Vom Glück zu leben
Das BIP ist in reichen Ländern für die Lebensqualität nur beschränktaussagekräftig. Nicht wie reich wir insgesamt sind, entscheidet, sondern wie stark die Unterschiede zwischen uns sind.
Eine Kolumne von Martin Schenk
Des Glück is a Vogerl. Auch die EU-Staatschefs sind gerade auf Glücksjagd. Das Bruttoinlandsprodukt als ökonomische Größe ist seit den Krisenjahren unter Rechtfertigungsdruck gekommen, jetzt soll das Glück der Nationen gemessen werden. Und da ergeben sich Dinge, die manche Staatschefs lieber wieder eingefangen wüssten.
Die seriöse Sozialwissenschaft spricht von „Lebenszufriedenheit“ und verwendet Indikatoren für Lebensqualität wie Gesundheit und Lebenserwartung. Das ist weniger ideologisch als „Glück“ und auch empirisch prüfbar.
Nun: Wenn die Staatschefs sich Argumente für „arm aber glücklich“ gewünscht hätten, dann wird es damit nix. Geld macht nämlich zufrieden, aber nicht unbegrenzt. Wer arm ist und sich materiell verbessert, erhält einen deutlichen Anstieg der Zufriedenheit. Die Effekte sind bei Ärmeren besonders stark. Insgesamt sind Menschen mit höherem Einkommen zufriedener und äußern höheres Wohlbefinden. Allerdings erfolgt ab einem gewissen Einkommen keine Steigerung mehr. An Reichtum gewöhnt man sich und der zweite Porsche steht irgendwann auch in der Garage.
Anders bei Gesundheit und Lebenserwartung: Gesundheit und Lebenserwartung steigen mit höherem Einkommen und sozialem Status linear. Steige ich im 15.Wiener Gemeindbezirk in die U-Bahn und am Stephansplatz wieder aus, dann liegen dazwischen 4 Minuten Fahrzeit – aber auch 4 Jahre an Lebenserwartung der jeweiligen Wohnbevölkerung. Wie auf einer sozialen Stufenleiter steigt das subjektive Gesundheitsbefinden und fällt das objektive Krankheitsrisiko mit dem Haushaltseinkommen.
Es geht stark um die Verhältnisse zwischen uns. Noch mehr soziale Ungleichheit heißt beispielsweise noch mehr Krankheiten und noch geringere Lebenserwartung, mehr Teenager-Schwangerschaften, mehr Status-Stress, weniger Vertrauen, mehr SchulabbrecherInnen, vollere Gefängnisse, mehr Gewalt und mehr soziale Ghettos. Das Interessante: Eine sozial polarisierte Gesellschaft bringt Nachteile nicht nur für die Ärmsten, sondern auch für die Mitte. Es stehen nicht nur die unterprivilegierten Mitglieder schlechter da, sondern auch die Wohlhabenderen. Die soziale Schere schadet, und zwar fast allen.
Die Differenz zählt
Sobald ein bestimmter Grad an Wohlstand erreicht ist, dürfte die relative Höhe des Einkommens ausschlaggebend für die Lebensqualität sein. In den ärmeren Teilen der Erde ist mit höherer Wirtschaftsleistung pro Kopf eine höhere Lebenserwartung verbunden. In den reichen Ländern ist ein derartiger Zusammenhang nicht mehr nachweisbar. Das Bruttoinlandsprodukt ist also in reichen Ländern nur beschränkt aussagekräftig für die Lebensqualität. Es konnte ein erstaunlich hoher Zusammenhang zwischen Lebenserwartung und dem Anteil am Volkseinkommen, den die ärmeren Haushalte beziehen, nachgewiesen werden. Nicht wie reich wir insgesamt sind, ist hier die Frage, sondern wie stark die Unterschiede zwischen uns sind.
So schaut`s aus. Und so liegen die Ergebnisse am Tisch der Regierungschefs. Das Glück, dass Merkel und Cameron die richtigen Schlüsse ziehen, is a Vogerl.