Honig zum Schmieren
Die Türkei sucht jedes Jahr den Superstar der Muezzins. Ein junger Filmemacher begleitete einige der Kandidaten und fand dabei interessante Einblicke in ein Milieu Istanbuls. Text: Gunnar Landsgesell, Fotos: Filmladen
Allein der Filmtitel weckt Emotionen. In der aktuellen öffentlichen Wahrnehmung ist das fast unvermeidlich. Man denke an einen Dokumentarfilm über einen Muezzin in Österreich, er würde schnell zur Pummerin führen. Sebastian Brameshuber leistet sich den Luxus, einfach nur den Menschen hinter der Stimme zu zeigen. Er portraitiert mehrere Muezzins in Istanbul, die an einem landesweiten Wettbewerb teilnehmen. In etwa: Die Türkei sucht den Muezzin-Superstar.
In höchsten Tonlagen
Trotz vieler Schauplätze in und um Moscheen kommt Religion in diesem Film kaum vor. Das dürfte einige ZuseherInnen überraschen. Der Ausrufer, der die Menschen an das Gebet erinnert, muss kein Geistlicher sein. Er ist Sänger. Er hätte auch Popstar werden können, sagt ein Kandidat. Falls er nicht gewinnt, bleibt die Option immer noch offen. Brameshuber richtet seinen Film zwischen dem sozialen Background der Kandidaten und ihren Vorbereitungsritualen aus. Da gibt es ganz grundsätzlich einiges zu erklären, der Film schafft dort Raum, wo das ideologische Dickicht der Diskussionen diesen nicht zulässt. Mit der Frage, was einen guten Muezzin eigentlich ausmacht, richtet sich der Blick auf jene ganz profanen Dinge, die auch die Kandidaten selbst bewegen. Ihre Sorgen kreisen hauptsächlich um ihre Stimmbänder. Voll muss die Stimme klingen, und möglichst hoch. Trockenes Brot zerbröselt jedes Klangvolumen. Der gewiefte Kandidat lässt einen Löffel Honig die Kehle hinunter rinnen, bevor er zum Gebet ansetzt. Er stimmt sich mit dem Walkman in der Moschee bei der Ausscheidung ein oder versucht, möglichst viel von der sakralen Atmosphäre der Moschee in sich einzusaugen, um seinen Tönen gewissermaßen den richtigen Drive zu geben. Die Strategien für den Sieg sehen unterschiedlich aus. Auch auf Showelemente scheint vertraut zu werden, wenn die Männer vor dem Mikrophon mimisch höchste Konzentration demonstrieren, die Augen schließen, die Handflächen an die Wangen pressen, Finger Richtung Ohren, um nicht allein mit ihren kurzen Chants die Jury zu überzeugen.
Brameshuber stattete seine Inszenierung mit viel Zurückhaltung aus. Ideologische Standpunkte sucht er zu vermeiden. Einige der Beobachtungen, die dieser Film ermöglicht, vermitteln mehr Einblicke als die Interviewpassagen selbst. Allein der Wettbewerb. Sämtliche Beteiligte, vom ehrgeizigen Gesangslehrer Habil Önes, er ist zugleich Vorsteher der stattlichen Valide Sultan Moschee in Istanbul, bis zum Kandidaten, der sich mit seinen Kindern auch auf den winkenden Geldsegen freut, sind weniger auf den Pfaden innerer Erleuchtung als auf denen des erhofften Sieges unterwegs. Hier spielt vielleicht das laizistische Staatsmodell Atatürks hinein, wo das Präsidium für Religiöse Angelegenheiten über alle diesbezüglichen Aktivitäten wacht. Die ganze Angelegenheit wirkt jedenfalls recht irdisch. Das gilt auch für den Preis, den der Sieger in der Edirne-Moschee, ganz im Westen der Türkei, entgegennimmt. Der Muezzin packt die Geschenke zu Hause stolz vor seiner Familie aus: ein paar Goldmünzen, einen mit Edelmetall verkleideten Koran samt Halterung, eine Satin-Bettwäsche, eine Wanduhr für die Küche, einen Mixer, eine schwarz-türkise Krawatte, einige Bücher, eine Armbanduhr, ein grell gehaltenes Bild der Edirne-Moschee.
Das Sakrale findet kaum Eingang in die Repräsentationsweisen dieses Films. Der Arbeitsplatz, den einer der Muezzins besteigt, zeigt nackte Stahlbetonwände. Von den Tausenden Moscheen der Stadt entsprechen nur die wenigsten der Vorstellung reich geschmückten Orients. Oftmals kommt der Gesang aber einfach auch aus dem Lautsprecher, eingespielt von anderswo. Die Moscheen der Kandidaten stehen in Vororten zwischen Plattenbauten oder auch an unruhigen Verkehrsknoten. Ein Muezzin kann zugleich auch Imam, also Moschee-Vorsteher (und dennoch kein Geistlicher) sein, der zum Beispiel einen schwarzen Anzug trägt, und damit die Stiegen vor dem Gottesbau reinigt. Autorität, wie sie Christen dem Pfarrer als exklusiver Mittler zu Gott zusprechen, ist hier nicht zu finden. Der Muezzin ist vor allem einer, den Gott mit einer schönen Stimme ausgestattet hat. Erfolg ist für ihn, wenn er so ´viele Gläubige wie möglich in die Moschee locken kann. In dieser Erzählung wird so verständlich, dass die Attraktivität des eigenen Betriebs gerne übertrieben wird. In einer Szene nutzt ein Moschee-Mitarbeiter in einem der Außenbezirke Istanbuls die Präsenz der Kamera, um zu betonen, wie beliebt man hier sei. Der Sprecher eines angrenzenden Bezirks hätte sogar verlangt, die Lautsprecher des Minaretts stärker in diese Richtung zu drehen. Sein Kollege stört unerwartet, wenn er anfügt, dass viele Anrainer sich auch beschweren würden. Ja, aber nur über die Lautstärke, erwidert der andere pikiert. Kulturkämpfe entpuppen sich hier als schlichte soziale Konflikte.
Zuhause beim Muezzin
Frauen kochen, das Oberhaupt sitzt beim Tisch und wartet. Ein bekanntes Bild, auch wenn es hier keine Brennnesselsuppe gibt. Die Tochter des Muezzin-Gesangslehrers und Imams Habil Önes erzählt, dass sie die Aufnahmeprüfung für das Konservatorium der Marmara Universität geschafft habe. Der Vater hätte ihr das Studium aber verboten, Gesang professionell auszuüben sei eine Sünde. Auch, dass sie mit der Ausbildung Musiklehrerin an der Schule werden könnte, habe er ihr verweigert. Die sozialen Hintergründe erweisen sich bei Brameshubers Vorbetern als konservativ-nationalistische Mischung. Ein anderer, der offenbar eine Gruppe von Buben beim Fussball trainiert, fragt einen der Jungen, warum er ein Trikot mit einem ausländischen Namen trage. Die Bewahrung von Tradition und die Verteidigung des Vaterlandes finden in ´„Muezzin“ zu einer fast logischen Verbindung. Brameshuber lässt sie durchscheinen, ohne die Dynamiken des Wettbewerbs aus den Augen zu verlieren. Der junge Oberösterreicher versucht keine Brückenschläge der Kulturen, keine Sympathieoffensiven für seine Protagonisten, er stellt deren patriarchale Haltungen aber auch nicht aus. Die Pummerin, die stillste Glocke Österreichs, sollen andere schlagen.