wenn wir schon pauschal von Gruppen sprechen, dann ist das sicher ein herausragender Aspekt, der die TschetschenInnen von anderen unterscheidet.
Wie laufen diese Interviews am Asylamt ab? Welche Situation erleben Ihre KlientInnen?
Sie erleben vor allem zwei Argumentationsmuster. Jene Asylsuchenden, die kein massives Vorbringen haben, werden mit der Begründung zurückgeschickt, dass sich die Lage ohnehin schon beruhigt habe – in ein, in dem es die Rechtsstaatlichkeit de facto nicht gibt, in dem man wegen jeder Kleinigkeit verdächtigt, eingesperrt und gefoltert werden kann. Und jene, die vorbringen, den Widerstand gegen Präsident Kadyrow bzw. Russland unterstützt zu haben, werden sofort als Terrorverdächtige abgestempelt.
Das hört sich so an, als würden die BeamtInnen geradezu fieberhaft nach Gründen suchen, Asylanträge abzulehnen…
Ja, aber das betrifft alle, nicht nur TschetschenInnen. Es wird zwar nicht offen ausgesprochen, aber die Maßgabe aus dem Innenministerium ist: So wenige wie möglich. Mutet es nicht eigenartig an, wenn die Ministerin sich freut, wenn die Anzahl der erfolgreichen Asylanträge zurückgeht? Aber auch beim Lesen der Interviews, die mit den AsylwerberInnen geführt werden, wird deutlich, dass der Wille der BeamtInnen, das Gesagte richtig zu verstehen, nicht immer gegeben ist. Dagegen werden oft Missverständnisse und Unklarheiten herausgehört, wo keine sind.
Ein Beispiel?
Da kommt es zu Statements wie: ‚Wenn Sie das wirklich erlebt hätten, dann müssten Sie doch noch wissen, ob sie drei oder vier Tage gefoltert wurden.’ Wie soll jemand, der in einem dunklen Kellerloch sitzt, das wissen? Wenn der Asylwerber aber so argumentiert, wird diese Aufmüpfigkeit als Hoheitsbeleidigung angesehen und vermerkt. So gibt es einige Dinge, die gern als Indizien für Unglaubwürdigkeit angesehen werden. Auch Lachen gehört dazu, genauso wie Schweigen oder fehlende Emotion. Obwohl das, wie wir wissen, teilweise Zeichen einer schweren Traumatisierung sein könnte.