Zuwanderung ist eh nicht wirklich planbar
Alexander Pollak und Andreas Mölzer über Nigeria als mögliches Asylland der Zukunft, über die Frage, wie man sich die Staatsbürgerschaft verdient, und die allgemeine „Samenschwäche“ in Österreich. Ein Streitgespräch.
Interview: Maria Sterkl Fotos: Karin Wasner
MO: Die Gründung von SOS Mitmensch war eine Reaktion auf das FPÖ-Ausländervolksbegehren im Jahr 1992. Wie hat sich die FPÖ seither verändert, Herr Pollak?
Pollak: Schon damals hat sich trotz einer Serie von Wahlerfolgen herauskristallisiert, dass die FPÖ gesellschaftspolitisch auf der Verliererstraße ist. Ich erinnere an Ihren „Umvolkungs“-Sager. Das ist 21 Jahre her, und seitdem hat es weiterhin Zuwanderung und Vermischung gegeben. Österreich ist weniger denn je ein „weißes“ Land. Insofern muss man sagen: Sie haben auf der ganzen Linie verloren.
Mölzer: Ein „weißes“ Land? Das ist ja ein interessanter Terminus, da komme ich mir ja vor wie in Südafrika vor 20 Jahren! Na, der Herr Pollak kennt ja die FPÖ wesentlich besser als ich, der ich seit 1978 dort tätig bin. Jedenfalls ist diese Diagnose relativ trivial. Dass die FPÖ auf der Verliererstraße ist, ist wohl Wunschdenken. Seit damals bis zum heutigen Tag gibt es Problemlagen, die in diesem Land einen Teil der Bevölkerung mit Sorge erfüllen, und die dadurch zum Elaborat der FPÖ gehören.
MO: Herr Mölzer, wie hat sich SOS Mitmensch seither verändert?
Mölzer: Ich frage mich: Wer ist zuerst einmal ein Mitmensch? Das sind meine Kinder. Und dann kommt der übernächste, und der überübernächste, das sind konzentrische Kreise. Und bei euch habe ich immer das Gefühl, dass das nichts zählt. Sondern dass man sich in einer akademischen, esoterischen Fernstenliebe gefällt und auf die Eigenen möglichst scheißt.
Pollak: Das gehört zu den Mythen, die Sie gern verbreiten. Es ist keineswegs so, dass wir uns nur für MigrantInnen einsetzen. Menschenrechte sind uns ein allgemeines Anliegen, und zwar für alle Menschen. Rassismus ist darüber hinaus nichts Akademisches, sondern existiert und ist ein Problem in unserer Gesellschaft.
Mölzer: Kann schon sein, dass er existiert. Die Frage ist: Warum existiert er? Warum, Herr Pollak? Weil der Mensch was ist? Schlecht ist er! Oder warum sonst?
Pollak: Weil Rassismus lange Zeit eine dominante Ideologie war. Es hat, das werden Sie nicht vergessen haben, den Nationalsozialismus gegeben, der eine Übertreibung des Rassismus war.
Mölzer: Ich entsinne mich.
Pollak: Die FPÖ und auch Sie tun sich
schwer damit, Dinge zu verlernen.
Mölzer: Kann sein, wir sind ja auch schlechte Menschen. Sünder – ich bin ja Katholik. Der Mensch hat sehr viele Makel. Es ist im Menschen aus seiner biologischen Strukturiertheit heraus sehr viel an Ängsten vorhanden, an Ablehnung des Fremden. Vorurteilshaltungen, die bis hin zum Pogrom führen können.
Pollak: Aber nicht bei allen – das sind eben Dinge, die man verlernen könnte, wenn man sich kritisch damit beschäftigen würde.
Mölzer: Da bin ich auf Ihrer Seite. Und ich bin auch auf der Seite von Rudolf Augstein, der in den siebziger Jahren in der Beschäftigung mit Stalin und Hitler gesagt hat: „Kriegsverbrecher? Der Mensch als solcher ist ein potenzieller Kriegsverbrecher!“ Der Mensch ist zu allen Untaten fähig, wegen dieses Defekts aus seiner Biologie her. Ich konzediere Ihnen, dass Ressentiments, die aus Ablehnungsängsten entstehen, unter Umständen zu schwerwiegenden negativen Folgen führen können.
Pollak: Diese Ressentiments stehen aber im Zentrum der FPÖ-Politik. Nehmen wir als Beispiel Ihren Umvolkungssager.
Mölzer: Das war kein Ressentiment, das war eher ein Befund. Über die Terminologie kann man natürlich streiten. Aber ich habe aus der damaligen Entwicklung gefolgert, dass es eine Veränderung der ethnischkulturellen Substanz der Bevölkerung gibt. Das ist als solche noch keine Wertung. Das ist ein Befund, und der wurde bedauerlicherweise sogar übertroffen.
Pollak: „Bedauerlicherweise“ ist eine Wertung.
Mölzer: Das habe ich ja auch unter Anführungszeichen eingefügt.
MO: Herr Mölzer, mit wem haben Sie mehr gemeinsam? Mit einer Kärntner Antirassistin oder einem rechtsgerichteten türkischstämmigen EU-Parlamentarier?
Mölzer: Natürlich verbindet mich mit einer Kärntnerin, ganz egal welcher Gesinnung, mehr als mit einem zentralanatolischen Grauen Wolf oder was auch immer. Die Kreise, die mich prägen – das Land aus dem ich komme, die Sprache die ich spreche, das Europäisch-Abendländische. Natürlich führt das bis zur Menschheit oder bis zur Schöpfung insgesamt, zu jeder Kreatur, bis zu den Bäumen in meinem Garten, zu denen ich ein herzliches Verhältnis pflege. Lauter deutsche Eichen (lacht). Nein, eh nur eine.
MO: Herr Pollak, was verbindet SOS Mitmensch mit der FPÖ?
Pollak: Die Gründung von SOS Mitmensch hat sehr stark mit einer Konfliktposition zur FPÖ zu tun, und dieser Konflikt ist nach wie vor virulent. Wir wollen die Menschenwürde stärken, die FPÖ tut genau das Gegenteil – wenn sie zum Beispiel verlangt, dass das Menschenrecht auf Asyl quasi abgedreht wird.
Mölzer: Viele Leute suchen bei uns Asyl, die in erster Linie aus ökonomischen Gründen kommen. Es gibt Länder, die sind EU-Beitrittswerber, wo Asylanten herkommen. Wo ist da die politische Verfolgung?
Pollak: Das ist für die Menschen, die herkommen, ja selbst oft schwer abzuschätzen, ob sie im Sinn der Genfer Konvention Asyl bekommen oder nicht. Sie haben in Europa Anerkennungsraten, die für Menschen aus dem gleichen Herkunftsland zwischen null und 80 Prozent variieren. Wenn ich flüchte, weiß ich daher nie, ob ich als Flüchtling anerkannt werde, oder nicht. Darum ist es zynisch, wenn die FPÖ aufgrund dieser Zahlen das komplette Recht auf Asyl in Frage stellt. Und genau das tut die FPÖ. Und Sie operieren darüber hinaus auch immer wieder mit falschen Zahlen.
MO: Herr Pollak, wenn es so vieles in der FPÖ gibt, das Sie ablehnen – warum haben sie dann dieses Gespräch initiiert?
Pollak: Weil die Konfrontation mit der FPÖ viel mit der Gründung von SOS Mitmensch zu tun hat, und wir wollten das nicht monologisch abhandeln, sondern im Dialog mit einem namhaften Vertreter der Partei, und das sind Sie ja, Herr Mölzer.
Mölzer: Nein, ich bin ein Vertreter meiner eigenen Meinung.
MO: Herr Pollak, nach wie vielen Jahren sollen MigrantInnen eingebürgert werden?
Pollak: Wir haben das belgische Modell als Vorbild genommen, dort gibt es nach drei Jahren das erste Recht auf Einbürgerung. Wir wollen das auch für Österreich, weil die Einbürgerung hier notwendig ist, um das Wahlrecht auszuüben, um vollen Zugang zum Staatsdienst zu haben.
MO: Herr Mölzer, Sie sagen ja immer, dass man sich die Staatsbürgerschaft verdienen muss. Wie haben Sie sich die denn verdient?
Mölzer: Ich habe sie von meinen Vätern ererbt, und zwar mit absolut gutem Gewissen. Da denke ich so wie die Juden im Hinblick auf das Heilige Land. Dieses Land, wo du als autochthoner Österreicher lebst, wo die Gräber deiner Eltern, deiner Großeltern sind, wo die Arbeit von Generationen drinsteckt, wo sie geschwitzt und geblutet haben, möglicherweise auch für falsche Ideologien, alles das führt in der Summe dazu, dass man sagt, das ist unser Gemeinwesen.
MO: Wo ist die Abgrenzung? Wie viele Generationen braucht man, um das Geschenk zu verdienen?
Mölzer: Das ist schwierig. Das kann man weder rechtlich so definieren noch historisch oder moralisch, sondern individuell – das ist eine emotionale, kulturelle Dimension. Es gibt diese emotionale Verbindung, und das sind arme Menschen, die das nicht haben. Das kann Ihnen niemand schenken oder verleihen. Aber die Staatsbürgerschaft kann man verleihen, und man kann einen rechtlichen Rahmen für den Anspruch setzen. Das ist auch sinnvoll, um zu verhindern, dass Gesellschaften auseinanderdriften. Die Frage ist aber schon: Warum kommen Menschen nach Österreich? Sind sie Flüchtlinge, Wirtschaftsmigranten, Diplomaten, Universitätsprofessoren, Kokainhändler?
Pollak: Meine Eltern sind zum Beispiel nicht in Österreich geboren. Sie sind nach Österreich gekommen, sind keine Diplomaten, keine Flüchtlinge ...
Mölzer: Wann sind sie gekommen, von wo? Pollak: In den 50er und 60er Jahren, mein
Vater aus Rumänien, meine Mutter ist in Israel geboren.
Mölzer: Und hatten sie österreichische Wurzeln?
Pollak: Der Vater meiner Mutter hatte Wiener Wurzeln.
Mölzer: Na sehen Sie. Pollak: Väterlicherseits gibt es keine öster
reichischen Wurzeln.
Mölzer: Schauen Sie, ohne zu pauschalieren, aber wenn jemand aus Rumänien kommt, gerade, wenn er jüdisch ist, hat das natürlich schon altösterreichische Komponenten, nehme ich einmal an ...
Pollak: Warum ist Ihnen das so wichtig?
Mölzer: Natürlich ist das ein Unterschied, ob jemand aus Nigeria kommt oder aus Rumänien oder aus Siebenbürgen. Mir braucht da keiner was erzählen, da kenne ich mich wirklich gut aus. Ich weiß schon, wen man nach 1945 alles eingebürgert hat, ohne auf die Sprache zu achten, weil 90 Prozent davon Altösterreicher volksdeutscher Provenienz waren. Dann, ab 1998, hat man die Sprache als Kriterium eingeführt, weil man gesehen hat: Na hoppla, da sind so und so viele, die werden jetzt eingebürgert und können fast kein Deutsch.
Pollak: Mein Großvater konnte auch kein Deutsch.
Mölzer: Na, er wird es schon schnell gelernt haben. Erzählen Sie mir nichts, machen Sie Ihren Großvater nicht herunter.
Pollak: Nein, er hat es nicht schnell gelernt, er hat sich schwergetan, weil es wenige Möglichkeiten gegeben hat, Deutschkurse zu besuchen, gefördert zu werden. Auch heute sind diese Möglichkeiten noch beschränkt. Stattdessen gibt es Zwangsmaßnahmen, die Menschen behindern.
MO: Herr Mölzer, sollten Zugewanderte aus Gebieten der ehemaligen Donaumonarchie bevorzugt werden?
Mölzer: Finde ich schon. Wenn ich das etwa planen würde, als Berater des Bundeskanzlers, und der Kanzler sagt: Wir haben keine Kinder, die allgemeine Samenschwäche nimmt zu, ich muss schauen, dass unser Sozialund Rentensystem aufrecht bleibt. Und ich gehe davon aus, dass die Zuwanderung uns nur Geld bringt und nichts kostet – was tun wir, woher holen wir uns Leut’? Dann würde ich sagen: Zuerst brauchen wir Facharbeiter. Und wir brauchen Leute, die leicht integrierbar sind. Vielleicht sind Nigerianer nicht ganz so leicht integrierbar wie die katholischen Kroaten. Das wäre eine ganz pragmatische Überlegung. Und das wäre ja nicht rassistisch. 30.000 Kroaten, alle möglichst gut ausgebildet, als Schweißer, Spengler.
Pollak: Einerseits argumentieren Sie mit dem Nutzen, andererseits mit der Kultur. Sie vermischen doch zwei Dinge.
Mölzer: Da haben Sie recht. Zuwanderung ist eh nicht wirklich planbar.
Pollak: Nehmen wir einmal an, ein Klimakatastrophenszenario wird wahr, in Nordeuropa bricht die Eiszeit aus, weil der Golfstrom versiegt, und Sie müssen aus Österreich flüchten, nach Afrika. Und wenn Afrika dann sagen würde: Na, den Herrn Mölzer wollen wir hier nicht, der ist uns zu kulturfern.
Mölzer: Ja, das wäre bitter, das stimmt, das wäre wirklich bitter (lacht). Aber so ist das halt.
Pollak: Vielleicht könnte man ja daran arbeiten, dass es nicht so sein muss.
Mölzer: Ah, da vertraue ich drauf, dass Sie dann ein gutes Wort für mich einlegen in Nigeria.
Pollak: Wir legen derzeit eher ein gutes Wort in Österreich ein, für Nigerianerinnen und Nigerianer. Aber schön, dass Sie jetzt Verständnis dafür bekommen haben.
Mölzer: Für mich stellt sich die Frage: Ist es ein legitimes Ziel, alle aktiven, dynamischen Kräfte aus diesen Ländern abzuziehen? Wer sitzt denn in Nordafrika und wartet auf ein marodes Schifferl nach Lampedusa? Das sind ja nicht die Passiven, das sind ja die dynamischsten Elemente.
MO: Wie würden Sie dann das Problem lösen? Einerseits beklagen Sie, dass das Sozialsystem gefährdet sei, weil es zu wenig Nachwuchs gibt. Auf der anderen Seite kritisieren Sie die Zuwanderung. Was schlagen Sie vor?
Mölzer: Also wenn alle sechs Kinder hätten so wie ich, dann wäre das Problem gelöst.
MO: Davon gehen wir nicht aus.
Mölzer: Natürlich, das ist ein Problem. Auch Kinder lassen sich in einem Volk nicht verordnen. Aber wenn ich sage, ich will Zuwanderung, damit die Zuwanderer meine Pensionen zahlen, ist das dann nicht ein wahnsinnig inhumaner Gedanke?
Pollak: Wenn Sie es so formulieren, dann ja.
Mölzer: Außerdem kommen ja nicht die gelernten Schweißer, sondern es kommen Leute mit großen Familien.
Pollak: Vorhin meinten Sie noch, es kämen die Dynamischsten.
Mölzer: Ja, das ist ein Widerspruch, hat er mich schon wieder erwischt, der Pollak! Wir sind da natürlich im Teufelskreis drinnen, da hat der Herr Pollak schon recht. Die Dinge passieren, du kannst das nur bedingt steuern.
Pollak: Ich sehe da keinen Teufelskreis. Ich empfinde es auch nicht als Teufelskreis, dass ich jetzt in Österreich bin – was ohne Migration nicht der Fall wäre. Es ist eine Realität.
Mölzer: Ja, mich betrifft das auch, meine Vorfahren sind auch vor 1.400 Jahren eingewandert.
MO: 1992 forderte die FPÖ: Maximal 30 Prozent Pflichtschulkinder mit nichtdeutscher Erstsprache. Aktuell?
Mölzer: Das ist alles überholt heute.
MO: Ja, und das hätte die FPÖ damals schon wissen müssen. Haben Sie die Menschen getäuscht?
Mölzer: Man hat eben gehofft, das limitieren zu können. So etwas wie den Familiennachzug muss der Gesetzgeber steuern. Mache ich das exzessiv oder einengend?
MO: Momentan ist es exzessiv? Mölzer: Na ja, es ist zumindest relativ weit ausgedehnt. Wobei, dann ist es auch immer wieder schikanös. Natürlich kenne ich Fälle, wo man hört, wie die Leute schikaniert werden, im Roten Wien!
MO: Ist das in Kärnten anders?
Mölzer: Ach, in Kärnten. Ich weiß das nicht, ich habe noch nie mit Einbürgerungen in Kärnten zu tun gehabt.
Pollak: Sie sind eben privilegiert. Ich bin auch privilegiert. Die meisten Zuwanderer, mit denen ich rede, erzählen aber, dass es eine Schikane ist.
Mölzer: Was, der Staatsbürgerschaftserwerb? Ja, das glaube ich auch. Behörden können immer ungut sein, freilich. Bei der Post kommen’s mir blöd, wenn ich einen Brief aufgeb’!
Mitarbeit: Andreas Görg