Wiedergeburt eines Begriffs
Völkische Konzepte scheinen auch in der Mainstreampolitik immer wieder durch. Was gestern noch als verhetzend galt, findet sich heute in der politischen Mitte. Text: Andreas Peham. Bilder: Karin Wasner
Es gehört zu den Lebenslügen der politischen wie sozialen Mitte, wonach Antisemitismus und Rassismus immer und ausschließlich am rechten Rand zu verorten seien. Die Nazis sind auch heute immer die anderen – am öftesten arbeitslose Jugendliche aus zerrütteten Verhältnissen. Die viel strapazierten „Modernisierungsverlierer“ kriegen so zum Schaden auch noch den Vorwurf.
Um von der Tatsache abzulenken, dass der Rechtsextremismus auch ein radikalisierter Konservativismus ist und mit diesem eine anti-egalitäre und elitäre Grundhaltung teilt, hat man den „Verfassungsbogen“ erfunden. Der kann dann so lange gebogen werden, bis sich die extremistischen Ränder berühren.
Ventil für Leistungsdruck
Mit der Behauptung eines klaren Bruches zwischen Totalitarismus und bürgerlicher Demokratie, Faschismus und Liberalismus, Rechtsextremismus und Konservativismus, soll jede strukturelle Überschneidung und ideologische Kontinuität ausgeblendet werden. Derer gäbe es aber viele: Zu nennen wäre etwa das sich permanent verschärfende Leistungs- und Konkurrenzprinzip, das im rechtsextremen Diskurs dann nur mehr zum Sozialdarwinismus radikalisiert zu werden braucht. Gerade die autoritäre Aggression gegen alles Schwache entspricht in ihren Grundzügen der Rationalität und den Normen der spätbürgerlichen Erfolgsgesellschaft. Jugendliche, welche die zentralen Werte dieser Gesellschaft verinnerlicht haben und geradezu vom neoliberalen Leistungsdenken beherrscht sind, sich also nur selbst als ihres Glückes Schmied begreifen, können sich in der Krise oder angesichts drohender Arbeitslosigkeit ihr Unglück dann ursächlich nur selber zuschreiben. Weil aber gerade Adoleszente mit (dieser) Schuld oft nicht oder nur sehr schwer umgehen können, sind sie dauernd auf der Suche nach Sündenböcken, die verantwortlich sein sollen für ihre Misere.
Neue Diskursgrenzen
Unbestritten ist auch die Rolle der Medien- und Elitendiskurse, insbesondere für die (Re-)Produktion von Rassismus, der eben bei weitem kein Randgruppenphänomen darstellt: Die Annahme eines „Ausländerproblems“ muss mittlerweile als hegemonial bezeichnet werden, lediglich über dessen Lösung wird noch gestritten. Wenn bei diesem Streit mal über die Stränge geschlagen und gegen muslimische „Kinderschänder“ und amerikanische „Exiljuden“ gehetzt wird, dann ist überall die Rede vom Tabubruch. Bei allem abwehrenden Charakter dieser Behauptung – ganz falsch ist sie nicht: Als zentrales ideologisches Element der passiven Reformierung der Verhältnisse in den 1970er Jahren kann das Zurückdrängen von Antisemitismus und Rassismus
Noch 1991 sah der Verfassungsgerichtshof im Begriff der „Überfremdung“ einen Beleg für verhetzende Absicht. Acht Jahre später plakatierte die Wiener FPÖ an fast jeder Straßenecke „Stopp der Überfremdung!“
ins Private gesehen werden. Im Zuge der neokonservativen und -liberalen Gegenreform und des parallel dazu verlaufenden Aufstiegs des parteiförmigen Rechtsextremismus ab den späten 1980ern wurden diese Diskursgrenzen neu gezogen. Die These einer Normalisierung des Rassismus lässt sich erhärten mit einem Blick auf die Geschichte der Agitation gegen eine angebliche „Überfremdung“: Noch 1991 sah der österreichische Verfassungsgerichtshof in der oftmaligen und exzessiven Verwendung dieses rassistischen Kampfbegriffes einen Beleg für verhetzende Absicht und neonazistische Gesinnung. Acht Jahre später plakatierte die Wiener FPÖ an fast jeder Straßenecke „Stopp der Überfremdung!“. Dann fand das Hetzwort Mitte der 1990er Jahre Eingang in Bescheide des Wiener Magistrats (die „Überfremdungsbescheide“ der MA 62 unter Verantwortung von Werner Sokop) und Medien begannen, es in der antimuslimischen Variante („Islamisierung“) ohne jede kritische Distanz zu verwenden. Mittlerweile ist aus dem Un- ein beliebtes Schlagwort geworden, auf das - leicht abgewandelt - auch ÖVP-Politiker wie der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll ungeniert zurückgreifen: 2007 erkannte dieser in Minaretten etwas „Artfremdes“, was „auf Dauer in einer Kultur nicht gut tut." Und für den damaligen ÖVP-Generalsekretär Hannes Missethon war es im Frühsommer 2007 „nur eine Frage der Zeit, bis die Kinder mit nicht deutscher Muttersprache in der Mehrheit“ und „wir irgendwann türkisch“ sind. Wer sich daran noch stößt, wird umgehend als „Gutmensch“ denunziert – was im Übrigen das unterdrückte Wissen um die moralische Verwerflichkeit von Antisemitismus und Rassismus verrät.
Schutz im nationalen Kollektiv
Leidenschaftliche Mitgliedschaft in der Hetzmasse ersetzt zunehmend die wohlfahrtsstaatliche Integration. Die überbordenden Sicherheitsdiskurse tun dann das Ihrige, um Menschen Angst zu machen und Zuflucht bei starken Männern oder im nationalen Kollektiv suchen zu lassen. Während zuvor die Sozialdemokratie vermochte, die „kleinen Leute“ vor allem über materielle Transferleistungen an sich und den Staat zu binden, erfolgt die Integration nunmehr in erster Linie ideologisch. Der integrale oder völkische Nationalismus hat erfolgreich den Sozialpatriotismus abgelöst. War letzterer noch bestimmt von positiver Identifikation als BürgerInnen eines neutralen, international angesehenen und prosperierenden Staates, so dominiert bei Ersterem die aggressive Abgrenzung vom (inneren) Ausland. Die völkische Aktualisierung des Nationalismus bedeutete also eine Radikalisierung, da die nationalen Grenzziehungen und Ausschlussmechanismen rigider wurden.
Neonazis als bewaffneter Arm der Stammtische und fanatische Übertreiber der herrschenden
Während zuvor die Sozialdemokratie vermochte, die „kleinen Leute“ vor allem über materielle Transferleistungen an sich und den Staat zu binden, erfolgt Integration nunmehr ideologisch.
Normalität findet unter solchen hegemonialen Verhältnissen ideale Bedingungen vor. Und so braucht es uns nicht zu überraschen, dass die „bürgerliche Wende“ begleitet war von einer Zunahme neonazistischer Organisierung und Gewalt. Manche Regionen Österreichs wie etwa Teile des Inn- und Hausruckviertels brauchen den Vergleich mit „national befreiten Zonen“ nicht mehr zu scheuen: In Bezirken wie Braunau, Ried im Innkreis, Wels oder Linz Land haben Neonazis mehr oder weniger das staatliche Gewaltmonopol gebrochen, beginnen selbst organisierte „Bürgerwehren“ zu bestimmen, wer sich auf der Straße sehen lassen darf.
Will die Warnung vor dem und die kritische Analyse des Rechtsextremismus nicht zur Legitimation der herrschenden Zustände beitragen, muss sie auch diese ins Visier nehmen. Das gilt etwa für die Rücknahme der sozialen Staatsfunktionen zugunsten der repressiven, die Entleerung des Politischen durch die permanenten Hinweise auf die Sachzwänge des Konkurrenzkampfes der Standorte. Auch die Kritik des Bewegungsrassismus wird falsch, wenn sie über den staatlichen Rassismus, das immer restriktivere und mittlerweile an die Grenzen der Verfassung stoßende Migrationsregime schweigt. Eine glaubhafte Kritik des Rechtsextremismus muss also eine Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse sein, die ihn hervorbringen und begünstigen.
Andreas Peham ist Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes (DÖW)