Ein Frühwarnsystem für Österreich
Vor 20 Jahren wurde das „Lichtermeer“ am Heldenplatz auch zur Geburtsstunde von SOS Mitmensch. Seither hat sich die Organisation mit kreativen Aktionen gegen Rassismus und für eine tolerante Gesellschaft engagiert. Konflikte und Geldmangel waren die Steine auf diesem Weg. Text: Eva Bachinger Foto: Kurt Keinrath
23. Jänner 1993. Die Luftaufnahmen zeigen ein eindrucksvolles Bild: Mit Kerzen und Fackeln umsäumen Menschenmassen das erleuchtete Heldentor und den Heldenplatz. 300.000 Menschen treffen sich genau an jenem Platz, an dem Adolf Hitler 1938 die Massen bewegt hatte. „Wie wenn ein Lavastrom sich ergießen würde, der eine Hitze ausstrahlt, um Eiseskälte und Zynismus zum Schmelzen zu bringen“, zeigt sich der Aktionskünstler und Mitinitiator André Heller auch heute noch beeindruckt. Auch in den Landeshauptstädten protestierten Zehntausende trotz Winterkälte. Das Ereignis war auch internationalen Medien Berichte wert, viele sprachen von einem Statement gegen den Rassismus am historisch belasteten Heldenplatz. Dieser Jännertag war der eigentliche Geburtsmoment von
SOS Mitmensch. Ausgangspunkt war Hellers Haus in der Elßlergasse 9 in Wien-Hietzing: Im aufgeheizten Klima gegen Zuwanderer trafen sich im November 1992 der Schriftsteller Josef Haslinger, der populäre Musiker Willi Resetarits und der Grün-Politiker Peter Pilz. Sie sinnierten darüber, was man tun könnte gegen Jörg Haider und sein „Österreich zuerst“-Volksbegehren. Die offene Artikulation von Ressentiments wurde damals wieder salonfähig. Auch Bundespräsident Kurt Waldheim trug mit seinen Erinnerungslücken dazu bei, bestimmte Haltungen zu stärken. „Das Land war wirklich reif dafür, dass diesem Wahnsinn endlich jemand entgegentritt“, erzählt Autor Josef Haslinger. Die kleine Runde wollte eine „Bewegung“ gründen. Heller: „Wir wollten eine Veranstaltung auf die Beine stellen, die imponierend und nachhaltig ist. Wir waren der Ansicht, dass wir etwas unternehmen müssen, was so beeindruckend für alle Medien ist und so grandiose Bilder schenkt, dass es vielleicht wirklich einen Einfluss auf das Denken mancher Menschen und auch Jörg Haider zeigt: Burschi, es gibt auch noch andere, die was zusammenbringen.“
Bei der Pressekonferenz anlässlich der Gründung von SOS Mitmensch am 10. Dezember 1992 wurde klar: „Da ist was am Kochen“, so Heller. „Es war eine große Empörung spürbar, quer durch alle Gruppen und Weltanschauungen, denn das FPÖ-Begehren war das erste Volksbegehren tatsächlich gegen Menschen“, meint Willi Stelzhammer. Schließlich reifte die Idee eines „Lichtermeeres“. Bereits am 6. Dezember 1992 hatten 400.000 Menschen in München mit einer „Lichterkette“ gegen ausländerfeindliche Ausschreitungen wie auch den Brandanschlag von Mölln protestiert. Und damit gezeigt, dass eine derartige Großdemonstration gegen Fremdenfeindlichkeit möglich ist.
Alle wollten dabei sein
Die nächsten Treffen fanden bei der damaligen Grünen Wiener Landtagsabgeordneten Friedrun Huemer und dem Journalisten Peter Huemer statt. Egal, wen man fragt, alle wollten von Beginn an dabei gewesen sein. „Ich sehe die Runde noch vor mir“, sagt PRExpertin Milli Segal, „beide Charims, ich, Haslinger, Pilz, Heller, Willi Resetarits.“ Hinzugekommen seien Helmut Schüller, Martin Schenk, Herbert Langthaler, Michael Genner, Willi Stelzhammer. Die Vorbereitungen liefen im Winter 92/93 auf Hochtouren: „Wir arbeiteten im Büro in der Operngasse täglich mindestens zwölf Stunden, wochenlang“, schildert Segal, die mit Stelzhammer, Horst Horvath, Nora Scheidl und Niki Kunrath den harten Kern bildete. Egal wer angesprochen wurde, alle wollten mitmachen: NGOs, Kirchen, Gewerkschaften, KünstlerInnen, nicht nur SozialdemokratInnen, Liberale, KommunistInnen und Grüne, auch ÖVP-VertreterInnen wie Marlies Fleming oder Agnes Berlakovich, damals ÖH-Vorsitzende. „Da sind sogar die Plakate in der Bank Austria gehängt“, erinnert sich Kunrath. Heute kaum
vorstellbar, dass eine Bank so eine Demonstration unterstützen würde. Als Redner trat beim Lichtermeer Kardinal Franz König auf. Sogar der Pressesprecher von Innenminister Franz Löschnak wollte den Aufruf unterschreiben. Bei solchen Fällen kam es zu Konflikten im Team, man wollte sich nicht von Gruppen vereinnahmen lassen, die man kritisierte.
Der Name „SOS Mitmensch“ ist insofern auch als Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Personen zu sehen. NGOs wollten die Kritik auch an die SPÖ/ÖVP-Regierung richten und liebäugelten mit „SOS Rassismus“, Prominenten war der Begriff zu scharf, sie wollten alle Kräfte gegen Haider bündeln, mit „Mitmenschlichkeit zuerst“, als Kontrapunkt zum FP-Volksbegehren. „An diesem Tag hat alles funktioniert. Es war irgendwie gesegnet: Keine Schneestürme, die Züge und Autobusse sind pünktlich gekommen“, erinnert sich André Heller. „Kein Mensch hat mit dieser Menschenmenge gerechnet, die Menschen sind bis zur Maria-Theresia-Statue gestanden“, bekennt: „Das Lichtermeer war für mich das Größte in meinem bisherigen Engagement für Menschen auf politischer Ebene. Es hatte eine fast ,religiöse‘ Dimension, so viele Menschen mit Fackeln und Kerzen auf engstem Raum – und so friedlich.“ Das Lichtermeer hat jedenfalls für einen Dämpfer beim Volksbegehren gesorgt: 416.531 Menschen unterzeichneten es, doch mit einem Anteil von 7,35 Prozent aller Wahlberechtigten ist es nur an 13. Stelle der bisher 35 Volksbegehren gereiht.
Als die erste Kerze ausging
Trotz dieses großen Zuspruchs folgten kaum Verbesserungen im Asyl- und Fremdenrecht. Im Gegenteil. SOS Mitmensch ist 20 Jahre danach mit einer verworrenen Gesetzeslage und weiterhin mit einem unmenschlichen Umgang mit Flüchtlingen konfrontiert. Dieser schleichende Prozess setzte gleich nach dem Lichtermeer ein: „Es war eine komische Sache, diese Empfänge bei den Politikern. Diese Freundlichkeit und dieses Gratulieren, und in Wirklichkeit hat man nichts erreicht. Sie haben uns an einer ganz weichen Oberfläche mit enormer Freundlichkeit zu hundert Prozent abblitzen lassen“, erinnert sich Josef Haslinger, der 1992/1993 Vorsitzender war. Willi Stelzhammer sieht die Bremser in den Parteien: „Die Sehnsucht nach einer anderen Politik, nämlich die Zivilgesellschaft tatsächlich einzubinden, wurde von den Parteien torpediert, indem sie ihre Vorfeldorganisationen zurückgepfiffen haben.“ Martin Schenk ergänzt: „Sobald die erste Kerze erloschen war, haben sich die Regierungsparteien aus dem Bündnis verabschiedet.“ Die Regierungsparteien setzen bis heute nicht auf klare Abgrenzung von der FPÖ-Politik, sondern versuchen in Konkurrenzhaltung mit populistischen Ansagen bei den Wählerinnen zu punkten. Als Sündenfall der SPÖ gilt beispielsweise die Zustimmung zur Fremdenrechtsnovelle 2003, zudem als Oppositionspartei.
Der neu gegründete Verein ließ sich indes nicht beirren: Ein wichtiger Eckpunkt in der Anfangszeit war die UN-Menschenrechtskonferenz vom 14. bis 25. Juni 1993 in Wien. Nicht Amnesty International, sondern SOS Mitmensch gestaltete federführend das Programm für 1.500 NGOs. Parallel dazu wurde ein Open-Air-Programm auf der Donauinsel organisiert: Beinahe wäre sogar Bruce Springsteen kostenlos aufgetreten. Es war aber auch die Phase, wo nicht klar war, wie es weitergehen soll. Viele AktivistInnen hatten sich zurückgezogen, Martin Schenk führte den Verein bis 1995. „Mir war wichtig, die Frage der Menschenrechte, aber auch die sozioökonomischen Fragen in den Fokus zu stellen. Denn vieles, was wir Ausländerfeindlichkeit nennen, hat seine Ursache in Machtkonflikten zwischen Bevölkerungsgruppen.“ 1995 war SOS Mitmensch Gründungsmitglied der Armutskonferenz, ein Netzwerk von Sozialvereinen, das sich gegen Armut engagiert und heute eine bedeutende Stimme in der öffentlichen Debatte ist. In dieser Zeit rückte auch Nikolaus Kunrath stärker ins Zentrum des Koordinationsbüros, wie es anfangs hieß. Als Generalsekretär von SOS Mitmensch koordinierte er 1997 das EU-Jahr gegen Rassismus in Österreich. Von Anfang an waren die eigentlich Betroffenen aber nicht an Bord. SOS Mitmensch wurde vor allem von „weißen“ ÖsterreicherInnen getragen. „Eine der Schwächen von Anfang an“, meint Kunrath. Und eine Quelle für Konflikte. Vor allem als 1999 Marcus Omofuma bei der Knebelung durch Polizisten während der Abschiebung im Flugzeug starb, hielt die schwarze Community eigene Kundgebungen ab. „Bei Omofuma hat SOS total ausgelassen“, findet Kunrath, der damals nicht mehr bei SOS Mitmensch war. Interne Konflikte hatten 1998 zum „nicht friedlichen Abgang“ geführt. Da er viele Projekte mit öffentlichen Geldern abwickelte, wurde ihm zu große Nähe zu Parteien vorgeworfen.
Beim Fünfjahresfest kam es bei einer Matineé u. a. mit Andreas Khol (ÖVP) und Peter Kostelka (SPÖ) zum Eklat: Vorstandsmitglieder empörten sich, weil sie keine Regierungsvertreter auf der Bühne sehen wollten. Kunrath will zu diversen „Ungeheuerlichkeiten“ rund um seinen Abgang heute nichts mehr sagen. Aber: „Ich trage SOS Mitmensch in meinem Herzen. Es gibt wohl kaum eine Organisation, die so viele verschiedene kreative Aktionen gemacht hat.“ Letztlich eskalierte hier ein bekannter Konflikt bei derartigen Initiativen: Soll man politische Parteien in zivilgesellschaftliche Aktionen einbeziehen oder sich klar von ihnen abgrenzen? Auch 2002 beim Volksbegehren „Sozialstaat Österreich“, wo sich der Aktivist Willi Stelzhammer engagierte, kam es zu diesen Debatten. Er wandte sich schließlich ganz ab: „Es war aber kein Bruch, sondern ich habe auch aus persönlichen Gründen eine andere berufliche Orientierung eingeschlagen“, erklärt er heute. Aufgrund seiner Erfahrungen in Frankreich war seine Vorstellung von SOS Mitmensch an „SOS Racisme“ angelehnt. „Am Horizont ist aber heute keine übergreifende Mobilisierung der Zivilgesellschaft zu sehen. Ich will die Arbeit von vielen Vereinen nicht schmälern, aber es gibt leider keine Koordination.“ Genau diese offene Plattform, wo Kräfte aus der Zivilgesellschaft andocken sollten und wo Zusammenarbeit außerhalb des Parteienzugriffs stattfinden sollte, müsste SOS Mitmensch sein, meint Stelzhammer. „Aber das darf es in Österreich nicht geben. So was wird erstickt und zu Tode umarmt. Ich sage nun nicht, dass SOS Mitmensch zu Tode umarmt ist, aber der politische Anspruch ist meinem Geschmack nach sehr zurückgeschraubt.“
Parteien einbinden oder nicht?
Auch heute noch zeigen sich die Bruchlinien von damals: Kunrath, der für die Wiener Grünen arbeitet, ist für die Einbeziehung von Parteien: „Warum soll man sie draußen lassen? Sie sollen mitbekommen, was da passiert, das ermöglicht größere Öffentlichkeit. Beim Lichtermeer hat es keinen Unterschied gegeben: Friedrun Huemer saß neben Haslinger, Fleming neben Willi Stelzhammer. Ich bestreite, dass Initiativen parteipolitisch vereinnahmt werden. Es wäre nur extrem wichtig, dass man sich gegenseitig ernst nimmt.“ Ein wichtiger Name im Zusammenhang mit Konflikten ist auch Günter Ecker, der den Schwesterverein SOS Mitmensch-Oberösterreich führte. Ecker, der aus einem linken Milieu kommt, übernahm die Schubhaftbetreuung. Seine Nähe zum Innenressort wurde bald zum Zündstoff im Verein. 1999 kam es zu Krisensitzungen und schließlich zur Umbenennung des Vereins in Oberösterreich: Zuerst auf „SOS Menschenrechte“, nach weiteren Konflikten gründete Ecker den „Verein Menschenrechte“, der mittlerweile sämtliche Aufträge des Ministeriums durchführt. Für die NGO-Szene ist er längst auf die „andere Seite“ gewechselt.
Generationswechsel
Im Wiener Büro kam es zu einem Generationswechsel, als Philipp Sonderegger, seit 1995 im Büro tätig, Vize-Sprecher wurde und von 2003 bis 2005 auch Geschäftsführer war. Wieder einmal bündelte der Widerstand gegen Schwarz-Blau die Kräfte: Im Februar 2000 wurde eine Großdemonstration am Heldenplatz mit rund 250.000 TeilnehmerInnen organisiert. Geldmangel war ein stetiger Begleiter über die Jahre: Ab 2001 fanden Kunstauktionen zugunsten von SOS Mitmensch statt, entwickelt von Milli Segal, Rudolf Scholten und Horst Horvath. Die Versteigerungen wurden zu einer wichtigen Einnahmequelle. Auf breite Unterstützung der Mitte der Gesellschaft konnte SOS Mitmensch just unter Schwarz-Blau nicht mehr zählen. Wie breit ursprünglich die Zustimmung war, zeigt sich darin, dass damals sogar die Zillertaler Schürzenjäger das Lichtermeer unterstützten, noch im Herbst 1996 gaben sie ein Benefizkonzert.
Von Beginn an setzte der Verein auf Ehrenvorsitzende. Bekannte Persönlichkeiten sollten die Aufmerksamkeit auf SOS Mitmensch und auf Flüchtlinge lenken. Die Schriftstellerin Christine Nöstlinger war für Kunrath als Ehrenvorsitzende ein Highlight: „Jeder hat sie gekannt, und das war toll für uns. Sie hat sich immer kompetent und ernsthaft eingebracht.“ Nach Karl Merkatz folgte Georg Danzer und dann Marianne Mendt, die sich durch ihre Nähe zu Landeshauptmann Erwin Pröll allerdings nicht als Glücksgriff erwies. Ab 2003 wurde das Modell Ehrenvorsitz eingestellt: Der nunmehrige Sprecher Philipp Sonderegger wollte die NGO wieder auf das Kernthema Asyl ausrichten. Folglich wurde mit der Menschenrechtsanwältin Nadja Lorenz eine Expertin als Vorsitzende installiert. Nadja Lorenz, die als Anwältin mit viel Engagement AsylwerberInnen vertritt, kannte SOS Mitmensch schon vor ihrer Tätigkeit als Vorstandsmitglied und nahm die Einladung, als Vorsitzende zu fungieren, aus Überzeugung an: „Ich kannte SOS Mitmensch als eine Organisation, die sich für die meines Erachtens richtigen Anliegen einsetzt und überdies eine verbindende Funktion zwischen einzelnen anderen NGOs eingenommen hat, was ich für sehr wichtig erachte.“ Sie wollte neben dem Sprecher des Vereins ein „gewichtiges und fachlich versiertes Sprachrohr“ sein. Sonderegger war auch die Stärkung der Zivilgesellschaft ein Anliegen: Allianzen schmieden, Akteure aufsuchen und unterstützen gehörte zu den zentralen Aufgaben. So fand der neu gegründete Anti-Rassismus- Verein Zara in einem Minizimmer im Büro in der Zollergasse Unterschlupf. Auch Ute Bock konnte nach ihrem Abgang bei der Stadt Wien als Heimleiterin bei SOS Mitmensch weiterarbeiten. „Ehe ohne Grenzen“, eine Initiative, die sich für binationale Paare einsetzt, durfte ebenfalls auf infrastrukturelle Hilfe bauen. Nicht zuletzt durch den Fall Arigona Zogaj und die Abschiebungen gut integrierter Familien stieg in der Bevölkerung der Unmut: Einzelpersonen und Nachbarschaftsinitiativen begannen sich zu engagieren. SOS Mitmensch fungierte als Vermittlerin zwischen kleinen Gruppen und großen NGOs. Die Kampagne erfuhr 2008 ihren Höhepunkt am „Tag des Bleiberechts“.
Das heutige Antragsrecht kann SOS Mitmensch auch auf sein Konto verbuchen. Allerdings: Da SOS Mitmensch andere Initiativen in den Vordergrund rückte, ging auch viel Benefit verloren, meint Sonderegger. „Dass es Frau Bock ohne uns nicht mehr gäbe, wissen vielleicht 40 Leute. Aber das ist der Preis, den man zahlt.“ Nun sei es wieder an der Zeit, das Profil als politische Organisation zu schärfen, findet Sonderegger. Das mache sein Nachfolger Alexander Pollak seit Anfang 2011: „Er hat mehr den Zug zum Tor und arbeitet mit klar abgegrenzten Kampagnen wie jener gegen den WKR-Ball in der Hofburg für eine republikanische Integrationspolitik oder gegen rassistische Speisebezeichnungen.“ Kunrath findet positiv, dass mit Pollak auch das Phänomen Antisemitismus stärker beachtet wird. Aber er wendet ein, dass SOS Mitmensch bis heute das Urziel, eine grundsätzliche Änderung der Ausländerpolitik, nicht erreicht habe. „Ich sehe eine sehr breite Müdigkeit. Es ist immer der gleiche Zirkel, der sich engagiert. Die Reaktion der Politik hat sich verschärft. Aussagen von SPÖ und ÖVP sind heute nicht anders als die Sager der FPÖ vor 20 Jahren. Wenn über Abschiebungen berichtet wird, ist das zwar vielen nicht egal, aber es gibt auch eine größere Spaltung in der Gesellschaft. Bedrückt hat mich immer, dass es besonders schwerer Fälle bedarf, um noch wahrgenommen zu werden. Dieser Zynismus, der zugenommen hat, erschreckt mich.“
Für Sonderegger ist SOS Mitmensch auch heute noch ein „schillernder Name, mit dem man weit in die gesellschaftliche Mitte kommen kann. SOS Mitmensch kann Randthemen in die Mitte tragen“. Aber angesichts der Bilder des Lichtermeeres empfindet er Bedauern: „Es war angelegt als Angebot an die Regierung, eine Koalition zu schmieden – um zu zeigen, dass man ihr den Rücken freihält und sie eine vernünftige Politik machen kann. Die Politik hat den Ball aber nicht aufgenommen. Wir nagen 20 Jahre später noch immer an denselben Problemen.“ Mit dem starken Rückenwind des Lichtermeeres hätte die Politik in Bildung investieren und aktive Arbeitsmarktpolitik machen können, damit Flüchtlinge nicht mehr als Sündenböcke herhalten müssten. „Jetzt – eine Ironie der Geschichte – wird uns vorgeworfen, dass wir die Probleme nicht wahrnehmen und abgehoben seien, nur weil wir Zuwanderung nicht als ethnisches Problem diskutieren wollen.“
Josef Haslinger glaubt daran, dass das Engagement von SOS Mitmensch das Land vorantreibt. „SOS Mitmensch ist eine Art österreichisches Frühwarnsystem.“ Willi Stelzhammer sieht die NGO als etabliert an, so wichtig wie Attac, Greenpeace und Amnesty. „Sie deckt ein bestimmtes Segment ab, allerdings nicht mehr mit dem Impetus, eigenständige Politik neuen Stils im Rahmen der Zivilgesellschaft zu formulieren und Interessierte zu koordinieren. Aber ich bin nicht resigniert – wenn bestimmte Dinge doch zu weit gehen, kann es wieder ein Erwachen geben: Die 300.000 gibt es ja noch, das ist eine große Kraft und meine Zuversicht.“ Die SOS-Mitmensch-Vorsitzende Nadja Lorenz verspricht, dass sich der Verein „auch in Zukunft zu Themen wie Integration, Asylrecht, Antirassismus lautstark zu Wort melden und seinen Beitrag leisten wird, um unsere Gesellschaft zu einer offeneren und weniger ausgrenzenden Haltung zu bringen“.