Verdrängte Erinnerungen
Die Abwehr von „Fremden“ hat in Österreich lange Tradition. Schon Zuwandernde aus den Kronländern der Monarchie mussten einen Eid auf den „deutschen Charakter der Stadt“ ablegen. Die nunmehr geforderten Deutschkenntnisse im Gepäck von ZuwanderInnen verwundern insofern nicht. Text: Christa Zöchling
Wien war nie anders. Oder Kärnten. Oder das Burgenland, wie sich jetzt herausstellt. Wollten vor einem Jahrhundert die ZuwanderInnen aus den Kronländern der Moncharchie in der Reichshauptstadt Wien das Heimatrecht erhalten, mussten sie einen Eid ablegen. Der Schwur, der ihnen abgepresst wurde, verpflichtete sie, den „deutschen Charakter der Stadt“ zu fördern. Heute sollen ZuwanderInnen aus fremden Ländern schon bei der Einreise nach Österreich einen Nachweis ihrer Deutschkenntnisse im Gepäck führen. So sieht es jedenfalls ein Entwurf des von der ÖVP geführten Innenministeriums vor. Die Wiener SPÖ lässt auf ihre Art grüßen. Sie pocht auf die Einhaltung einer so genannten „Hausordnung“, wie ihre Plakate im anschwellenden Landtagswahlkampf dokumentieren.
Inlandsarbeiterschutz
Die Neigung zum Sozialchauvinismus und die Fügung unter das Autoritäre, das vemeintlich Naturgegebene Recht des Eigenen gegenüber dem Fremden ist in der Tiefenstruktur der österreichischen Seele zu suchen. Vermutlich gründet diese Mentalität im Vielvölkerstaat und dem beschämend kleinen, deutschen Rest, der nach dem Zusammenbruch des Habsburgerreichs übrig geblieben ist. Dazu passt die fast schon banale historische Beobachtung, dass die Hetze gegen bestimmte Menschengruppen immer dann aufflammt, wenn sie im öffentlichen Raum zwar sichtbar, jedoch ohne gesellschaftliche Repräsentanz und ohne politischen Einfluß in einem Staatsgefüge leben.
Das geschürte Feuer der Konkurrenz ist meist eine Chimäre, ein Propagandainstrument für den Populismus der Wohlhabenden. Die ArbeiterInnenbewegung ist von diesem Geist ebenso erfasst wie konservative Parteien, bisweilen sogar stärker, nämlich dann, wenn es um soziale Fragen – um Arbeit, billigen Wohnraum, staatliche Zuschüsse – geht.
In der Ersten Republik war der Schutz der österreichischen ArbeiterInnen vor ausländischen KollegInnen traditionell den Gewerkschaften vorbehalten. Gegen den Willen der Unternehmerverbände setzten sie das sogeannte
„Inlandsarbeiterschutzgesetz“ durch. Die Nationalsozialisten mit ihrer unmenschlichen Unterscheidung von Lebenswertem und Nicht-Lebenswertem erließen dann auch besondere Bestimmungen zum „Arbeitseinsatz von Fremdarbeitern“. Es mag erstaunen, dass dieses Gesetz den Zivilisationsbruch überlebte. Es war weit in die 70er Jahre hinein gültig.
„Parasiten“ des Wohlstands
In den späten 40er und 50er Jahren waren zigtausende Flüchtlinge in Österreich gestrandet und in den sogannten Lagern für Displaced Persons unter elenden Bedingungen zusammengepfercht worden: Überlebende der Konzentrationsager, Juden, politische Gefangene und Vertriebene. Damals regte sich der Volkszorn vor allem gegen osteuropäische jüdische Flüchtlinge, von denen der damalige SPÖ-Innenminister Oskar Helmer behauptete, sie würden Österreich „überfluten“. Im Winter 1956/57 flüchteten rund 200.000 Ungarn nach Österreich, vor allem junge Männer und junge Familien, meist gut ausgebildete FacharbeiterInnen, Angehörige akademischer
„Die Leute sind schon ganz wild wegen der ganzen Flüchtlingsgeschichte. Wir können nicht die Wohltäter für die ganze Welt spielen.“ Julius Raab kurz nach der Ungarnkrise
Berufe, Ärztinnen, Anwälte, Techniker und Intellektuelle. Von der österreichischen Bevölkerung wurden sie anfangs mit großer Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft aufgenommen. Sie waren vor sowjetischen Panzern geflohen und verdienten nach Ansicht der öffentlichen Meinung alle Solidarität. Doch das änderte sich rasch. Schon nach wenigen Wochen war in Zeitungskommentaren von „Parasiten“ des österreichischen Wohlfahrtsstaates zu lesen. ÖVP-Bundeskanzler Julius Raab meinte im Ministerrat, die Leute würden „schon ganz wild wegen der ganzen Flüchtlingsgeschichte. Wir können nicht die Wohltäter für die ganze Welt spielen.“ Am Ende blieb nur jeder zehnte Ungarnflüchtling in Österreich. In der Schule, am Arbeitsplatz und bei der Anerkennung ihrer Qualifikationen war ihnen das Volk und die Bürokratie nicht mehr so wohl gesonnen wie in den ersten Tagen. Der Sozialpsychologe Hans Strotzka, der mit einer Studie über die Ungarnflüchtlinge beauftragt wurde, kam zum Schluss, dass die emotionale Zuwendung der ÖsterreicherInnen nur so lange vorhielt, als die Flüchtlinge das von ihnen erwartete Verhalten hilfloser Kinder an den Tag legten. „Wenn Flüchtlinge jedoch im gleichen Espresso verkehrten, im gleichen Geschäft unter Umständen einmal etwas Besonderes kauften, so zeigte sich nach Strotzka „eine fast gesetzmäßige Aggression“.
Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre kamen abermals massenhaft Fremde in die Bundeshauptstadt. Gastarbeiter aus Anatolien und Serbien wurden aus Zügen und Bussen am Wiener Südbahnhof ausgeladen und von den Firmen, die sie angeworben hatten, in Barackensiedlungen nahe den Großbaustellen verfrachtet. Ihr Aufenthaltsrecht war an die Arbeit im jeweiligen Betrieb gebunden, selbst ein Wohnungswechsel oder eine Weiterqualifizerung war nicht möglich. Wollten sie einen Deutschkurs besuchen, so mussten sie das auf eigene Kosten tun, nach einem anstrengenden Arbeitstag. Integration war nicht erwünscht.
Als 1973 die weltweite Rezession auch in Österreich spürbar wurde, forderten die Gewerkschaften vehement die Rückführung der Fremden. Viele blieben nach langen Jahren der Arbeit und genügsamen Lebens dennoch in Österreich, holten Frauen und Kinder nach, von denen sich der kleinere Teil aus prekären Verhältnissen hocharbeitete. Anders als in Deutschland durften österreichische GastarbeiterInnen nicht als Betriebsräte kandidieren. Das Gesetz wurde erst 2006 geändert.
Strukturbereinigung
Als Jörg Haider in den 80er Jahren seine ersten Anti-Ausländerkämpfe als FPÖ-Chef in die rhetorische Frage kleidete, ob es denn notwendig sei, „dass wir bei 140.000 Arbeitslosen 180.000 Ausländer im Land haben“, war der Boden schon vorbereitet. Dem Zustrom rumänischer und polnischer Wirtschaftsflüchtlinge nach dem Zusammenbruch des Kommunismus 1989 begegneten auch die Parteien der großen Koalition, SPÖ und ÖVP, mit Härte. Massenabschiebungen von Rumänen in plombierten Zügen und Bussen scheiterten zwar am öffentiichen Widerstand, der eine oder andere Transport fand dennoch statt.
Die sozialdemokratisch geführte Regierung beschloss ein neues Aufenthaltsgesetz, das keine bürokratische Bosheit ausließ, die man sich gegen Menschen ausdenken kann. Dekrediert wurden 10 Quadratmeter pro Kopf und wenn eine Großfamilie nicht den geforderten, angeblich „ortsüblichen“ Wohnraum nachweisen konnte, wurde der Antrag abschlägig beschieden. Wer zu wenig verdiente oder von Sozialhilfe lebte, hatte ebenfalls keine Chance, hier zu bleiben. Ein lächerlicher Formfehler beim Ausfüllen des Antrags konnte zum Verhängnis werden. „Strukturbereinigung“ des Gastarbeiterproblems, so wurde das in den Erläuterungen zum Gesetzestext damals genannt.
Selbst ein Unwort wie „Überfremdung“ entsprang der Bürokratie der sozialdemokratischen Verwaltung in Wien. Ausländische Familienväter, selbst wenn sie schon dutzende Jahre in Österreich gearbeitet hatten, wurden schon einmal mit der Begründung, der „Grad der Überfremdung“ sei bereits überschritten, in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt. Und ihre Familien mit ihnen.
Bei Kommunalwahlen feierten die Freiheitlichen mit dem Ausländerthema trotzdem einen
Erdrutschsieg nach dem anderen. Innerhalb der SPÖ wurde gestritten, ob man der Stimmung gegen Ausländer nachgeben oder sie bekämpfen solle. Die KontrahentInnen einigten sich auf die Floskel, die Ängste der Menschen seien „ernst zu nehmen“ und gaben sich der irrigen Hoffnung hin, das Einfallstor der Populisten werde sich irgendwann von selbst schließen. Vereinzelt gab es Bemühungen, den durchwegs krausen Behauptungen der FPÖ, Ausländer bekämen von dem, was sie an Steuern zahlten, ein Vielfaches an Sozialleistungen zurück und billigste Gemeindewohnungen obendrein, mit Sachargumenten zu begegnen. Doch das blieben einsame Rufe der Vernunft.
In der Wirklichkeit hat sich die Politik aller Parteien – bis auf die Grünen, das soll zu ihrer Ehrenrettung erwähnt werden – nicht über die Stimmung am Stammtisch erhoben.
Neuerdings wird das am – äußerst fahrlässig geplanten – Asylaufnahmezentrum im Südburgenland vorgeführt. SPÖ-Landeshauptmann Hans Niessl macht aus der kochenden Anti-Ausländerstimmung einen Wahlkampfschlager, in der Erwartung, bei den kommenden Landtagswahlen die absolute Mehrheit zu erringen. Der ÖVP-Bürgermeister von Eberau, der zuerst für das Asylzentrum war, ist nun auch dagegen.
Dabei sollten es die BurgenländerInnen eigentlich besser wissen. In keiner anderen Region Österreichs gab es vor einem Jahrhundert eine solch massenhafte Auswanderung nach Amerika wie im Südburgenland. Bis 1914 waren 170.000 BurgenländerInnen, verarmte Bauern und Handwerker, nach wochenlanger Schiffspassage bei New York auf Ellis Island gelandet, um in der neuen Heimat eine neue Existenz zu finden: tapfere Wirtschaftsflüchtlinge.
Christa Zöchling ist Redakteurin des österreichischen Nachrichtenmagazins "profil".