Das Problem mit den Linksextremen
Noch nie hat es in Österreich derart entschlossene Flüchtlingsproteste gegeben. Dennoch sind – bis auf das Innenministerium – alle AkteurInnen in der Defensive. Eine Diskursanalyse. Kommentar: Philipp Sonderegger
Die traurige Situation von Flüchtlingen kann leider auch in Österreich nicht verändert werden. Denn wir leben hier in einem Rechtsstaat. Da entscheiden Gerichte. Das Wissen die Flüchtlinge vielleicht nicht, sie kommen ja von wo anders her. Aus Ländern, in denen nicht so hohe Standards herrschen. Stammesgesellschaften, korrupte Bürokratien – Diktatur und Nepotismus. Gut, die Saualm, das war wirklich eine Schweinerei. Aber um solche Unzulänglichkeiten kümmern sich ja behördliche Kontrollinstanzen, NGOs, die Volksanwaltschaft und Medien. Der Staat kann sich nicht erpressen lassen. Den Flüchtlingen aber kann man ihre Fehleinschätzung und die aussichtslose Selbstaufgabe nicht verdenken. Sie werden in ihrer Not von Radikalen instrumentalisiert, die Kapital aus diesen unruhigen Zeiten schlagen wollen. Das sind Leute – auch aus Deutschland – die sich selbst nicht die Hände schmutzig machen und bereit sind, das Leben anderer für ihre Ideologie aufs Spiel zu setzen. Diese Leute dürfen in der Debatte nicht das Sagen haben. Denn sie verhindern die tatsächlich notwendigen Reformen: Etwa beim Arbeitsmarktzugang, wo von 10.000 Saisonnier-Jobs nur 500 von Asylanten ausgeführt werden. Da sind auch Caritas und Co gefordert.
Stimmungsumschwung
Diese Montage aus Zitaten und Argumenten beschreibt den Diskurs zum Refugee-Protest der letzten Wochen und Monate in österreichischen Medien. Der „Kurier“ formuliert seine Conclusio daraus so: Im Grunde muss sich bei der Asylpolitik nichts ändern und ortet das „eigentliche Problem“ bei den „Rechts- und Linksextremisten.“ Was ist passiert? Noch einige Monate zuvor war die allgemeine Empörung über die österreichische Asylpolitik groß: verschimmelte Unterkünfte, säumige Länder, zur Untätigkeit gezwungene Asylsuchende und unmenschliche Abschiebungen. Dazu kam ein in dieser Entschlossenheit noch nie da gewesener Flüchtlingsprotest; der Protestzug von Traiskirchen nach Wien, das Refugeecamp im Sigmund-Freud-Park sowie der Hungerstreik in der Votivkirche. Wie konnte die Stimmung sich so drehen?
Die Protestierenden sehen sich im wesentlichen mit zwei diskursiven Strategien konfrontiert, mit denen ihre Inhalte delegitimiert werden (sollen). Zum einen mit einer Entpolitisierung der Flüchtlinge und zum zweiten mit einer Desavouierung von UnterstützerInnen. Heute sind alle Beteiligten – ausgenommen das zuständige Innenministerium – in der Defensive. Der Ruf nach einer Änderung der Asylpolitik ist leise geworden.
Alles muss sich ändern – nur die Asylpolitik nicht
Ändern sollen sich die Geflüchteten. Sie sollen anerkennen, dass es sich hier nicht um eine politische, sondern um eine rechtliche Auseinandersetzung handelt. Es geht nicht um die Dublin-Verordnung, derentwegen im Namen der Solidarität zwischen den Staaten Menschen statt Euros hin- und her verschoben werden. Um schließlich in Ländern zu landen, die wie Griechenland mit ihrer Verantwortung heillos überfordert sind. Es geht auch nicht um Mindeststandards bei den DolmetscherInnen, um ordentlich geführte Quartiere oder ein faires Asylverfahren. Sollen die Geflüchteten die mangelhaften Asyl-Bescheide doch hinnehmen, die inakzeptablen Bedingungen der viel zu oft verhängten Schubhaft akzeptieren. Sie sind nun einmal von unseren Gerichten zu dem erklärt worden, was sie jetzt sind: Geduldete, die leider nicht dorthin abgeschoben werden dürfen, wo sie weggegangen sind.
Und weiter in dieser Perspektive, zum Hungerstreik: Da es dabei nicht um politische sondern um rechtliche Fragen geht, ist der Hungerstreik der Refugees gar nicht als Protest anzusehen, sondern schlicht als Erpressung. Sich mit Gleichgesinnten zu organisieren und Missständen mit gewaltlosen Mitteln öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen – das kann als zivilgesellschaftliches Engagement nicht akzeptiert werden. Das Mehr an Partizipation, mit dem man selbst gerade die Demokratie aus der Glaubwürdigkeits-Krise holen will, gilt für Flüchtlinge nicht. In ihrem Fall wird der Hungerstreik zum Ausdruck von deren Rückständigkeit.
Ändern soll sich der öffentlichen Meinung zufolge aber auch die Caritas. Ein bisschen zumindest, immerhin hat sie die heikle Situation in der Votivkirche gut gemeistert. Nun wird sie von Rechts und Links kritisiert und kann deshalb nicht ganz falsch liegen. Auch das Innenministerium ist recht zufrieden mit der Hilfsorganisation. Immerhin stellt sie sich freiwillig in die Schusslinie. Scharmützel zwischen Caritas und AktivistInnen entlasten das Ministerium. Zum Dank rügt die Innenministerin dann die NGOs. Dafür, dass „von 10.000 Saisonnierstellen nur 500“ von Asylwerbern eingenommen würden. Da sei die Caritas gefordert, wenn es nach der Innenministerin geht. Und nicht etwa die Gesetzgebung. Ein Passus besagt, dass Asylwerber, die ein paar Hunderter verdienen, ihre soziale Absicherung für sich und ihre Angehörigen verlieren. Wenn sie diese Gesetzesregelung kritisiert, nimmt die Caritas den äußeren (linken) Rand in dieser Diskussion ein.
Das Krokodil hat Schuld
Weiter weg vom Zentrum sind nur noch Nebenrollen ohne Text: Die „Extremisten“ und „Chaoten“, sie sind in diesem Stück das böse Krokodil. Von ihnen wird immerhin nicht erwartet, dass sie sich ändern. Mit ihnen zu reden hat ohnehin keinen Zweck. Das Krokodil muss beißen, das liegt in seiner Natur. Anders macht dieses Tier im Kasperltheater keinen Sinn. Auch in dieser Aufführung gehen die gefährlichen Triebkräfte vom Krokodil aus. Warum kam denn bisher keine Lösung zustande? Warum verweigern die Flüchtlinge die angebotenen Ersatzquartiere? Richtig, weil das Krokodil sie daran hindert, in diese „Lösung“ einzuwilligen. Das Happy End dieser Inszenierung sähe wohl so aus: Das Krokodil kriegt vom Polizisten eins auf den Kopf und die Flüchtlinge ziehen bei der Caritas ein. Ausgedacht hat man sich dieses Drehbuch im Innenministerium: Vom ersten Tag an wurden aus dem BMI Informationen über gefährliche Anarchisten aus Deutschland gestreut, die das Refugeecamp im Sigmund-Freud-Park organisiert hätten. Als Aufmarschbasis für die Proteste gegen den Akademikerball, so der Plot.
Philipp Sonderegger ist Experte für zivilgesellschaftliche Organisation und NGO-Berater.