Der Stimmungsmacher
Seit zwei Jahren ist Sebastian Kurz als Staatssekretär für Integration zuständig. Eine Bilanz. Text: Gunnar Landsgesell
Sebastian Kurz: Atmosphärisch ein Gewinn, inhaltlich unter den Erwartungen. Klaus Schwertner (Caritas): Hätten uns beim Staatsbürgerschaftsgesetz mehr erhofft.
Sebastian Kurz ist gut unterwegs. Die Anfangszeit hat der Staatssekretär intensiv genutzt, um sich bei MigrantInnenvereinen präsent zu machen, um Projekte und Kooperationen oder das Du-Wort anzubieten. Nach zwei Jahren Amtszeit ist die anfängliche Kritik weitgehend verstummt, die Skepsis über fehlende fachliche Kompetenz vergessen. Der mittlerweile 26-Jährige ist wie kein anderer Polit-Protagonist seiner Zeit zum Medienliebling avanciert. Er stemmt gerne die Hände in die Hüften, drückt das Sakko leger auf die Seite, um die unbelastete Haltung eines Jungpolitikers mit Macher-Image zu signalisieren. Wirkliche Peinlichkeiten sind ihm bislang noch nicht passiert. Im Gegenteil: Beim jüngsten Demokratie-Volksbegehren wurde Kurz nicht müde darauf hinzuweisen, dass er schon mit der Jungen VP die Kernpunkte des Pakets ausgearbeitet habe. Hier spricht Sebastian Kurz, der Vorreiter, der Mann mit dem Durchblick – ein PR-Profi in eigener Mission. Als nach spärlicher Stimmabgabe das Volksbegehren zu den erfolglosesten der Geschichte Österreichs gezählt werden musste, bedeutete das für Kurz keinen Schaden. Somit kann er – als Regierungsmitglied – auch weiterhin vehement mehr Demokratie für Österreich fordern. Zeitweise scheint es so, als würde die ÖVP von ihrem Jungstar mehr profitieren als die Integrationspolitik, um die es in seinem politischen Verantwortungsbereich doch gehen soll. Auch oder gerade weil er seine Partei in die Pflicht nimmt.
Dass sich das vor allem auf symbolischer Ebene abspielt, zeigt sich am Ressort des Integrationsstaatssekretärs selbst. Dessen Installation folgt keinem echten Commitment und lastet letztlich als ungelöstes Strukturproblem auf den Schultern der Betroffenen. Im „Polizeiministerium“, wie die Grüne Abgeordnete Alev Korun es forsch formuliert, wirkt der Staatssekretär mehr wie der Stimmungsmacher im Vorfeld für die tatsächlich mit Kompetenzen ausgestattete Innenministerin. Wurde die Einführung des Amtes lange Jahre zur Stärkung der Rechte von MigrantInnen und zum Schutz vor Diskriminierung gefordert, versorgt Kurz sein Publikum mit ganz anders klingenden Programmen. „Integration durch Leistung“ stellt sich als gleichsam janusköpfiger Quotenbringer dar. Einerseits werde dadurch den Kulturalisierern und Ethnisierern sozialer Probleme der Wind aus den Segeln genommen, argumentieren die VerteidigerInnen. Andererseits werde aber genau auf diese Weise der Diskurs zur Nutzbarkeit von MigrantInnen weiter vorangetrieben, entgegnen KritikerInnen wie Korun. Der ökonomische Nutzen habe mit der Menschenwürde nicht unmittelbar etwas zu tun. Korun: „Der Leistungsgedanke ist nichts anderes als ein Kontinuum zur Gastarbeiterpolitik von früher.“ Zu guten ZuwandererInnen werden damit all jene erkoren, die fleißig und brav etwas für die Gesellschaft leisten. Die Rhetorik erinnert, Zufall oder nicht, an die FPÖ-Rhetorik vin den Fleißigen und Braven. Die Anderen müssen nach wie vor als Gegen- und Feindbilder herhalten.
Leistung gegen Diskriminierung?
Dass Kurz zu einer Versachlichung eines scheinbar unpopulären Themas beigetragen hat, attestiert ihm Klaus Schwertner, Geschäftsführer der Caritas Wien. „Aus unserer Sicht gilt es, diesen Weg fortzusetzen: Vielfalt als Chance zu sehen. Gelungen ist Kurz auch, dass es endlich um Inhalte in dieser sensiblen Frage geht und nicht mehr nur um Vorurteile.“ Dass Integration über Positivbeispiele funktionieren kann, davon ist Schwertner überzeugt. Das Caritas-Projekt der Lerncafés, die es mittlerweile in ganz Österreich gibt, hat der Staatssekretär mit 200.000 Euro unterstützt – und damit ein Projekt möglich gemacht, für das die Caritas bis dahin keine öffentliche Unterstützung finden konnte. Schwertner betont aber auch den feinen Unterschied: Im Lerncafé der Caritas bekommen alle Kinder, egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund, kostenlose Nachhilfe. Der Bedarf an Förderung hat eben nicht unbedingt mit der Herkunft zu tun. Genau an diesem Punkt setzt die Hauptkritik an der Ausrichtung der Integrationspolitik an: Immer noch liege der Fokus zu sehr darauf, Defizite zu isolieren und Menschen danach wie in einer Einbahnstraße über deren Leistungsnachweis zu „integrieren“. Schwertner sieht das anders: „Es ist wichtig, dass alle einen Schritt aufeinander zugehen, nur so kann Integration gelingen.“
Im Fall des vom Staatssekretär geforderten zweiten verpflichtenden Vorschuljahres für Kinder mit einer anderen Muttersprache als Sebastian Kurz: Atmosphärisch ein Gewinn, inhaltlich unter Erwartung: Klaus Schwertner (Caritas): Hätten uns beim Staatsbürgerschaftsgesetz mehr erhofft.
Deutsch holte sich Kurz eine Absage. Auch wenn Bildungsministerin Claudia Schmied am Ende von einem Kompromiss sprach, versagte sie sich weitgehend der Idee von „Ghettoklassen“ – und schob die Verantwortung für die Entscheidung über die Schulreife der Kinder den Schulen selbst zu. Kurz formulierte das Ergebnis, wie es wohl nur dem Lenker eines Hummer (Wiener-Wahlkampf-SUV) naheliegt: „Wir sind nicht mit dem Rennwagen unterwegs, aber auch nicht mehr mit dem Fahrrad.“
Der Caritas-Wien-Chef Schwertner hält den Leistungsansatz deutlich für verkürzt: „Es geht um Chancen, die alle Menschen haben sollten, das ist es, worum man sich kümmern muss. Menschen mit Migrationshintergrund beginnen den Wettlauf oft 50 Meter hinter der Startlinie, weil sie nicht gleiche Chancen haben. Hier gilt es zu handeln.“ Erst kürzlich wurde in einer Studie erhoben, dass TürkInnen nur 55 Prozent der Kaufkraft durchschnittlicher ÖsterreicherInnen erreichen. Liegt das wirklich an deren mangelnder Leistungsbereitschaft? Ganz ähnlich sieht das Clara Akinyosoye, Chefredakteurin von M-Media und Autorin dieses Magazins. Sie erinnert sich, einmal vorgeschlagen zu haben, besser von Chancengleichheit als von Integration durch Leistung zu sprechen. Akinyosoye: „Da würde man meinen, ein Politiker findet so einen Vorschlag gut. Stattdessen rief Kurz mich an und meinte, ich spiele Strache in die Hände. Ich bringe den Migranten keinen Gewinn.“ Auch beim Thema des Rassismus waren die Redakteurin und der Staatssekretär nicht einer Meinung. Akinyosoye ist davon überzeugt, dass man keine Debatte über Integration führen kann, wenn man Rassismus nicht berücksichtigt. Oder zumindest dann nicht, wenn man auf Augenhöhe und auf Basis von Chancengleichheit diskutieren wolle.
Auch in dieser Hinsicht fühlte sich Akinyosoye nicht verstanden. „Das ist ein echtes Problem“, glaubt die Journalistin, „denn Kurz macht den MigrantInnen Hoffnung. Viele hatten bislang das Gefühl, egal was sie tun, sie können ohnehin nicht gleichwertig akzeptierte Österreicher werden. Und jetzt kommt jemand und sagt ihnen: Doch, durch Leistung! Einige Menschen glauben das und denken sich, Super! Aber Diskriminierung wird leider auch durch Leistung nicht aufgehoben, dafür gibt es genügend Beispiele.“
Kurz & Kritik
Auch wenn er öffentlich gelassen auftritt, hat sich Kurz inzwischen den Ruf erworben, dass er sich mit Kritik schwer tut. Akinyosoye weiß zu berichten, dass nach Interviews, die sie gegeben hat, schon mal das Telefon klingeln konnte, mit Kurz am Apparat. „Meistens ging es dann darum, dass er meine Kritik nicht nachvollziehen kann.“ Es folgte aber auch der Nachsatz: „Du weißt doch ganz genau, dass ich der Einzige im Innenministerium bin, der auf eurer Seite ist.“ Allerdings: Akinyosoye räumt auch ein, dass sich die öffentliche Kommunikation und Berichterstattung über Integration mittlerweile positiv verändert hat.
Die „Integrationsbotschafter“
Mit vielen Vereinen läuft die Kooperation dem Vernehmen nach gut. Zwar sind das Vereine mit Migrationsbezug, die schon seit Jahren und Jahrzehnten tätig sind, Kurz bringt sie nun aber durch seine Person in die Öffentlichkeit. Er greift Themen auf und präsentiert sie, sodass der Eindruck entsteht, er selbst habe diese entwickelt. Die Integrationsbotschafter zum Beispiel. Kurz schickt Promis aus den Bereichen Wirtschaft oder Kultur in die Schulen, um bei den Jugendlichen Vorurteile abzubauen und Motivation für mehr Leistung zu fördern. Eine Idee, die das Projekt X-Change schon vor Jahren hatte und seit damals betreibt. Ein Aktivist, der namentlich nicht genannt werden möchte, formuliert es so: „Kurz setzt sich eigentlich ganz geschickt auf Projekte „drauf “ und verkauft sie dann als seine.“ Auch zwei Freunde, in diesem Fall zwei Migranten, seien gefragt worden. „Beide sagten ab, sie hatten keine Lust, sich vor den Karren von Kurz spannen zu lassen bzw. diesen in der Schule zu promoten“, so der Aktivist. Bei einem anderen Projekt besuchen MigrantInnen andere MigrantInnen zu Hause, um ihnen dabei zu assistieren, sich besser zu integrieren. Auch das sei so eine Unternehmung, die es bereits gab, nun allerdings mit dem finanziellen Zuspruch des Staatssekretariats. Der Aktivist kritisiert allerdings auch hier nicht die finanzielle Unterstützung, sondern die politische Vereinnahmung. Dass viele Vereine positiv ansprechen, wundert ihn hingegen nicht: „Wenn Menschen, die gesellschaftlich kaum eine Rolle spielen, einmal Aufmerksamkeit oder auch nur ein bisschen Geld bekommen, ist die Dankbarkeit eben groß.“ Und Kurz würde ja durchwegs positiv auf die Leute zugehen. Er erkläre den Leuten, wie bunt Österreich sei und mache gute Stimmung, statt ihnen normativ zu begegnen. Dass das Wording stimmt, dafür sorgt der Beraterstab. Der ehemalige Geschäftsführer des Integrationsfonds, Alexander Janda, dürfte dabei gute Dienste geleistet haben.
Wertefibel statt Staatsbürgerschaft
Was lässt sich aber nach zwei Jahren an konkreten Ergebnissen benennen, die über eine mögliche Verbesserung der Stimmung hinausführen? Die Novelle zum Staatsbürgerschaftsgesetz scheint es jedenfalls nicht zu sein. Selbst Pragmatiker wie der Caritas-Chef zeigen sich hier „enttäuscht“ und hätten angesichts eines der restriktivsten Staatsbürgerschaftsgesetze der Welt einen „größeren Wurf “ erwartet. Anstatt die Fristen international anzupassen und zu verkürzen, wurde auch hier noch der Leistungsgedanke eingepflanzt. Wer sich jahrelang sozial und unentgeltlich engagiert, erhält die Staatsbürgerschaft früher. Wer nicht genügend verdient, erhält sie unter Umständen gar nicht. Der deutsche Migrationsexperte Mark Terkessidis bezeichnete es schlicht als „pervers“, demokratische Rechte an das Einkommen zu koppeln. Sanierungsbedürftig wäre das Gesetz aber schon im Fall der Geburt: Zehntausend Babys würden jährlich per Gesetz „zu Ausländern gemacht“, kritisiert die Grüne Korun und fordert einmal mehr, das Integrationsthema ernsthaft anzugehen. Da nützt es auch nichts, dass Kurz die Kritik neuerdings damit pariert, dass doch viele ZuwandererInnen die österreichische Staatsbürgerschaft gar nicht wollen – geht es doch um jene, die sie eben wollen, aber aufgrund von hohen Einkommenshürden und anderen Schranken nicht erhalten, wie verschiedene Sozialwissenschafter kritisieren. Indes hat Kurz eine Wertefibel zur Vorbereitung der MigrantInnen für den Staatsbürgerschaftstest ausarbeiten lassen, deren genauer Wert sich auch nach einigen Medieninterviews mit deren Urhebern nicht zu erschließen vermag. Weder der Rechtsphilosoph Christian Stadler noch Beiratsvorsitzender Heinz Fassmann konnten bislang Licht in die Sache bringen, was ZuwandererInnen an Werten zu lernen hätten, die über jene der österreichischen Gesetze hinausgehen. Von einem „Geist“ ist da nebulos die Rede, oder von einem „Grundwertesockel“. Es scheint, als wäre es einfacher gewesen, das Staatsbürgerschaftsgesetz zu sanieren. Womit man aber beim nächsten Problem ist: das Integrationsressort aus dem BMI zu lösen und zu einem vollwertigen Ministerium zu machen. Dann könnte über Fragen wie diese auch verantwortlich entschieden werden. Und in jenen von Asyl und Flüchtlingspolitik würde es nicht mehr heißen: Nicht zuständig.