Der Unfreiheit auf der Spur
Der Menschenrechtsbeirat wurde an der Seite der Volksanwaltschaft neu aufgestellt. Kontrolliert werden seit 1. Juli nicht nur Schubgefängnisse, sondern auch Bundesheerkasernen. Gerungen wird noch darüber, was die MenschenrechtlerInnen dürfen. TEXT: PHILIPP SONDEREGGER
19 Euro beträgt der Tagsatz nun für die Unterbringung von AsylwerberInnen im Landgasthof. Die Landesregierung überweist pro Kopf und Tag direkt an die PensionswirtInnen. Für Vollpension eigentlich ein Schnäppchenpreis, der freiwilligen Gästen nicht einmal in der Nebensaison geboten wird. Kein Wunder also, dass in den Pensionen an allen Ecken und Enden gespart wird. Kein Wunder auch, dass die Meldungen über mangelhafte Ernährung und hygienische Missstände nicht abreißen. Viele WirtInnen tun ihr Bestes, doch selbst das ist manchmal nicht genug.
Für die Kontrolle der Mindeststandards sind die FlüchtlingsreferentInnen der Landesregierungen zuständig. Doch was, wenn die regionale Behörde selbst kein Interesse an der Behebung gravierender Mängel zeigt, wie im Falle Kärntens? Anfang August gab die Volksanwaltschaft bekannt, die Saualm in Kärnten zu überprüfen. Immer wieder geriet der abgelegene Gasthof wegen Missständen in Kritik. Die Kärntner Landesregierung wurde um schriftliche Stellungnahme zu den Vorwürfen gebeten. Die ungeklärten Fragen zur Saualm rücken auch eine Institution ins Scheinwerferlicht, die Anfang Juli ihre Arbeit aufgenommen hat: die „Nationale Menschenrechtsinstitution“.
Nunmehr übernimmt die Volksanwaltschaft die Agenden des alten Menschenrechtsbeirates, der dem Innenministerium unterstellt war und in den vergangenen Jahren die Arbeit der Polizei kontrollierte. Mit der Anbindung des neuen Menschenrechtsbeirats an die Volksanwaltschaft kommen auch neue Kompetenzen hinzu. Fortan sollen alle Haftorte in Österreich und noch viele Einrichtungen mehr kontrolliert werden. Grundgedanke der Umbauarbeiten – sie gehen auf ein ergänzendes UN-Anti-Folter-Übereinkommen (OPCAT) zurück – ist, diese Orte nicht erst bei Missständen, sondern schon präventiv zu inspizieren. Damit soll der besonders wehrlosen Position eingesperrter Menschen Rechnung getragen werden.
Riesenaufgabe
Der Arbeitsumfang ist gewaltig: Die Volksanwaltschaft ist für die Kontrolle von Justizanstalten, Pflegeeinrichtungen, die Schubhaft, das Bundesheer oder auch Einrichtungen für Behinderte zuständig. Die genaue Zahl der Institutionen wird aktuell erhoben, es dürfte sich um 4.000 bis 4.500 handeln. Strittig ist, in welchem Umfang auch Flüchtlingsunterkünfte der einzelnen Bundesländer noch hinzukommen. Das hängt davon ab, ob in diesen Pensionen ein persönlicher Freiheitsentzug stattfindet oder nicht. Zwar besteht für Flüchtlinge keine Anwesenheitspflicht, aber auch der Zwang, der sich schon allein aus den Zuweisungen in diese Herbergen ergibt, schränkt die Handlungsfreiheit des Betreffenden ein. Wer etwa über Nacht unentschuldigt fern bleibt, kann bereits seine Grundversorgung verlieren. Im Fall der abgelegenen Saualm in Kärnten wird man wohl von Freiheitsentzug sprechen müssen, bei zentraler gelegenen Örtlichkeiten ist das fraglich. Übrigens: BetreuerInnen haben auch mehrere Fälle dokumentiert, wo Flüchtlinge aus „disziplinären Gründen“ auf die Strasse gesetzt wurden. Sie hatten sich über mangelhafte Bedingungen beschwert.
Für ihre neuen Aufgaben ist die Volksanwaltschaft mit 15 zusätzlichen Planstellen und einer Budgetaufstockung von jährlich 1,9 Million Euro ausgestattet worden. Sechs Besuchskommissionen werden in Zukunft die Unterbringung von PflegepatientInnen ebenso wie von Bundesheer-Rekruten und Schubhaftinsassen kontrollieren. Sie umfassen 48 Mitglieder, die teils aus dem alten Beirat übernommen wurden. Ihre Aufgabe ist gewaltig: Rund 700 Überprüfungen sollen sie jährlich durchführen. Problem: Statistisch gesehen kann jede Einrichtung bei jährlich 700 Besuchen bestenfalls alle sechs Jahre besucht werden. Von einer flächendeckenden Kontrolle kann also keine Rede sein. Die NGOs im Menschenrechtsbeirat drängen daher bei der Festlegung von Prüfschwerpunkten auf das Konzept „Klotzen statt Kleckern“. Sie wollen, dass die vorhandenen Ressourcen in mehrere Monate dauernde Schwerpunktaktion gebündelt werden, um den Impact zu steigern und ihre Erfahrungen über einen Prüfbereich nach dem anderen zu sammeln.
Das Verständnis über die Rolle der Besuchskommissionen ist dabei durchaus geteilt. Die NGO-VertreterInnen im Menschenrechtsbeirat verstehen diese als „Diagnoseinstrument“. Ihnen geht es um ein systemisches Verständnis der Menschenrechte, in dem die Wechselwirkungen zwischen Besuchskommission und kontrollierter Einrichtung einen zentralen Stellenwert einnehmen. Schon der Besuch selbst soll als Intervention begriffen werden, und nicht – wie bisher – als reine Aufnahme von Daten, die am Ende weitergereicht werden. Oder, aus Sicht der NGOs formuliert: Abzuhaken, ob auf einer Psychiatrie ein Gitterbett verwendet wurde oder nicht, ist zu wenig. Statt schlichtweg Standards abzufragen, sollen konkrete Verbesserungen eingebracht werden.
Ein weiterer Knackpunkt ist, dass die Besuchskommissionen fortan multi-professionell zusammengesetzt werden. Leider neigt die Volksanwaltschaft, ganz vom juristischen Gedanken beseelt, dazu, Multi-Professionalität als Mischung aus Juristen, Medizinern und BehindertenvertreterInnen auszulegen. Sozialwissenschaften werden gleichsam als unnütze „Meta-Kompetenz“ gesehen. Vordergründig sorgen sich die VolksanwältInnen darum, dass mit mehr Kompetenzen der Besuchskommissionen einheitliche Standards verloren gehen. Sie sehen die Kommissionen lieber als ihre „Augen und Ohren“. Tatsächlich fällt es ihnen schwer, selbst Kompetenzen abzugeben.
Überkomplexe Konstruktion
Dass die Konstruktion dieses neuen Menschenrechtshauses manchen Außenstehenden überkomplex erscheinen mag, hat mit verschiedenen Interessensgruppen und gewachsener Geschichte zu tun. 1999 hatte Innenminister Karl Schlögl (SPÖ) den alten Menschenrechtsbeirat eingerichtet. Schlögl war politisch unter Druck geraten, als Fremdenpolizisten Marcus Omofuma bei einem Abschiebungsversuch fahrlässig töteten. Internationalen Vorgaben folgend, involvierte Schlögl daraufhin die Zivilgesellschaft und berief auch NGO-VertreterInnen in den Beirat. Allerdings mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass diesen u.a. auch vom Innenministerium entsandte Mitglieder gegenüber saßen. Das hatte den durchaus gewünschten Nebeneffekt, dass sich ein bisschen die Exekutive selbst kontrollierte.
Nach der Verabschiedung des UN-Ergänzungsprotokolls über Folter, des erwähnten OPCAT-Protokolls, hat sich die Volksanwaltschaft in Österreich sehr dafür eingesetzt, diese neuen Kompetenzen zu erlangen. Um nicht unnötige Widerstände zu provozieren, wurde dem alten Menschenrechtsbeirat eine Übersiedlung zur Volksanwaltschaft in Aussicht gestellt. Diesmal allerdings tatsächlich als lediglich beratendes Organ, um im Gegenzug auch die „Selbstkontrolle“ der Polizei los zu werden.
Nicht alle NGOs vertraten diese Linie. Einige favorisierten eine Installation außerhalb der Volksanwaltschaft, da die parteipolitische Unabhängigkeit durch die Bestellpraxis der VolksanwältInnen durch das Parlament nicht zweifelsfrei gewährleistet ist. Das Boltzmann-Institut für Menschenrechte weist in seiner Begutachtung darauf hin, dass die drei mandatsstärksten Parteien im Nationalrat „ein direktes de-facto Entsendungsrecht“ haben. Das hat zur Folge, dass die Entsandten von Koalitionsregierungen nicht notwendiger Weise über die geforderte menschenrechtliche Kompetenz, dafür aber über eine Mehrheit im Kollegialorgan Volksanwaltschaft verfügen. Eine Befürchtung, welche die rot-schwarze Bundesregierung naturgemäß nicht teilte.
Fraglich bleibt, ob die Volksanwaltschaft in dieser Konstruktion die vollständige Anerkennung als „Nationale Menschenrechtsinstitution“ (NHRI) erlangen kann – enem Status, der vollen Zugang zu den UN-Komitees ermöglicht, in denen ein Großteil der internationalen Menschenrechtsarbeit vorangetrieben wird. Beim letzten Akkreditierungsprozess musste sich Österreich erneut mit einem B-Status begnügen und hat deshalb im Menschenrechtssystem der UNO nur Beobachterstatus.
Noch ist nicht abzusehen, wie gut es der Volksanwaltschaft gelingen wird, ihre Spielräume zu nutzen und das Potential freizusetzen, das in der relativ großzügigen Ausstattung steckt. Maßgeblich wird aber die Fähigkeit sein, die unterschiedlichen Interessen und Motivationen, die in einer derart komplexen Institution verankert sind, zu bündeln und in der Pionierphase der Einrichtung die richtige Mischung aus steuernder Zielvorgabe und Zulassen von Eigeninitiative zu finden.