Der Platzhirsch
Der „Verein Menschenrechte Österreich“ ist der Platzhirsch unter den Schubhaftbetreuungen. Bei NGOs ist der Verein umstritten, etwa weil nur Rückkehrbetreuung, aber keine Rechtsberatung anbietet. Im Innenministerium spricht man von einem loyalen Partner mit den besten Konzepten. Text: Eva Bachinger
Der 17jährige David Yao G. sollte eigentlich längst wieder in Côte d'Ivoire sein – oder zumindest nicht in Österreich. Er war einer von jenen abertausenden jungen Menschen, die jährlich ihr Leben riskieren, um auf seeuntauglichen Booten aus Afrika über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Da er über Ungarn nach Österreich eingereist war, kam er in sogenannte Rückführungshaft und wurde in Schubhaft genommen. Ungarn hatte bereits im Oktober 2010 Wiederaufnahme signalisiert. Die Behörden hatten sechs Monate Zeit um den Minderjährigen abzuschieben. Doch sie überzogen um ein Monat und die Rückführung wäre nicht mehr rechtens gewesen. Tim Ausserhuber vom Migrantinnenverein St. Marx ist dieser Fehler aufgefallen und so musste der junge Mann aus der Schubhaft entlassen werden. Was eigentlich in einem Rechtsstaat üblich sein sollte, war eher Glückssache: Denn nicht alle HelferInnen, die noch Zugang zur Schubhaft haben, bieten den Flüchtlingen Rechtsberatung an.
Der Platzhirsch in der Schubhaft-Betreuung ist seit einigen Jahren der „Verein Menschenrechte Österreich“ (VMÖ). Die NGO-Szene ist auf dessen Leiter Günter Ecker nicht gut zu sprechen: Er sei nur ein verlängerter Arm des Innenministeriums, falle durch Kritiklosigkeit und Intransparenz auf. Im Menschenrechtsbeirat, der das Ressort kontrolliert, sei er fehl am Platz. „Der VMÖ ist eine abhängige Dienstleistungsagentur, keine NGO.", so Amnesty-Chef Heinz Patzelt. Doch derartige Kritik perlt an Ecker völlig ab. Er meint, dass öffentliche bzw. mediale Kritik von NGOs an ihm und seinem Verein immer dann aufkommen würde, wenn es um das Buhlen um Fördergelder gehe.
Im Innenministerium versteht man die Kritik der NGOs ebenfalls nicht: "Der VMÖ steht dem Ministerium nicht nahe. Bei der Vergabe ist aber natürlich wichtig, wie die Abrechnung erfolgt, wie gearbeitet wird, wie loyal man ist. Wir vergeben an den, der die besseren Konzepte hat und das Ressort nicht bei jeder Gelegenheit öffentlich kritisiert.“, betont Rudolf Gollia, Sprecher des Ressorts.
Dass Eckers Verein fast zu 100 Prozent vom Innenministerium mit mehr als einer Million Euro jährlich gefördert wird, ist jedenfalls kein Alleinstellungsmerkmal: Der Verein Neustart, der Haftentlassenen Hilfe anbietet, arbeitet beispielsweise ebenfalls im direkten Auftrag eines Ministeriums. Sucht man aber nach öffentlich einsehbaren Tätigkeitsberichten, nach kritischen Worten von Ecker in Richtung Auftraggeber oder Kritik an Missständen in der Schubhaft, wird man nicht fündig werden. Er brauche diese Art der „Selbstdarstellung“ nicht, wie er in einem Interview mit MO betont: „Unsere Linie ist es, in dieser Hinsicht keine Öffentlichkeitsarbeit zu machen und unsere Wahrnehmungen nicht in die Medien zu tragen. Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht.“
In anderer Funktion war das noch anders: Im Jahr 2000 beanstandete Ecker, damals noch als Chef von SOS-Mitmensch OÖ, sehr wohl, dass „noch immer zu viele Minderjährige in Schubhaft“ seien.
Verdrängung von Caritas und Co
Bereits 2003 entzog das Innenministerium Caritas und Volkshilfe in Wien die Schubhaftbetreuung und übertrug sie Ecker. 2004 konnte er die Rückkehrberatung im Erstaufnahmezentrum Thalham (OÖ) aufstocken. Die Zuwendungen sind seitdem stetig gestiegen, während andere Hilfsorganisationen von einer Zunahme der Fördermittel nur träumen können. 2006 übernimmt der „Verein Menschenrechte Österreich“ auch die Schubhaftbetreuung in Innsbruck, 2007 folgt Niederösterreich. 2009 erfahren Diakonie, Volkshilfe und Caritas, dass es keine Förderungen mehr für Beratung in der Schubhaft über Rechtsmittel gegen Asylbescheide gibt. Derzeit hat nur noch die Caritas in Vorarlberg und in der Steiermark die Betreuung über, seit kurzem auch wieder in Oberösterreich. In Vorarlberg musste die Caritas um einen Ausfall der Förderung bangen, und nun eine Kürzung der Mittel hinnehmen. In allen anderen Bundesländern agiert Günter Ecker und sein Verein. Wie er das tut, ist für den Menschenrechtsexperten Manfred Nowak problematisch. „Der VMÖ bietet nur Rückkehrberatung aber keine Rechtsberatung. Das widerspricht aber der EU-Rückführungs-Richtlinie,“ betont der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für Folter. Das Gesetz wurde deshalb auch dahingehend novelliert, dass ab Herbst 2011 Rechtsberatung verpflichtend angeboten werden muss. Aber Nowak, auch Kommissions-Leiter im Menschenrechtsbeirat, beklagt, dass das auf „eine ganz schlechte Art und Weise“ passieren werde: Nicht unabhängige RechtsanwältInnen, sondern amtliche RechtsberaterInnen sollen diese Aufgabe übernehmen. „Die kostenlose Rechtsberatung ab Oktober 2011 ist sicher ein Fortschritt, es geht aber auch um die Qualität der Beratung selbst.“, zeigt sich auch Christoph Pinter, Leiter der Rechtsabteilung des UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR), skeptisch.
Der VMÖ bietet laut Vertrag mit dem Innenressort nur Rückkehrberatung an, nicht aber Beratung darüber, ob es noch Berufungsmöglichkeiten gegen negative Asylbescheide gibt, oder andere Möglichkeiten, legal in Österreich zu bleiben. Nun sind viele Flüchtlinge in der Schubhaft Personen mit einem rechtskräftigen, negativen Asylbescheid, im vergangenen Jahr saßen laut UNHCR aber auch mehr als 1.000 AsylwerberInnen mit einem anhängigen Verfahren in Schubhaft. Unabhängig davon, ob langwierige Asylverfahren immer sinnvoll sind oder nicht: In einem Rechtsstaat muss es für jeden Menschen die Möglichkeit zu Ergreifung von Rechtsmittel geben. „Der Verein Menschenrechte händigt den Asylwerbern lediglich eine Liste von Anwälten mit Telefonnummern aus. Davon macht dann aber kaum jemand Gebrauch, denn Rechtsanwälte müssen für ihre Dienste normalerweise bezahlt werden, und es besteht hier natürlich eine starke sprachliche Barriere, einen Rechtsanwalt von der Schubhaft heraus anzurufen. De facto sind Menschen in der Schubhaft von Rechtsberatung abgeschnitten“, meint Christoph Pinter.
Keine Kinder in der Schubhaft?
2001 saßen noch 17.306 Menschen in Schubhaft, seit 2004 sind es jährlich immer weniger als 10.000 Menschen. Laut Innenministerium waren im Jahr 2009 5.996 Menschen in Schubhaft. Die durchschnittliche Anhaltedauer liegt bei 20 bis 30 Tagen. „Das klingt nicht so viel, aber jeder Tag in Schubhaft ist ein Tag zu viel. Zudem sind wir immer wieder auch mit Personen konfrontiert, die sechs Monate in Schubhaft angehalten werden.“, betont Pinter. Das UN-Flüchtlingshilfswerk steht der Schubhaft für AsylwerberInnen generell ablehnend gegenüber. „Menschen finden sich in Haft wieder ohne je etwas angestellt zu haben, außer illegal eingereist zu sein. Das entspricht aber lediglich einer Verwaltungsübertretung. Zudem ist Schubhaft nicht dazu da, jemanden zu bestrafen, sondern zur Sicherung der Ausweisung“. UNHCR-MitarbeiterInnen besuchen Betroffene in der Schubhaft. Bei den Befragungen stelle sich immer wieder heraus, dass die Flüchtlinge „überhaupt keine Ahnung“ über ihre Situation haben, erklärt Pinter. Günter Ecker glaubt hingegen, dass die UNO den Flüchtlingen auf den Leim gehe: „Schubhäftlinge versuchen, sich Besuchern – vor allem Menschenrechtsexperten – gegenüber als möglichst hilfsbedürftig darzustellen, auch indem sie vorgeben, sie wären nicht informiert. Die Schubhäftlinge nützen da etwas aus … so wie das Kindchenschema, dass sie sich klein und hilfsbedürftig machen, um beim Gegenüber eine Hilfsbereitschaft zu mobilisieren.“
Die Politik betreibt bei dem Thema zum Teil Realitätsverweigerung: „Es gibt keine Kinder in der Schubhaft“ donnerte der SPÖ-Abgeordnete Otto Pendl Ende April vom Rednerpult im Parlament. Die Grüne Alev Korun hatte bei der Debatte um das neue Fremdenrecht der Regierung erneut vorgeworfen, auch Kinder und Jugendliche in Schubhaft zu nehmen. ExpertInnen können über Pendls Äußerung nur den Kopf schütteln:
Es seien nach wie vor zu viele Menschen in der Schubhaft, und zu lange, betont Nowak. „Auch Kinder sind in der Schubhaft. Das Kardinal-König-Haus, wo nun Familien untergebracht werden, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich trotzdem um Haft handelt“. Abgesehen davon, dass Minderjährige in Haft kommen, wird immer wieder auch die medizinische Versorgung kritisiert. Und der Menschenrechtsbeirat machte bei der Präsentation des Jahresberichts 2010 darauf aufmerksam, dass es Strafhäftlingen in Österreich in Bezug auf Beschäftigungsmöglichkeiten besser gehe als Schubhäftlingen. Wochenlang würden sie nur herumsitzen können. Auch Simone Strehle von der Caritas Vorarlberg fordert, dass die Schubhaft zumindest den Standards der Strafhaft entsprechen sollten. „Einen Ausbau der sozialen Betreuung der Menschen in Haft und eine ausreichende personelle Besetzung und Unterstützung des Wachpersonals halten wir für geboten.“
Schubhaft und Abschiebungen kosten dem Staat übrigens gar nicht so wenig: Pro Person müssen für einen Charter-Flug laut Innenministerium 1.498 Euro hingeblättert werden. Ein Tag in Schubhaft beläuft sich auf 100 bis 120 Euro. Sechs Monate Schubhaft ergeben rund 20.000 Euro pro Person.