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Lobbyismus ist grundsätzlich keine verdammenswerte Sache, sagen dessen FürsprecherInnen. Sofern nur alles ausreichend transparent geschehe. Wie Lobbys und mächtige Wirtschaftsverbände unsere Demokratie im Griff haben.Text: Robert Misik Illustration: Eva Vasari
Ein Lobbyist kriegt Hunderttausende auf sein Konto und fragt, kaum dass die Unschuldsvermutung ins Wanken gerät: „Was war mei Leistung?“. Und EU-Parlamentarier Ernst Strasser lässt sich auch noch filmen beim Versuch, seine politischen Kontakte meistbietend zu verkaufen. Funktionieren die Dinge so im Schattenreich zwischen Wirtschaft und Politik? Einerseits: Ja, so funktionieren sie wohl. Andererseits: So dreist und deppert stellen sich die Akteure nur im Sonderfall an. Aber grundsätzlich ist wahr: die wirtschaftlich Mächtigen haben unsere Demokratie im Griff, indem sie auf unzähligen Kanälen und mit viel wirtschaftlichem Einsatz ParlamentarierInnen, MinisterInnen und BeamtInnen beeinflussen; und für viele professionelle Türöffner und Antichambrierer gibt das die Möglichkeit, viel Geld zu verdienen, etwa indem sie ihre Kontakte vergolden.
Dennoch finden sich immer wieder freundliche Lobbyisten und auch unverdächtige ParlamentarierInnen, die einwenden, dass Lobbyismus doch eigentlich und grundsätzlich keine verdammenswerte Sache sei.
Im Sinn des Gemeinwohls
Eines dieser Argumente lautet etwa, Lobbys seien doch prima, sofern alles nur ausreichend transparent geschehe. Wenn also Lobbyfirmen im Auftrag einer Interessenvereinigung, eines Konzerns oder einer Branche Einfluss geltend zu machen versuchen, dann würden sie den Entscheidungsträgern in Parlament, in Ministerien und Verwaltung ja Wissen zur Verfügung stellen, das diese Institutionen sonst nicht hätten. Und in dieser Idealwelt, die die Lobbyfreunde so evozieren, würden eben alle betroffenen Gruppen und Interessensverbände lobbyieren und in der Summe all dieser versuchten Einflussnahmen sind die Entscheidungsträger am Ende von allen Seiten informiert und könnten auf Basis vollständiger Information ihre unabhängigen Entscheidungen treffen. Doch in der wirklichen Welt sieht es natürlich ein bisschen anders aus. In der wirklichen Welt gibt es Gruppen, die finanzstark sind, und denen es nicht um die beste Entscheidung im Sinne einer gemeinwohlorientierten Nützlichkeit geht, und die mit ihren Lobbysten in Garnisonsstärke die vereinzelten Kämpfer der Gegenseiten, der Konkurrenz oder von NGOs, spielend an die Wand drängen.
Erst im vergangenen Sommer sorgte ein Hilfeaufruf der für die Finanzmarktreform zuständigen EU-Parlamentarier für Aufsehen, die beklagten, sie seien massiver Einflussnahme großer Finanzlobbys ausgesetzt, zu der es praktisch kein Gegengewicht gebe.
Fragwürdige Marktmacht
Ein anderes Beispiel ist die Energielobby. Die Stromkonzerne sind „eine der Branchen, die am stärksten mit der Politik verflochten ist. Und zwar von der Spitzenpolitik bis hinunter in die regionale Ebene“, formulierte das Heidi Klein von der NGO „LobbyControl“, nachdem Angela Merkel unter dem Einfluss der Atomlobby die Laufzeitverlängerung für deutsche AKWs durchgeboxt hatte. Beispiele gibt es genug: George W. Bush und sein Vize Richard Cheney mit ihren vielfältigen Banden zum kollabierten Energieriesen Enron. Und dann die vielen Ex-Politiker, die als Türöffner und berufsmäßige Antichambreure zu Energiekonzernen wechseln – Gerhard Schröder, Joschka Fischer, Österreichs Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der bei RWE im Aufsichtsrat sitzt obwohl er, besonders schamlos, daheim in Wien noch immer ein Nationalratsmandat ausübt.
Aber sehen wir uns einmal genau an, was das eigentlich bedeutet: Einen solchen Einfluss haben schließlich nur Unternehmen und Branchen, die bereits mächtig sind. Die also, logischerweise, seit vielen Jahrzehnten schon ihre Unternehmensmacht aufgebaut haben. Im Fall der Energiewirtschaft sind das also Unternehmen, die seit den fünfziger Jahren im Gas-, Öl-, AKW-, Kohle-Geschäft sind, die also mit Technologien, die heute veraltet oder zumindest fragwürdig sind, ihre Marktmacht erlangt haben. Überspitzt formuliert: Die Unternehmen sind von gestern, aber dies gibt ihnen heute eine Marktmacht, die es ihnen erlaubt, ihr Feld heute und morgen zu verteidigen – und damit ganz offensichtlich auch gegen Branchen, die heute auf der Höhe der Zeit sind, aber in machttechnischer Hinsicht den großen Platzhirschen unterlegen sein müssen, weil sie eben noch nicht eine solche Macht akkumuliert haben.
Mit einem Wort: die Lobbymacht solcher Branchen hat einen negativen Einfluss, selbst dann, wenn sie nicht auf direkt korrupte Weise ausgeübt wird. Einfach, weil die Macht einflussreicher Lobbys in der Vergangenheit gründet, während potentielle zukünftige Player aus leicht nachvollziehbaren Gründen noch keine Lobbymacht haben, ist Lobbyismus systemisch notwendig eine Kraft des Status Quo, die bestehende Arrangements gegen Veränderungen abzusichern versucht.
Private übernehmen
Die Privatisierung vieler Staatsaufgaben in den vergangen Jahrzehnten hat den Lobbys neue Tore geöffnet und eine neue Art von Korruption endemisch gemacht. „Das Verhältnis von Business und staatlicher Verwaltung wird neu justiert - zum Vorteil von erstem", sagt die amerikanische Sozialwissenschaftlerin Janine Wedel, deren Buch „Shadow Elite" in den USA jüngst für Aufregung sorgte. Wedels These: Früher machten Funktionäre entweder langfristig Karriere in Parteien und der Politik – oder in Firmen. Und die Firmenmanager versuchten dann die Politiker zu bestechen. Heute wechseln AkteurInnen von einem Bereich in den anderen. Und private Firmen übernehmen mehr und mehr Aufgaben im öffentlichen Bereich: Große Anwaltskanzleien wickeln Privatisierungen ab, Consultingfirmen beraten Regierungen oder stellen sogar zeitlich befristete Beschäftigte für öffentliche Bürokratien, LobbyistInnen werden zu AufsichtsrätInnen bestellt, was oft noch mit dem Argument aufpoliert wird, dass so der Einfluss der Politik – etwa auf Privatisierungen – minimiert wird. In Wirklichkeit eröffnet all das viele neue Möglichkeiten, Freunderln mit Geschäften zu versorgen.
Apathie fördert Lobbyismus
Der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch hat in seinem Buch „Postdemokratie“ auf den Zusammenhang von Entpolitisierung und „Politikverdrossenheit“ und der zunehmenden Macht wirtschaftlicher AkteurInnen hingewiesen: Je mehr die BürgerInnen in Apathie versinken, „desto leichter können Wirtschaftsverbände den Staat – mehr oder minder unbemerkt – zu einem Selbstbedienungsladen machen“. Während PolitikerInnen Tag für Tag – und sei es nur bei Cocktailparties – dem Einfluss von Wirtschaftslobbys ausgesetzt sind, die ihren Eigennutz verfolgen, üben indifferente BürgerInnen keinen Einfluss aus.
Politik wird in einer solchen Gemengelage auf schleichende Weise „for sale". Oft braucht es da gar nicht die illegale Korruption, es reicht die schleichende Korrumpierung. Lobbygruppen geben sich in Ministerien die Klinken in die Hand. Beratungskanzleien und Anwaltsfirmen machen im Windschatten der Minister gute Geschäfte – und revanchieren sich dann. In Form von Parteispenden. Oder sie versorgen eine/n PolitikerIn mit einem Job, den der Minister gerne loswerden will. Oder sie nehmen den Minister in ihre Firma als Teilhaber auf, wenn der aus dem Amt ausgeschieden ist und endlich auch einmal gut verdienen will.