‚Diversität muss nicht sein’
Der Migrationsforscher Heinz Fassmann hat beim Integrations-Plan des Innenministeriums mitgearbeitet. Heute sieht er ihn mit Skepsis. Im Interview erklärt er, warum, und warum er von mehrsprachigen Schulen wenig hält. Interview: Maria Sterkl, Bilder: Magdalena Blaszczuk
Sie haben beim Nationalen Aktionsplan für Integration (NAP-I) des Innenministeriums mitgearbeitet. Welches Bild von Integration spiegelt sich darin wider?
Bei manchen Aussagen geht es weniger um die Idee von Integration als Partizipationsprozess, sondern eher um die Einhaltung von Recht und Ordnung. Der NAP-I (Nationale Aktionsplan – Integration, Anm.) ist der Versuch, zu einer konzertierten Aktion im Integrationsbereich zu kommen. Es wird wohl beim Versuch bleiben – ohne Kompetenz und ohne Geld. Ich bin daher skeptisch. Auf der anderen Seite ist er besser als nichts: Wir haben den Begriff der Integration wenigstens für einige Zeit an die Oberfläche der politischen Öffentlichkeit gespült.
Was ist Integration? Sie haben sie im NAP-I als einen Prozess bezeichnet, der nicht nur Zugewanderte, sondern alle möglichen Gruppen betrifft. Bei den ImmigrantInnen komme aber dazu, dass sie sich mit zwei verschiedenen Wertesystemen auseinandersetzen müssen. Tun sie das wirklich?
Als Zuwanderer ist man natürlich in einer anderen Gesellschaft sozialisiert worden. Zuwanderer haben sozusagen zwei verschiedene Sozialisationsformen zu berücksichtigen, während wir nur eine haben.
Sie sprechen vom „Anderen“. Aber anders als was? Wie sieht dieses österreichische Wertesystem aus? Man braucht sich ja nur die drei Bundespräsidentschafts-KandidatInnen anschauen: Drei ÖsterreicherInnen, drei ziemlich unterschiedliche Sozialisationen.
Im Detail, ja. Aber ich glaube nicht, dass unter den Kandidaten beispielsweise bei der Frage, ob Bildung etwas Wichtiges ist, große Unterschiede existieren. Es gibt aber Sozialisationen in Herkunftsgesellschaften, wo beispielsweise weiterführende Schulbildung nicht so einen hohen Stellenwert besitzt.
Sehen Sie diese Sozialisationsformen nicht auch in österreichischen ArbeiterInnenmilieus?
Ja, sicher. Ich weiß auch, worauf Sie hinauswollen: Dass es nichts Uniformes in einer pluralistischen Gesellschaft gibt. Das ist natürlich so. Aber ein Ex-Jugoslawe aus dem ländlichen Arbeitermilieu wird trotzdem eine andere Sozialisation erfahren haben als ein österreichischer Arbeiter aus dem ländlichen Raum. Diese Unterschiedlichkeit kann und soll man nicht wegdiskutieren.
Schwierig wird es nur, wenn man versucht, diese Sozialisation zu charakterisieren.
Das glaube ich weniger. Schwierig wird es dann, wenn ich meine, Normen erlassen zu müssen, die sagen, was richtig und was falsch ist.
In welches der verschiedenen Wertesysteme einer pluralistischen Gesellschaft sollen sich also Zugewanderte „integrieren“? Dass sie das tun, wird ja gefordert.
In den, wenn Sie so wollen, jeweils sozialgruppenspezifischen Teil einer Zielregion.
Also die serbische Arbeiterin ins Wiener Arbeiterinnen-Milieu?
Ja, so ist es.
Wie verträgt sich das mit der Ansicht, wonach Integration bedeutet, alle gesellschaftlichen Gruppen zu umfassen und benachteiligten Schichten den Aufstieg zu ermöglichen?
Das Wesentliche der Integrationsdefinition ist ja nicht die Angleichung. Sondern die Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen und Ressourcen: Teilhabe am Arbeitsmarkt, beim Wohnen und bei der Bildung.
Dennoch stellt sich die Frage, inwieweit man von Zugewanderten Assimilierung verlangt, und inwieweit man ihnen zugesteht, sich zu segmentieren.
Das ist eine politische Entscheidung. Und eine sehr schwierige. Denn wo ist die Grenze zwischen Diversität, dem Eröffnen kultureller Freiräume einerseits, und einer segmentierten Gesellschaft andererseits?
In welche Richtung bewegt sich die österreichische Innenpolitik? Eher in Richtung Angleichung oder eher in Richtung Segmentierung?
Ich bin unzufrieden damit, wie die Frage behandelt wird. Jeder sagt, er ist für Integration – wofür denn auch sonst. Aber keiner sagt genau, was für ein Modell er darunter versteht. Ich habe den Verdacht, dass die meisten Angleichung meinen. Denn wenn man Politiker damit konfrontiert, ob sie Assimilation anstreben, dann werden sie sagen: „Nein, überhaupt nicht.“ Da fehlt mir Klarheit, da fehlt mir konzeptionelles Denken.
Ist die fehlende Klarheit etwas bewusst Erstrebtes? Bleibt man bewusst unklar, um sich Spielraum für Kompromisse mit allen möglichen politischen MitbewerberInnen zu erhalten?
Mag sein, ja. Unklarheit ist eben immer ein willkommenes Instrument, relativ rasch auf einer oberflächlichen Ebene Konsens zu erzielen.
Die „Anstöße“, eine Plattform von NGOs, fordern mehrsprachigen Unterricht und flächendeckend Dolmetschdienste auf Ämtern, in Spitälern. Verträgt sich das mit der Forderung nach Deutschkenntnissen auf allen Ebenen?
Wir haben schon jetzt die Mehrsprachigkeit mit Deutsch und Englich. Und es spricht nichts dagegen, Muttersprachen zu fördern.Ich will mich aber dagegen verwehren, dass man sagt: "Diversität muss sein." Denn wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft, und da muss man zur Kenntnis nehmen, dass es Menschen gibt, die sagen: Ich will Österreicher werden, und ich will nur noch Deutsch sprechen. Man darf nicht eine Norm durch eine andere ersetzen, die einen Ausschließungscharakter besitzt. Wie viele Sprachen sollen Kinder neben Deutsch, Englisch, Französisch noch können? Also ich hoffe, wir landen nicht dort, was man in der Soziologie doppelte Halbsprachigkeit nennt.
Kasten zur Person:
Univ-Prof. Heinz Fassmann (55) hat im Auftrag des BMI Kriterien für ein „Integrationsmonitoring“ entwickelt. Zudem ist er Herausgeber des vom Innenministeriums maßgeblich finanzierten Integrations- und Migrationsberichtes.