Bewusstes Einkaufen?
Per Langstreckenflug ins Ökoressort jetten und durch den Kauf von Fischstäbchen Meeresprojekte finanzieren. Wie lässt sich durch Konsum und CSR die Welt verbessern, Frau Hartmann?
Interview: Mark Hammer Fotos: Stephanie Fuessenich
Frau Hartmann, Sie schreiben in Ihrem Buch „Ende der Märchenstunde“, dass die Industrie die Life-Style-Ökos vereinnahmt. Wie geschieht das?
Das Märchen erzählen zwei Lager. Zum einen die LOHAS (Menschen, die einen Lifestyle of Health and Sustainability leben, Anm.): Sie behaupten, dass, wenn man seinen Konsum nach ethischen und ökologischen Kriterien gestaltet und entsprechende Produkte kauft, Unternehmen nur mehr solche Produkte herstellen, dass man also durch seinen Konsum die Wirtschaft ändert. Die Unternehmen springen auf diesen Trend auf und erzählen das Märchen, dass man die Welt retten kann, wenn man ihre Produkte kauft.
Durch Öko- und Fair-Trade-Produkte wird die Welt nicht besser?
Ein Bioprodukt aus regionaler Herkunft oder fair gehandelter Kaffee sind etwas anderes als Fischstäbchen, von deren Preis eine Spende an ein Meeresschutzprojekt geht. Doch Bio ist auch nicht toll, wenn man seine Ernährungs- und Lebensweise nicht ändert. Bio ist die Idee einer ressourcenschonenden, umwelt-, tier- und menschenfreundlichen Landwirtschaft. Ein brasilianisches Bio-Rindersteak, für das Regenwald gerodet wurde, verstößt fundamental gegen diese Idee. Und wenn man im Jänner auf Erdbeeren beharrt, ist das auch nicht besser, wenn sie bio sind: sie werden in heißen trocknen Ländern angebaut, wo der hohe Wasserverbrauch die Umwelt schädigt.
Betrifft diese Kritik auch LOHAS? Ich dachte, das sind schon Menschen, die auf Erdbeeren im Jänner verzichten.
LOHAS ist ja auch ein Marketingbegriff. Er definiert eine besserverdienende Käuferschicht, für die Bio eine andere Qualität hat, als für die klassischen Ökos. Die wollten keine Erdbeeren im Jänner oder Bio-Frühkartoffeln aus Ägypten. Dass solche Produkte jetzt auf den Märkten sind, ist eine Folge davon, dass LOHAS Verzicht und Ideologien ablehnen und stattdessen Glamour und Luxus mit ökologischen Komponenten vermischen. Es ist die Idee, dass man so weiter machen kann wie bisher, wenn man seinen Luxuskonsum ein bisschen ethischer gestaltet, aber eben nicht verzichtet.
Was wäre die Alternative? Konsumverzicht?
Ein Lebensstil des Weniger ist absolut notwendig. Aber es wird immer nur eine kleine Gruppe von Menschen ihr Leben danach ausrichten. Politik oder Wirtschaft kann man also nicht durch seinen Lebensstil ändern. Da wird nie eine kritische Masse zustande kommen. Die Alternative ist das altmodische Protestieren, das Ausschöpfen demokratischer Möglichkeiten. Kein Unternehmen ändert seine Wirtschaftsweise freiwillig, wenn es davon profitiert, dass es produzieren kann, wo es am billigsten ist und wo es die niedrigsten Umwelt- und Sozialstandards gibt. Deswegen braucht es politisches Engagement. Aber an dessen Stelle ist ein merkwürdiger ökonomischer Pragmatismus gerückt. Man glaubt, dass man durch Einkaufen und Konzernbelohnung etwas ändern kann. Das ist aber nicht der Fall.
Was, wenn alle Menschen umsteigen?
Fairer Handel kann eine faire Weltwirtschaft nicht ersetzen. Er ist angetreten, um die schlimmsten Auswirkungen zu lindern. Jetzt machen Konzerne bei dieser Öko- und Ethikwelle mit, nehmen ein bisschen fairen Kaffee und Kakao ins Programm, stellen aber nicht ihr ganzes Programm um. Es wäre viel gewonnen, wenn Konzerne allen ihren Produzenten Preise zahlen würden, von denen sie leben können. Das macht natürlich kein Unternehmen. Statt dessen setzen sich Lobbyverbände auf EU-Ebene für die Liberalisierung der globalen Märkte ein.
Wenn aber alle KonsumentInnen nur mehr faire und Bioprodukte nachfragen würden?
Das wäre zwar schön, wird aber nicht passieren. Nach Umfragen findet mehr als die Hälfte der Deutschen fairen Handel gut, aber der Marktanteil liegt trotz Boom bei einem Prozent oder darunter. Auch Bio hatte während des Booms Wachstumsraten von bis zu 20 Prozent – aber der Anteil am Lebensmittelmarkt ist immer noch eine Nische von vier Prozent. Und die Wachstumsraten sind wieder einstellig. Bioprodukte sind auch eine Geldfrage. Das kann sich einfach nicht jeder leisten. Solange es Billigflüge um zehn Euro gibt, wird man auch genügend Leute finden, die das annehmen. Verzicht in einem nennenswerten Ausmaß gibt es nicht. Es ist sinnvoller, Leute zu Bürgeraktionen zu animieren. Es macht einen größeren Unterschied, wenn Tausend Leute mehr bei einer Demonstration sind, als wenn Tausend Leute ihren Konsum umstellen. Das hat man im April in Deutschland gesehen: 120.000 Leute haben in einer Menschenkette gegen Atomkraft protestiert – das ist gesellschaftliche Kraft!
Die Menschen sollten sich also politisch mehr einbringen?
Ja. Gesellschaftliche Veränderungen sind noch nie durch Konsum entstanden. Dinge ändern sich nicht, wenn man sich ein gutes Gewissen im Supermarkt kauft, glaubt, man hat seinen Beitrag geleistet und nicht weiter behelligt werden möchte. Daraus entsteht keine Wut, sondern Stillstand. Weil es dazu führt, dass Unternehmen aus der Kritik geraten und sich eine Verantwortung auf die Fahnen schreiben, die sie in ihrem Kerngeschäft nachweislich nicht wahrnehmen. Man muss Unternehmen und die Politik unter Druck setzen, damit es Regulierungen gibt.
Sie schreiben im Zusammenhang mit LOHAS von einer Kastengesellschaft.
Dieser Lebensstil ist eine elitäre Idee. Bio-Produkte und öko-faire Kleidung sind leider teuer. LOHAS bleiben unter sich, stecken ihre Kinder in den besseren Kindergarten, wo nur bio gekocht und wo Englisch unterrichtet wird. Es ist aber kein solidarisches Prinzip, zu sagen, dass die, die schlecht einkaufen, die schlechteren Menschen sind. Den Harz-IV-Empfänger verbindet mit der Näherin in Bangladesch ein großes Problem: aus einem System ausgeschlossen zu werden, das nach dem Recht des Stärkeren funktioniert.
Sie waren Redakteurin bei „Neon“. Sind LOHAS nicht auch Zielgruppe dieser Zeitschrift?
LOHAS sind etablierte Erwachsene mit hohem Einkommen, Neon-Leser sind Berufsanfänger, junge Erwachsene zwischen 20 und Anfang 30. Klassische LOHAS-Themen wie Öko-Konsum, Wellness, Green Glamour kommen in Neon eher nicht vor. Ich selbst war übrigens schon als Redakteurin deren Kritikerin. Mein Buch ging aus einem Leitartikel hervor, den ich in Neon gegen LOHAS und Greenwashing geschrieben habe.
Was halten Sie von CSR?
Gar nichts. Wenn ein Unternehmen freiwillig in Vietnam ein Kinderheim aufmacht und gleichzeitig in einem Nachbarland unter unerträglichen Bedingungen produziert, dann wiegt das eine das andere nicht auf. Es ist im Grunde ein Ablasshandel. CSR ist eine Einrichtung, um sich Gesetze vom Hals zu halten. Das ist eine Botschaft an Politik und Bürger: wir kümmern uns drum, wir brauchen keine Regeln und ihr Konsumenten könnt in Ruhe bei uns einkaufen. Sogar Unternehmen, die Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in gigantischem Ausmaß auf der ganzen Welt betreiben, haben eine CSR-Abteilung. Wenn eine Pharmafirma ein Projekt für Straßenkinder in Indien finanziert, hilft das ein paar Kindern. Aber wenn die Firma gleichzeitig gerichtlich dafür sorgt, dass es in Indien kein günstiges Generikum für ein Krebsmedikament gibt, oder wenn sie bei uns längst verbotene Pestizide dort an die Baumwollbauern verkauft, dann ist das Straßenprojekt zwar ganz nett, aber es ändert nichts. Konzerne dürfen sich nicht aussuchen können, wie und auf welcher Seite sie die Welt retten. Es braucht ein gesellschaftliches Übereinkommen darüber.
Buch:
Kathrin Hartmann
Ende der Märchenstunde. Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt
Blessing Verlag, 383 Seiten, 17,50 Euro
ZUR PERSON
Kathrin Hartmann
Kathrin Hartmann, geboren 1972 in Ulm, arbeitete als Politikredakteurin für die „Frankfurter Rundschau“ sowie für das Magazin „Neon“. Hartmann lebt und arbeitet in München.
Auf www.ende-der-maerchenstunde.de bloggt Hartmann über Lohas, CSR und ähnliche Themen.