Fleischhacker
Michael Fleischhacker hält die moralische Überlegenheit, in der sich die „machen wir uns stark“-Proponenten wähnen, für empörend.
Ja, die Zivilgesellschaft, das ist auch so eine. Zumindest ist sie nicht mehr das, was sie einmal war. Früher nämlich, als die Welt noch in zwei Teile geteilt war, den demokratischen und den totalitären, war klar, was „Zivilgesellschaft“ heißt: Das waren jene Menschen, die sich unter erheblichem Risiko dem Zugriff eines totalitären Staates auf alle Lebensbereiche der Menschen entzogen, um sich und ihresgleichen einen Freiheitsraum zu erkämpfen.
Dass die Prada-Demonstranten des Jahres 2000 gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ protestierten, hat mich nie gestört. Ich selbst hielt diesen Coup Wolfgang Schüssels, der die Blockade aufbrach, in die sich das sozialpartnerschaftlich-großkoalitionäre System manövriert hatte, bei aller Skepsis gegenüber der FPÖ und ihrem Personal für legitim. Aber natürlich war auch die lautstarke und sichtbare Ablehnung dieser Regierungsbeteiligung genau so legitim.
Empfindlich gestört hat mich, dass sich die Regierungsgegner zur „Zivilgesellschaft“ erklärten, denn das konnte nur zweierlei bedeuten: Dass sie über die Bedeutung des Begriffs nicht informiert waren, oder dass sie bewusst insinuierten, man habe es bei der FPÖ-ÖVP-Koalition mit einem totalitären Regime zu tun. Man missbrauchte einen Begriff, der über Jahrzehnte die Freiheitshelden jenseits des eisernen Vorhangs beschrieben hatte dazu, die eigene politische Position in einer liberalen Demokratie moralisch über die Position der politisch Andersdenkenden zu erhöhen. Das fand ich empörend.
Um ehrlich zu sein, hat sich an meiner Haltung gegenüber jenen, die sich selber als die „Zivilgesellschaft“ bezeichnen, kaum etwas geändert. Das hat damit zu tun, dass ich vor kurzem auf der Website der Initiative „machen wir uns stark“ den folgenden Text las:
„Zauderer, Zyniker und Zündler waren jetzt lange genug am Wort. Wir brauchen hier niemanden, der Menschen gegeneinander aufwiegelt. Wir verzichten auf alle, die Flüchtlinge und Arbeitslose zu Sündenböcken machen. Wir lassen uns auch nicht einreden, dass die Opfer der Finanzkrise an ihrem Schicksal selbst schuld sind. Diese Hetze vergiftet uns nur.“
Offensichtlich fällt den Proponenten im Vollbesitz ihres moralischen Überlegenheitsgefühls nicht auf, dass sie strukturell ungefähr das tun, was sie ihren Gegnern vorwerfen. Wer eine andere Fremdenpolitik, eine andere Schulpolitik oder eine andere Sozialpolitik vertritt als die selbst ernannte „Zivilgesellschaft“, ist also ein „Zauderer, Zyniker und Zündler“. Fein säuberlich wird da unterschieden: Wir, die Zivilgesellschaft, und die Anderen, die Zauderer, Zyniker und Zündler. Gleich danach heißt es dann: „Wir lassen uns nicht spalten. (…) Es gibt immer unterschiedliche Meinungen. Aber wir wollen vernünftig miteinander reden. Wir bauen nicht auf Sündenböcke. Wir bauen auf die Zukunft.“
Ich finde es ein wenig seltsam, dass ich als jemand, der in Schulfragen nicht an die alleinseligmachende Wirkung der undifferenzierten Gesamtschule glaubt, der nicht die staatswirtschaftlichen Phantasien des überwiegenden Teils der „machen wir uns stark“-Proponenten teilt und der mit der blauäugigen Zuwanderungspolitik der Diakonie und der Caritas wenig anfangen kann, als Zauderer und Zündler angesprochen werde (Zyniker ist in Ordnung). Vielleicht möchten die Herrschaften einmal das schöne Wort des polnischen Aphoristikers Stanislaw Jerzy Lec („Unfrisierte Gedanken“) meditieren: Üblicherweise übernimmt man im Kampf gegen einen Feind dessen schlechte Eigenschaften.
Zur Person:
Michael Fleischhacker, 1969 geboren, ist seit sechs Jahren Chefredakteur der Tageszeitung „Die Presse. Er arbeitete zuvor in den Redaktionen „Der Standard“ und „Kleine Zeitung“. Er ist Autor mehrerer Bücher, zuletzt: Politikerbeschimpfung. Das Ende der 2. Republik. Ecowin Verlag 2008.