Unter Plastikplanen
Sie haben uns das Meer gestohlen
Almeria ist ein Brennpunkt von irregulären Arbeitsangeboten und starkem Zuzug. Jüngst sollen die AfrikanerInnen durch OsteuropäerInnen ersetzt werden. Kaum jemand traut sich, über seine Lebensumstände offen zu reden. Reportage und Fotos: Hanna Silbermayr
„Sie haben uns das Meer gestohlen.“, ist sich Kofi sicher. Der junge Fischer aus Ghana meint damit die Europäer und hat gar nicht so unrecht. Die Europäische Union hat mit einigen westafrikanischen Staaten Fischereiabkommen beschlossen, die es europäischen Industrie-Flotten erlauben, vor den Küsten Afrikas zu fischen. Die Konsequenzen für die heimischen Fischer sind gravierend, denn die Meere sind nahezu leer gefischt. Ganze Dörfer lebten zuvor vom Fischfang. Nun müssen sie nach neuen Einnahmequellen suchen.
Kofi hat im Sommer 2006 seine Sachen gepackt und sich auf den Weg nach Europa gemacht. An Bord eines einfachen Fischerbootes kam er auf die kanarischen Inseln. Die spanische Regierung selbst brachte ihn – so wie viele andere – auf das spanische Festland und ließ ihn ohne Papiere frei. Heute bestreitet er sein Leben in der Plantagenregion um Almería, wo Obst und Gemüse unter einem Meer aus Plastik angebaut und in die gesamte EU exportiert wird. „Anfangs hatte ich Arbeit in der Landwirtschaft. Damit konnte ich meine Familie in Afrika unterstützen, aber seit Ende 2007 ist es schwierig geworden, einen Job zu finden.“, sagt Kofi. Vor ein paar Jahren noch brauchte Europa noch all diese ImmigrantInnen, um den Wohlstand zu sichern. Seit es mit der europäischen Wirtschaft bergab geht, steht es auch um ihre Zukunft schlecht. ImmigrantInnen in irregulärer Situation, so wie Kofi, waren die ersten, die die Krise zu spüren bekamen. Heute glaubt der ehemalige Fischer, dass es gerechter gewesen wäre, hätte man ihn sofort wieder nach Afrika zurückgeschickt. Und nicht aufs spanische Festland geholt, wo er sowieso nicht arbeiten darf.
Im Cortijo
Der 28-Jährige nimmt in einem abgenutzten Ledersessel, neben einer Couch mit hässlichem Blumenmuster Platz. Der Fernseher ist das einzige Möbelstück im Raum. Von den kahlen Wänden bröckelt der Putz. Er ist einer der wenigen afrikanischen MigrantInnen, die sich bereit erklärt haben, von ihrem Leben in Spanien zu erzählen. Zu stark misstrauen sie den EuropäerInnen. „Meiner Meinung nach haben die Spanier uns gegenüber eine sehr schlechte Einstellung. Wir sind zwar Immigranten, aber allem voran doch auch Menschen.“, beschreibt Kofi den Konflikt. Anfangs versuchte er noch, auf die Menschen zuzugehen, mit ihnen zu reden. Ihnen zu erklären, warum er hier ist. Vergeblich. Ressentiments und Rassismus sind in der gesamten Region um Almería spürbar. Im Jahr 2000 gipfelte diese Stimmung in gewaltsamen Ausschreitungen, bei denen Einheimische in der Kleinstadt El Ejido eine regelrechte Hetzjagd auf ImmigrantInnen abhielten.
Seitdem scheint sich wenig geändert zu haben, nach wie vor gehört Diskriminierung zum Alltag. Das führt so weit, dass MigrantInnen der Zutritt zu Restaurants und Kneipen verweigert wird. Kofi bleibt deshalb fast immer zuhause. „Nur hier habe ich meine Ruhe. Würde ich an einem dieser Orte in Schwierigkeiten geraten, es wäre keiner da, der mir hilft. Ich habe keine Papiere und ich habe Angst hinauszugehen. Schon eine Kleinigkeit kann große Probleme mit sich bringen.“
Mit zuhause meint Kofi ein verlassenes Gebäude, in dem er mit anderen MigrantInnen lebt. Die Zimmer sind nur notdürftig eingerichtet, es riecht muffig nach Schimmel. Oft befinden sich diese alten Bauernhöfe, Cortijos genannt, fern jeglicher Infrastruktur, inmitten der weitläufigen Plantagen. Zumeist verfügen sie nicht über Strom, nur selten über fließendes Wasser. Jene MigrantInnen, die Arbeit haben, verbringen fast den ganzen Tag in den stickigen Gewächshäusern. Sie verdienen 20, maximal 30 Euro pro Tag. Versichert sind sie nicht.
Die Verdrängung läuft
„Vielleicht sind wir teilweise auch selbst verantwortlich für diese Situation, weil wir sie akzeptieren.“, überlegt Kofi. Jeden Morgen versammeln sich unzählige AfrikanerInnen an den staubigen Straßenecken der Kleinstadt und hoffen, dass ein Plantagenbesitzer vorbeikommt, der noch ArbeiterInnen für den Tag braucht. Mit der Krise hat sich die Arbeitssituation der afrikanischen MigrantInnen verschlechtert. Waren bis vor kurzem auch Arbeitskräfte ohne Papiere gerne gesehen, versucht man jetzt, sie loszuwerden und durch GastarbeiterInnen aus den neuen EU-Ländern Rumänien und Bulgarien zu ersetzen. Das Vertrauen in osteuropäische ArbeiterInnen ist größer, man hält sie für konfliktärmer. Glaubt, da gäbe es geringere kulturelle und religiöse Unterschiede. Die Chancen der AfrikanerInnen, ihren Aufenthaltsstatus zu legalisieren, sinken. Das spanische Fremdenrecht bietet grundsätzlich die Möglichkeit, den eigenen Status zu legalisieren. Wer nachweislich drei Jahre im Land gelebt und in einem Vertragsverhältnis gearbeitet hat, kann eine befristete Aufenthaltserlaubnis beantragen. Im Rekordjahr 2006 kamen geschätzte 32.000 Menschen auf illegalem Weg nach Spanien. Für die meisten wäre bereits der Zeitpunkt gekommen, ihr Bleiberecht einzufordern. Viele Plantagenbesitzer versuchen aber, aus dem Andrang und der Krise Profit zu schlagen. Sie bieten den Leuten jene Arbeitsverträge, die sie für die Legalisierung ihrer Situation bräuchten, zum Verkauf an. 3.000 Euro wird pro Verzicht geboten.
Schwestern helfen
Nur wenige NGOs sind darum bemüht, dem schwelenden Konflikt den Wind aus den Segeln zu nehmen. Meist sind es kirchliche Organisationen, so wie etwa der Orden der Hermanas Mercedarias de la Caridad, die sich um die Zugewanderten kümmern. Schwester Purificación Rodríguez Castillo sitzt am Tisch in ihrem hellen Wohnzimmer. Im Wandschrank stapelt sich Post aus Afrika, adressiert an jene Leute, die in den Cortijos leben und keine eigene Adresse besitzen. Mamá Puri, wie sie liebevoll genannt wird, ist in San Isidro de Níjar tätig, einem Dorf, das 40 Kilometer nördlich von Almería liegt. Innerhalb der letzten zehn Jahre hat sich die Einwohnerzahl der Ortschaft auf 6.900 verdoppelt. Zusätzlich, so schätzt Puri, halten sich zeitweise bis zu 1.200 Menschen in irregulärer Situation im Ort auf. „Der Großteil von ihnen verfügt nur über geringe Bildung, eine sehr große Zahl sind Analphabeten und ein winziger Teil hat studiert.“, erklärt sie. „Dass sie ihre Heimat verlassen, hat zwei Hauptursachen: Mangel an Arbeit und Krieg. Sicherlich würden viele auch durch die Hoffnung angeleitet, in Europa Geld zu verdienen und gut leben zu können.“
Vom Aus- zum Einwanderungsland
In der Nähe eines Cortijos, in dem zwischen 20 und 25 junge AfrikanerInnen leben, wimmelt es von spanischen SchülerInnen. Eifrig helfen sie mit, ein kleines Feld zu errichten, auf dem die MigrantInnen aus dem Cortijo Gemüse anbauen um sich selbst zu versorgen. Mamá Puri holt regelmäßig SchülerInnen ins Dorf, um die junge Generation für das Thema „Migration“ zu sensibilisieren. Dennoch wirken Aktionen wie diese auf manch einen Migranten absurd. Immerhin waren viele der Zugewanderten in ihren Herkunftsländern Bauern und ein Großteil derer, die in San Isidro de Níjar stranden, arbeitet auch hier in der Landwirtschaft. Die Hermanas Mercedarias unterstützen Menschen mit irregulärem Status, vornehmlich durch Informationen, rechtliche Beratung oder Sprachkurse. An die Bedürftigsten verteilen sie Lebensmittel, Decken und Kleidung. Nicht alle sehen die Arbeit der Hermanas Mercedarias de la Caridad und Mamá Puri positiv. Sie würden die Leute dadurch bloß in eine materielle Abhängigkeit bringen, wird kritisiert. Oder man hält den Schwestern vor, sie wollten nur ihr eigenes Image aufbessern. Schwester Purificación weiß, wie es zu solchen Ansichten kommt: „Auch wenn es Versuche der Kirche und von NGOs gibt, Integration und gutes Zusammenleben zu fördern, reicht das natürlich nicht. Man darf nicht vergessen, dass sich Spanien sehr rasch von einem Auswanderungs- in ein Einwanderungsland verwandelt hat. Die Immigration ging so schnell und massiv vor sich, dass Spanien die Entwicklung kaum und nur unter Schwierigkeiten nachvollziehen konnte.“
Zurück beim irregulären Plantagenarbeiter Kofi. Er sieht unter den gegebenen Umständen keine Zukunft mehr in Spanien. Hätte er Papiere und Arbeit, würde er bleiben. Aber so? „Ich gehe dort hin, wo ich in Frieden leben kann. Hier ist das nicht möglich.“ Resigniert zieht er Bilanz: „Früher dachte ich, meine Zukunft würde sich hier in Europa abspielen. Doch jetzt bin ich sicher, dass sie in Afrika liegt. Ich bin hierher gekommen, nur um meine Familie zu unterstützen. Wenn ich aber keine Arbeit finde, was mache ich dann noch hier? Es ist vielleicht besser, zu ihnen zurückzukehren.“