"Man muss ein bisschen offen sein"
Peter Stöger, Meister-Trainer der Austria-Wien, über Fußball als integrative Kraft, das Outing von schwulen Spielern und die Burnout-Gefahr alleinerziehender Mütter. Interview: Gunnar Landsgesell, Georg Spitaler
Herr Stöger, Fußballer stehen in der Öffentlichkeit und haben damit immer auch Verantwortung, wie es heißt. Muss man als Sportler wirklich Vorbild sein?
Ich finde, jeder soll so sein, wie er ist. Die Aufgabe von Trainern ist es, den Spielern zu vermitteln, dass sie eine gewisse Verantwortung haben. Besonders, was die Jugend betrifft. Da geht es um Respekt, Vertrauen, Verantwortung. Das sind Werte, die ich propagiere – so will ich, dass wir in der Gruppe miteinander umgehen. Ich finde aber nicht, dass Marcel Hirscher, nur weil er Topsportler ist, ein idealtypischer Mensch sein muss. Ob und wann sich jemand als öffentliche Person zu Wort meldet, hat jeder für sich zu entscheiden.
Was fordern Sie als Trainer von Ihren Spielern?
Da geht es um Kleinigkeiten. Ich möchte nicht, dass jemand mit einer Haube oder mit Kopfhörern zum gemeinschaftlichen Essen kommt. Ich denke mir, wenn man bei solchen Dingen aufmerksam ist, dann ist man das auch in anderer Hinsicht.
Etwa mit Fremdenfeindlichkeit – Ihr Team besteht aus Spielern unterschiedlicher Nationen. Müssen Sie als Trainer manchmal schlichten?
Nein, überhaupt nicht. Interessant ist, dass das überhaupt kein Thema ist. Es ist vollkommen egal, ob ich mit jemandem aus Slowenien arbeite oder mit einem Australier. Auch für die Spieler macht das keinen Unterschied, das ist vollkommen wurscht.
Das klingt so, als wäre ein Fußballteam die bessere Gesellschaft?
Davon bin ich überzeugt. Das geht ja gar nicht anders. (Peter Stöger steht auf, zeigt auf einer Taktiktafel auf die jeweiligen Spieler und sagt, wo sie herkommen:) Der ist ein Oberösterreicher, der ist ein Tiroler, der ist ein Bosnier, der ist ein Burgenländer, der ein Kroate... Bei zwei Spielern ist sich Stöger nicht sicher bezüglich der Herkunft. Ist auch nicht so wichtig, oder?
Was ist Ihnen wichtig? Sollte man sich in Ihrer Fußballgesellschaft integrieren?
Ja, ein bisschen Integration ist schon gut. Das heißt konkret, dass wir miteinander kommunizieren können. Im Idealfall sollte ein Spieler Deutsch sprechen oder es zumindest verstehen, mit einigen Spielern lässt sich auch mit Englisch etwas machen. Das ist das einzige, was ich als Trainer einfordere. Alles andere ist nicht wirklich relevant.
Sie meinen, Integration heißt, dass man miteinander reden kann?
Genau, nur wenn man in der Lage ist, miteinander zu kommunizieren, kann man sich als Team weiterentwickeln. Und nur dann ist es auch einem Spieler möglich, sich mit einem Problem an mich zu wenden. Natürlich geht’s zur Not auch ohne Deutsch – Im österreichischen Fußball ist ein Teil der Spieler immer schon aus dem Ausland gekommen.
Wenn Sie an Ihre Zeit als Spieler zurückdenken, was hat sich da verändert? Damals spielten ja nur wenige Gastarbeiterkinder bei der Wiener Austria.
Ja, jetzt gibt es weit mehr im Nachwuchs. Viele meiner Kollegen damals hatten keine österreichische Staatsbürgerschaft, die hätten Legionärs-Status gehabt. Jetzt ist das ganz anders, die Gastarbeiterkinder sind Österreicher, das vermischt sich gut. Wir haben ein paar österreichische Spieler, die auch die Sprache ihrer Eltern sprechen, die reden dann auch auf serbisch oder kroatisch. Wieso nicht? Aber wenn es um Dinge geht, die alle betrifft, in der Kabine oder auf dem Platz, dann sprechen alle Deutsch.
Beobachten Sie so etwas wie Gruppenbildungen?
Das ist ganz normal. Wichtig ist nur, dass sich niemand abkapselt. Wenn ich mir vorstelle, ich würde nach Asien gehen, um dort zu arbeiten, würde ich mir zuerst auch deutschsprachige Leute suchen und dann später, über die Sprache versuchen, mich zu integrieren. Sonst würde ich mich dort wahrscheinlich nicht weiterentwickeln können. Aber mich mit Leuten zu treffen, mit denen ich kommunizieren kann – das ist doch legitim.
Verstehen Sie, warum das Integrationsthema emotional so besetzt ist?
Also, ich kann nur von mir reden: Ich bin in Favoriten aufgewachsen, ich lebe noch immer hier und hab noch nie ein Problem gehabt. Ich kann in ein türkisches Lokal gehen, dort einen türkischen Kaffee trinken, was soll das Problem sein? Mich hat deshalb noch nie jemand seltsam angeschaut. Man muss einfach ein bisschen offen sein.
Wie offen sind eigentlich Fußballfans? Da gibt es doch, auch bei der Austria, Probleme mit rechten Fans.
So etwas ist nicht zu dulden. Dafür kann es überhaupt kein Verständnis und keine Toleranz geben. Im Umfeld hat es immer schon bestimmte Zuschreibungen gegeben. In den 80er Jahren war Rapid Wien bei den Austria-Fans der FC Jugo, bei den Rapidlern war die Austria der Judenverein. Aber wenn wir jetzt davon reden, wie wir Spieler uns begegnet sind – da gab es Rapidspieler wie Stojadinovic, Halilovic, Brucic, die waren außergewöhnliche Fußballer. Die hatten echt Klasse, darüber hab ich sie auch wahrgenommen – und nicht, woher sie gekommen sind.
Spieler werden doch immer wieder beschimpft. Von den Rängen, aber auch unter Spielern kommt Rassismus vor. Bei Samuel Ipua, einem Spieler aus Kamerun, der bei Rapid gespielt hat, wusste man, den kann man leicht provozieren.
Ja sicher, aber das hat man bei Ernst Ogris oder Didi Kühbauer auch gewusst. Also wenn Sie mich nach meinen Erfahrungen fragen, dann habe ich Sticheleien des Gegners immer als Versuch erlebt, den Anderen aus der Ruhe zu bringen. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir uns gezielt jemand ausgesucht haben, weil er dunkelhäutig ist oder weil er aus dem Jugoslawien-Krieg ein persönliches Problem hat, um das dann gegen ihn einzusetzen.
Ja, das verstehe ich vollkommen. Ich glaube, das ist nicht leicht. Die Fußballgesellschaft würde das verwenden, um denjenigen fertig zu machen. Ich glaube aber, den allermeisten Fußballern wäre das herzlich egal. Die denken sich: Mach deine G’schicht, jeder macht sein Ding. Aber das Umfeld ist für so etwas überhaupt noch nicht bereit. Da braucht es erst drei, vier Spieler, die sich outen, dann wäre es für die nächsten vielleicht leichter. Dann wäre das einmal kein Thema mehr.
Spiegelt Fußball wider, was in der Gesellschaft so gedacht wird?
Fußball ist doch eine Männersportart, vielleicht etwas zugespitzter als das, was gesellschaftlich Standard ist. Ich habe vor Jahren einmal ein Buch von einem britischen Spieler aus den unteren Ligen über diese Thematik gelesen. Und mir gedacht, dass es in Österreich keine schwulen Spieler gibt, ist statistisch gesehen doch eher unwahrscheinlich. Es kann aber sein, dass man als junger Spieler, wenn man schwul ist, ausscheidet, weil man sich in diesem männlichkeitsorientierten Milieu einfach unwohl fühlt. Vielleicht ist das auch nur ein Klischee, ich weiß es nicht. Das Thema ist bei uns einfach noch Null aufgearbeitet.
Zum Stichwort Männersport: Glauben Sie, dass sich das Selbstverständnis von Spielern verändert hat, ist Männlichkeit nicht mehr ganz so wichtig?
Das kann schon sein. Heute achten Spieler darauf, dass sie gut aussehen, gepflegt sind. Nicht dass wir damals dreckig herumgelaufen sind... (Ko-Trainer Manfred Schmid aus dem Hintergrund: Wir haben damals natürlich auch gut ausgesehen (lacht).) Stöger: Klar, aber heute ist Fußball ein echter Werbezweig geworden. Aber man muss sicherlich nicht mehr wie früher über Härte punkten. Messi gehört nicht gerade zu den Wildesten. Ronaldo, Beckham, die schauen wahnsinnig gut aus und entsprechen nicht gerade den klassischen Männerbildern, die eigenhändig einen Baum umhacken.
Eine Art Tabu war lange Zeit, über Schwäche und Burnout zu sprechen. Nach einigen Fällen in Deutschland begann dann eine Diskussion darüber, dass man im Fußball immer den Starken markieren muss. Ist es leicht, darüber zu reden?
Das hängt zwangsläufig mit dem Leistungsdenken zusammen. Man wird als Spieler und Betreuer alle vier bis sechs Tage gemessen. Am Sonntag warst du gut: Schauen wir, was am Mittwoch ist. Am Mittwoch warst du gut: Super, jetzt warst du zwei Tage gut. Am Sonntag warst du schlecht: Ganz schlecht, was hast du für Probleme? Also das ist eine dauerhafte Anspannung und ein permanenter Leistungsdruck. Für mich ist es nicht überraschend, dass man irgendwann dem Stress nicht mehr ausweichen kann.
Wie halten Sie es persönlich?
Ich versuche dann schon, meine Wertigkeiten ganz bewusst zu setzen: Was ist wirklich wichtig im Leben? Ich möchte schon gerne Erfolg haben, lasse mich auch gerne messen. Aber wenn ich spüre, Hoppla, jetzt geht es in die ganz falsche Richtung, dann finde ich Halt in meiner Familie. Zur Not nimmt man eine Auszeit. Aber der Druck ist immens. Deswegen ist Kommunikation, wie vorhin erwähnt, wirklich wichtig. Dass ich Probleme besprechen und bewältigen kann. Vermutlich haben Burnouts früher aber genauso existiert. Es war halt anders deklariert. Wir reden hier von Fußballtrainern, aber wie verhält sich das mit alleinerziehenden Müttern? Ich glaube, dass die permanent am Burnout sind. Nur, die Mutter von der 4er-Stiege, die steht halt nicht in der Zeitung.
Sehen Sie zu viel Druck im heutigen Fußball vorhanden?
Trainer zu sein ist ein Führungskräfte-Job. Und anders als in der Wirtschaft wird man alle paar Tage in der Öffentlichkeit gemessen. Vielleicht kann ein Firmenbesitzer mit seinen Bilanzen ein bisschen was verstecken und kommt noch ein, zwei Jahre über die Runden – aber als Sportler? Da heißt es: Du hast in den letzten 17 Spielen 4 Punkte gemacht und alle drei Tage haben wir dir gesagt, dass das so nicht geht. Und dann ist man weg.