Glücklich in Wien
Was braucht es, um in Wien glücklich zu leben? Sieben BürgerInnen dieser Stadt über ihre Forderungen und Wünsche.
Illustration: Eva Vasari
Wem gehört der Raum?
Von Peter Pilsl
Ich will und fordere Raum für mich und andere. Kraftvoll und lustvoll. Es gibt soviel Platz in Wien, aber der ist immer schon besetzt, gehört scheinbar und angeblich schon jemand anderem. Oder die Nutzungsrechte sind vergeben. Die Strasse gehört den Autos, die Wände darüber der Gewista und den Telekom-Werbungen, die Schönheit den Werbemodels, die Milch dem Billa und die Häuser sicher ned denen, die darin wohnen. Und für Menschen, die zu uns kommen wollen, oder politisch ein bisschen was besser machen wollen, ist auch kein Platz. Umbringen, abschieben, Gefängnis, Prozesse, Illegalisierung, Repression – Traurig und deprimierend ist das. Dauernd zu hören und zu spüren, dass kein Platz für die Dinge da ist, die wichtig und gut und sinnvoll sind. Und dafür jeden Tag mit dem Mist überschwemmt zu werden, dem der ganze Platz aus unerfindlichen Gründen angeblich gehört. Ich glaub das nicht. Der Raum ist für alle da!!
Und genau darum fehlt mir was ganz bestimmtes zum Glücklichsein: mehr Menschen die sich Raum und Platz nehmen. Menschen, die sich überlegen, was von dem vielen Platz und Raum rundherum eigentlich ihnen gehören sollte. Und sich fragen, warum ihr Raum angeblich wem anderen gehört. Und dann für sich, gemeinsam oder mit Vielen, ein Stück nehmen. Ein Stück Strasse, ein Stück Stadt, ein Stück Land. So – hier sind wir und wir tun jetzt endlich mal. Wir fordern keine Radwege, keine Mietrechtsreform, keine Bioprodukte, keine Entschärfung des Paragraphen 278a und auch keine ein bisschen humaneren Umgangsformen für die Guten unter den AusländerInnen. Weil das tun wir eh schon eine ganze Weile und der Platz für uns wird trotzdem ned so wirklich mehr. Sondern wir tun.
Wir nehmen Platz. Wir leben anders. Ein bisschen, ein paar Stunden im Monat, ein bisschen mehr, zwei Tage vielleicht und dann einmal viel. Soviel wie’s uns halt gut tut. Wie sich’s gut anspürt. Wer sich traut, findet plötzlich Raum und Platz – und… es macht glücklich. Versprochen.
Peter Pilsl ist Vorstand der IG Fahrrad und Gründer des IT-Unternehmens goldfisch.at.
Prost!
Von Sedat Pero
Wir, die große österreichische Nation, haben den Krieg gegen drei Kinder und eine arme Mutter gewonnen. Wir haben es mit unseren Ministern und Polizisten geschafft, die Familie Zogaj in den Kosovo zu schicken. Jetzt können wir zufrieden Wurst, Schweinsbraten, Schnitzel essen und dazu unser Bier trinken. Und anschließend furzen: Prost! Menschen nach acht Jahren zurück in die Heimat zu schicken ist illegal!
Die Familie Zogaj ist nur ein Beispiel, das in den Medien bekannt wurde. Es gibt in Österreich Tausende von Menschen, die jeden Tag mit der gleichen Angst aufwachen, in die Heimat verschoben zu werden. Ein Bekannter, der auch seit Jahren um ein Visum kämpft, bekommt mit seiner österreichischen Freundin bald eine Tochter. Es ist noch immer unklar, ob er bleiben darf. Er hat beschlossen das Mädchen „Asyl Gerichtshof“ zu nennen. Ich finde das ganz cool. Wer weiß, vielleicht wird seine Tochter eine Ministerin mit diesem schönen Namen.
Die ÖsterreicherInnen kennen die MigrantInnen zu wenig. Noch schlimmer ist, dass sie sich gar nicht bemühen, sie kennenzulernen. Aber sie fliegen nach „Arabien“. Das sagen manchmal sogar Akademiker. Manche reden auch von der „afghanischen Sprache“.
Also, wir Österreicher interessieren uns überhaupt nicht für unsere Nachbarn. Aber wir setzen uns zu Weihnachten zum Computer und surfen nach einem billigen All–inclusive-Urlaub in „Arabien.“
Die österreichische Integrationspolitik ist schon vor vielen Jahren gescheitert. Der Beweis dafür ist die in den letzten Jahren immer strengere Gesetzgebung hinsichtlich MigrantInnen. Weil man die Thematik „Migration und Integration“ nicht richtig analysieren, verstehen und angehen will, versucht man jetzt das Problem mit strengen Gesetzen zu lösen. Dieser Vorgang bedeutet für viele Menschen, in die Heimat abgeschoben zu werden. Ich fühle mich in dieser Stadt glücklich, wenn ich aufstehe und keine Angst habe, in die Heimat abgeschoben zu werden.
Sedat Pero ist Schöpfer des Satireformats „Die dritte Türkenbelagerung“ auf Okto TV.
Diskoapartheid
Von Clara Akinyosoye
Wer schon das Vergnügen hatte andere europäische Metropolen zu besichtigen, weiß, Wien ist gar nicht so übel. Wien hat hervorragende Verkehrsmittel, das Wiener Leitungswasser ist in seiner Qualität kaum zu übertreffen. Wien ist sauber. Wien ist sicher. Wunderbar! Wien bedeutet Lebensqualität.
Wien ist aber auch die Stadt, in der es noch möglich ist, dass schwarzen Menschen der Eintritt in diverse Lokalitäten verboten wird. Wien ist eine Stadt, in der Diskoapartheid trotz Antidiskriminierungsgesetz nicht ausstirbt. Dass Türsteher Menschen (besonders Männern) mit schwarzer Hautfarbe den Eintritt verweigern ist eine Realität. Ausreden wie „Geschlossene Gesellschaft“ oder „Es ist schon voll“ verlieren schnell ihre Glaubwürdigkeit, wenn daneben Menschen nicht-schwarzer Hautfarbe problemlos eingelassen werden. Zuweilen wird auch gar kein Hehl daraus gemacht, dass die Hautfarbe der Grund ist. All das bestätigt 2009 auch die europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz in ihrem Bericht: „Beim Zugang zu öffentlichen Gütern und Dienstleistungen, wie Geschäften, Gastbetrieben oder Diskotheken, kommt es immer wieder zu Vorfällen direkter Diskriminierung, deren Opfer vor allem Personen schwarzer Hautfarbe sind.“
Umstände wie diese sind gerade in einer Stadt, die mit ihrer Weltoffenheit wirbt, beschämend.
Wien ist eine Stadt, in der Rassismus oft konsequenzlos bleibt. In der PolitikerInnen zu feige sind, Tacheles zu reden. Zu feige, um zuzugeben, dass es Anti-Schwarze-Rassismus gibt und zu feige, um konsequent dagegen vorzugehen. Stattdessen Integrationsdebatten, die größtenteils auf Defizite von MigrantInnen fokussieren. Öffentliche Debatten über Rassismus in der Mehrheitsgesellschaft und Maßnahmen dagegen fehlen. Leider.
Wien ist eine multikulturelle Stadt, in der das Zusammenleben eigentlich gut funktioniert. Wer Integrations- und Diversitätspolitik macht, sollte die Lebensrealitäten von schwarzen Menschen aber kennen. Die derzeitige Integrationsstadträtin scheint dafür offen zu sein. Wann immer sie bereit ist, sich von der Apartheitspolitik in Wiener Lokalen zu überzeugen, lade ich sie herzlich zu einem Gespräch und einer Lokaltour mit Betroffenen ein.
Clara Akinyosoye ist stellvertretende Chefredakteurin von www.afrikanet.info.
Die Stadt des Glücks
Von Nina Kusturica
Es ist eine schöne Aufgabe, die Gedanken in Richtung Wünsche zu öffnen. Ich darf in diesem Text fordern, was ich brauche, um in Wien glücklich leben zu können. Die Gedanken zu dieser Überschrift entwickeln sich schnell in eine surreale Richtung. Es wird geträumt ohne Ende, doch regelmäßig stört mich dabei die Frage, welche Rolle ich irgendeiner Stadt in meinem Leben geben möchte. Kann ich eigentlich bestimmen, welche Bedeutung Wien, die früheren oder die zukünftigen Orte in meinem Leben haben?
Sehr gerne gehe ich in Wien spazieren. Die Schuhe, die ich dabei trage, werden von Jahr zu Jahr besser. Die ersten Winterschuhe vor 18 Jahren musste ich mit einer Alufolie auskleiden, damit ich bei den Übungs-Dreharbeiten im winterlichen Garten des Schloss Belvedere nicht zusammenbreche. Welche Wünsche kann ich an eine Stadt richten, an einen Ort, an dem ich das Nicht-Haben jahrelang in jedem Bild zu sehen bekommen habe?
Wien, 1992. Wien, 2010.
Ich darf das zweite Mal in meinem Leben an Wahlen teilnehmen. Großer Forstschritt!
Kein Flüchtling mehr, diesmal bin ich eine Künstlerin. Ich gehe mit meinen guten Schuhen am Naschmarkt spazieren, ertrage aber den Anblick der frischen Früchte nicht. Es geht der gleiche Blick des Nicht-Habens an den Ständen vorbei, nur diesmal erkenne ich ihn an anderen Menschen. Wir sind verwandt. Ich wünsche mir, dass ich in Wien, in der Stadt, die sich der weltweit höchsten Lebensqualität rühmt, nicht das Nicht-Haben in den Augen der Menschen entdecke. Dass sich ihnen die Wiener Ecken und Grätzel nicht nach den Momenten der Entwürdigung einprägen.
In Wien glücklich sein? Zahlreiche KünstlerInnen haben in Wien ihre Werke entstehen lassen.
Das Werk ist das, was mich als Künstlerin glücklich macht – und nicht umgekehrt. Auch das hat mir Wien beigebracht. Ich wünsche mir, dass die Gesetze der Stadt für Menschen gemacht werden und nicht nach den Interessen der Politik, dass Errungenschaften ein Vorteil für alle sind, dass mehr junge Menschen an der politischen Gestaltung teilnehmen und dass sie weniger zu KonsumentInnen nach Maßstäben der Wirtschaft werden. Ich wünsche mir in Wien weniger Imperium und mehr Individuen.
Nina Kusturica ist Regisseurin („Little Alien“) und Ko-Geschäftsführerin der Mobilefilm.
Portrait: www.littlealien.at/presse/Nina_Kusturica_1.jpg
On Minor Human Rights Issues
Von Angelina Banke
Life in Vienna seems paradise to one who comes from an impoverished and corrupt country. But one can also fall victim to institutionalized injustice. Let me cite my experiences: In the hands of the police one can suffer prejudice and racism quietly as exemplified by my experience. This incident happened at the Floridsdorfer Brücke. While driving on the way home after I dropped my husband at his office, I did not know that a police car was following me until the siren went off and a policeman (out of 2) motioned me to stop. I knew I was driving within the speed limit and it was a shock to be stopped that way. He asked me for my car papers and my driver’s license which I showed without hesitation. Then he asked me if I knew that I was driving with only one brake light and that I was a danger to other motorists. I responded that I did not know otherwise my husband would have replaced it. I said I‘m sorry and I would drive straight away to my mechanic to have it changed since I was only 5 minutes away. Instead he said I should follow his car because my car needed further check-up. I ended up in the police workshop in Strebersdorf. My car was thoroughly checked like I was driving with contraband, the whole car was turned inside out, hand and foot brakes were tested, engine, lights, oil, water, brake fluid, under the car and I do not know what else was checked. In the end the policeman removed my car plates and told me to go home, but I cannot drive my car. Not knowing how to go home from the place I have never been to, I called up my husband desperately and told him where I was. He told me to remain where I was and he would call the mechanic to tow my car. In 15 minutes my mechanic came with his tow truck, drove me home and towed my car to his workshop. In addition I had to pay a hefty fine for driving with only one brake light and for the cost of car inspection. Even my mechanic (an Austrian!) agreed that it was a torture of some kind I was subjected to. Being a foreigner in Vienna is fine, except when you get entangled with authorities like the police. There are a few unfortunate incidents like this I can think of, but in spite of all the negative feelings they generated, I am happy living in Vienna together with my family and cannot be any happier elsewhere.
Angelina Banke unterrichtet philippinisch-österreichische Kinder in Landesgeschichte und Tagalog. Sie ist Gründerin der Rizal-Blumentritt Gesellschaft.
Forschungsreise für den Stadtrat
Von Jana Herwig
Ende 2007 bin ich über Vorarlberg nach Wien gekommen – vorher habe ich in den unterschiedlichsten Städten gelebt, von nordhessischem Dorf bis südafrikanischer Kleinstadt, von Karnevalshochburg bis Ostküstenmetropole. Als Doktorandin im Bereich Internetforschung ist Wien für mich ideal mit seiner Dichte an netzkulturrelevanten Veranstaltungen und vor allem Personen, die sich damit befassen. Das Quartier für Digitale Kultur (QDK) und die Abende im Raum D waren sehr wichtig für mein Ankommen hier in Wien. Im Vergleich zu anderswo vermisse ich die innerstädtischen Grünflächen – und noch mehr irritiert mich das allgegenwärtige Rasen-Betreten- und Grillverbot. Wem gehört denn die Wiese, und was soll ich mit einer, die ich nur anschauen darf? Vielleicht wären die Wiesen auch weniger Hundstrümmerl-verseucht, wenn man sie nutzen dürfte – ich bin keine Landschaftspflegerin und kenne nicht die Geheimnisse einer Stadt wie Köln, wo im Hochsommer täglich hunderte Menschen am innerstädtischen Aachener Weiher grillen, andere dort ihre Hunde ausführen und die Flächen weder absterben noch zugeschissen werden. Vielleicht geht sich für den Wiener Stadtrat ja mal eine Forschungsreise an den Rhein aus, die Flugverbindungen von Wien aus sind ja ideal. Auch das gefällt mir gut, die Vernetzung Wiens nach außen.
Bei der Vernetzung nach innen bin ich mir nicht sicher, ob die so gut funktioniert. Als Zugereiste hat man manchmal den Eindruck, dass Wien eine mehrfach gespaltene Stadt ist und damit meine ich weniger die Trennung nach Wohnorten – jede Großstadt hat wohl ihr Nußdorf und ihr Favoriten – sondern Dinge wie die Überpräsenz der Adabeikultur über alle Medien hinweg im Verhältnis zur Unsichtbarkeit etwa des Gemeindebaulebens. Dass es ein Wien gibt, an das man als Fremde kaum herankommt (und vielleicht auch gar nicht will), merkt man spätestens dann, wenn irgendjemand in der Bim eine rassistische Schimpftirade ablässt – die ich mittlerweile von Leuten aus allen Schichten gehört habe. Wenn die Ghettoisierung im Kopf sitzt – wie kommt man da ran?
Jana Herwig ist Bloggerin (http://digiom.wordpress.com) und Universitätsassistentin am Institut für Theater- und Filmwissenschaft.
Portrait von Jana: https://tfm.univie.ac.at/personal/tfm-staff/jana-herwig/ (Credit: Christian Lendl)