Ende der Ethno-Spiele
Bei den Profis längst abgeschafft, gelten im Amateurfußball für AusländerInnen immer noch Einsatzbeschränkungen. Jetzt hat der ÖFB, auf sanften Druck der EU, reformiert. Ab Sommer gehören dann auch die so genannten Volksgruppenteams der Vergangenheit an. Text: Reinhard Krennhuber. Fotos: Karin Wasner
Ein Februarabend in der Anker Arena im Süden von Wien. Bei Temperaturen unter dem Nullpunkt tut sich die Fußballanlage des KSV Ankerbrot am Laaer Berg noch ein bisschen schwerer als sonst, ihrem protzigen Namen gerecht u werden. Auf dem Kunstrasen neben dem Hauptfeld trainiert die Mannschaft von Vienna Türkgücü, eine der UntermieterInnen des Geländes. 20 Spieler drängen sich auf einer Spielfeldhälfte. Üblicherweise sind es noch mehr. Da an diesem Abend aber der AC Milan gegen den FC Barcelona spielt, haben einige das warme Wohnzimmer dem kalten Trainingsplatz vorgezogen.
Vienna Türkgücü spielt in der 2. Klasse A des Wiener Fußballverbands. Die Mehrheit der Spieler hat Migrationshintergrund. Viele besitzen den österreichischen Pass. Dass die bislang geltenden Beschränkungen für Nicht-Österreicher im Amateurfußball im kommenden Sommer aufgehoben werden, ist dennoch ein Thema. „Seit zehn Jahren kämpfen wir dagegen. Deshalb begrüße ich diese Entscheidung natürlich,“ sagt Mustafa Iscel, Obmann von Vienna Türkgücü. „Aber eigentlich ist es traurig, wenn wir 2013 mitten in Europa über so etwas überhaupt noch diskutieren müssen. Fußball sollte für jeden zugänglich sein, unabhängig von der Herkunft.“
EU-Druck und integrative Zeichen
Während der Berliner Fußballverband migrantische Vereine bereits in den 1970er Jahren in seine Ligen aufnahm, gelten in Österreichs Unterhaus immer noch restriktive Ausländerbeschränkungen. Vereine unterhalb der Regionalliga dürfen maximal drei ausländische Spieler einsetzen. In manchen Landesverbänden sind nur zwei erlaubt. Diese Regelung gilt übrigens auch für den Frauenfußball. Ausnahmen hat man für Nicht-Österreicher beschlossen, die vor dem 18. Lebensjahr bei einem Verein gemeldet waren.
Im Zuge der Reformen musste sich der ÖFB aber auch noch einem anderen Phänomen, dem der „Volksgruppenteams“, widmen. In diesen fanden sich bislang ExilantInnen gemeinsamer Herkunft zusammen und bildeten eigene Spielergemeinschaften, in denen bislang der Einsatz von ÖsterreicherInnen limitiert war. Mit der Reform werden auch diese Zugangsbeschränkungen aufgehoben. Bis zum Saisonende spielen die Volksgruppenteams noch mit Ausnahmegenehmigungen des ÖFB, danach stehen die Teams allen SpielerInnen offen.
Dass es zu diesen Umwälzungen kam, hat vor allem mit der EU zu tun. Weil die Beschränkungen auch für EU-Bürger galten, wurde der Druck auf den ÖFB stetig größer. Zahlreiche JuristInnen erklärten den Fußball-Bossen, dass ihre Regeln rechtswidrig sind. Im jüngsten Bericht der Kommission gegen Rassismus und Intoleranz des Europarats (ECRI) legte man den österreichischen Behörden nahe, „so rasch wie möglich beim ÖFB zu intervenieren, um eine Revision der Regel zu erreichen.“ Im Dezember vergangenen Jahres war es dann soweit. Das ÖFB-Präsidium beschloss, die Ethno-Grenzen mit Beginn der Saison 2013/14 abzureißen. Damit folgte das oberste Gremium des Österreichischen Fußballverbands der Empfehlung seiner Rechtskommission. In ihr sitzt auch Thomas Hollerer, seines Zeichens Direktor für Administration und Recht. Hollerer räumt ein, dass der Druck der EU mitentscheidend war, betont aber: „Wir hätten auch Nicht-EWR-Bürger einschränken können, haben das aber bewusst nicht gemacht. Menschen, die aus anderen Ländern nach Österreich kommen, sollen keinen diskriminierenden Bestimmungen unterworfen sein, wenn sie hier Fußball spielen wollen.“
„Es wird sich nicht viel ändern“
Allerdings wird es weiter Einschränkungen geben. Den Landesverbänden wurde es vom ÖFB gestattet, „nicht diskriminierende und verhältnismäßige Eigenbauspielerregelungen“ einzuführen. Teilweise existieren diese bereits. In Niederösterreich gilt seit 15 Jahren eine Maßnahme, die die Vereine zur Förderung von EigenbauspielerInnen anhalten und den Einsatz von SpielerInnen aus Nachbarländern wie Tschechien und der Slowakei beschränken soll. „Dazu kommt ab Sommer die Verbandsspielerregelung, die sich an die Home-Grown-Player-Maßnahme der UEFA anlehnt“, sagt Ludwig Binder, Präsident des Niederösterreichischen Fußballverbands.
Als EigenbauspielerIn wird definiert, wer drei zusammenhängende Jahre bei einem Verein gemeldet ist. Dieser Zeitraum wird ab Sommer auf zwei Jahre verkürzt. VerbandsspielerIn ist, wer fünf Jahre bei einem im ÖFB registrierten Verein gemeldet ist. Für beide Kategorien ist die Nationalität unerheblich. „Am Spielbericht dürfen zwei Legionäre stehen, der Rest müssen Eigenbau- oder Verbandsspieler sein“ so Binder, für den die Aufhebung der bisherigen Regeln damit abgefedert ist. „Es ist nicht mehr entscheidend, ob ein Spieler Ausländer ist oder nicht, aber es wird sich nicht viel ändern,“ sagt der NÖFV-Präsident.
Ähnliche Regelungen werden auch die Landesverbände in Oberösterreich und im Burgenland einführen. Im Wiener Verband tendiert man zu weniger Restriktion. „Eine Entscheidung des Vorstands steht noch aus,“ sagt WFV-Präsident Robert Sedlacek. „Ich halte Einschränkungen für nicht unbedingt notwendig, kann mir aber vorstellen, eine sanfte Beschränkung für die oberen Bereiche – also die Wienerliga und die Oberliga – einzuziehen, um zu verhindern, dass Vereine im Aufstiegs- oder Abstiegskampf reine Legionärstruppen zusammenkaufen.“
Für Kurt Wachter von der Initiative „FairPlay. Viele Farben. Ein Spiel“ ist das Szenario des Legionärs-Shopping unrealistisch. „Bereits kurz nach der Osterweiterung der EU ist die Sorge geschürt worden, dass das Unterhaus von Kickern aus Osteuropa überschwemmt würde, die den heimischen Talenten die Karriere verstellen. Das ist nicht eingetreten,“ sagt Wachter. Mit der nun aufgehobenen Beschränkung habe sich der ÖFB nicht nur EU-Recht widersetzt, sie sei auch im Widerspruch zum Selbstbild des Verbands gestanden. „Wir haben seit 2006 eine Partnerschaft mit dem ÖFB, die sich auf integrative Botschaften stützt – mit Role Models wie David Alaba und Zlatko Junuzovic. Da passt es nicht, wenn man im Amateurbereich gleichzeitig tausende Spieler diskriminiert,“ sagt Wachter.
Gegenüber MO kündigt Wacher an, die neuen Einschränkungen genau zu prüfen. Denn die nach außen hin nicht diskriminierende Eigenbauspielerregelung berge für einige Klubs Hindernisse. „In Wien gibt es rund 30 migrantisch bestimmte Vereine, die keine eigenen Plätze haben. Für sie ist es nahezu unmöglich, einen Nachwuchsbetrieb aufzubauen. Wenn man die Eigenbauspielerregelung auf die soziale Realität umlegt, können migrantische Vereine, die diese Spieler nicht haben, dadurch vom Spielbetrieb ausgeschlossen werden.“
Absurd hohe Mieten
Von diesen Problemen kann Mustafa Iscel ein Lied singen. Vienna Türkgücü hat nach Angaben des Obmanns in den 15 Jahren des Vereinsbestehens elf- oder zwölfmal den Platz gewechselt. „Wir zahlen extrem hohe Mieten, bekommen zu wenige Trainingseinheiten und müssen mit bis zu 35 Leuten auf einem halben Platz trainieren“, so Iscel. Beim Besuch in der Anker Arena werden die Probleme offensichtlich. Die Spielfeldhälfte ist zu klein für einen geordneten Trainingsbetrieb. Immer wieder fliegen Bälle von nebenan, wo der nächste Klub trainiert, auf den Platz. Pünktlich zum offiziellen Trainingsende um 21.20 Uhr geht das Licht der Flutlichtanlage aus, im Dunkeln packen die Kicker ihre Sachen zusammen.
Ähnlich finster sind die Bedingungen, mit denen sich die New African Football Academy (NAFA) herumschlagen muss. Der Verein, in dem zahlreiche Fußballer aus Afrika, aber auch aus Österreich und anderen Nationen kicken, spielt in der 1. Klasse B des Wiener Verbands – bis dato nach der Volksgruppenregelung, die durch die Reform abgeschafft wird. Obmann Emmanuel Ekeigwe sieht dadurch zwar kein Problem, kritisiert aber eine Benachteiligung gegenüber eingesessenen Vereinen: „Die Preise für die Untermieten sind teilweise absurd hoch, gerade wenn man bedenkt, dass wir weniger Mitglieder und weniger Einnahmen haben als die österreichischen Teams.“ Mit Ende der Saison muss die NAFA den angemieteten Platz im 11. Bezirk verlassen, weil er renoviert wird. Ersatz ist noch nicht gefunden: „Die Plätze kosten bis zu 11.000 Euro pro Saison. Das ist für uns unleistbar.“
Bestrebungen, einen eigenen Nachwuchsbetrieb aufzubauen, musste die NAFA aufgrund des finanziellen Mehraufwands vor zwei Jahren auf Eis legen. Ekeigwe sieht vor allem die Stadt gefordert: „Wir bekommen keine Zuschüsse für Platzmiete oder anderweitige Unterstützung. Hier besteht akuter Handlungsbedarf, denn ohne Spenden von privaten Personen könnten wir nicht überleben.“ Öffentliche Subventionen wären auch eine Investition in die Zukunft des österreichischen Fußballs, meint Emmanuel Ekeigwe. „Das Nationalteam baut auf Spieler der zweiten Generation. In den Migrantenvereinen gibt es viele Talente mit großem Potenzial. Wenn man uns unterstützt, werden wir viele junge Alabas und Arnautovics produzieren.“