Rot-weiß-rote Mogelpackung
Bürokratische Hürden, finanzielle Schwierigkeiten und ein begrenzter Zugang zum Arbeitsmarkt machen ausländischen StudentInnen das Leben schwer. Die Rot-Weiß-Rot-Karte hat nur wenig Verbesserung gebracht. Reportage: Clara Akinyosoye
Alejandro Verdin, Sujan Dhamala, Alisa Aizmailova: Sie studierten in Österreich. Das Resümee: Viele Auflagen durch die Behörden, wenig Arbeitschancen. Die Hürden, die Studierende aus Drittstaaten überwinden müssen, sind massiv.
Seit nunmehr acht Jahren lebt Alisa Izmaylova in Wien. In Usbekistan hatte sie Translationswissenschaften, in Kirgisien Psychologie studiert. Nach Wien wollte sie „aber nicht wegen der Psychoanalyse“, sagt Izmaylova. Österreichische Kultur, Musik, besonders Johann Strauss, das war es, was ihr positives Österreichbild und den Wunsch, hier zu studieren, begründete. „Meine Mutter hat für ein Ticket nach Österreich alle Schweine verkauft“, erzählt die Studentin. Ein Aufwand, der sich in den ersten Jahren nicht zu lohnen schien. Denn Izmaylova, die sich als Au-Pair bei einer österreichischen Familie beworben hatte, wird dort buchstäblich ausgebeutet. Sie kümmert sich um die Kindererziehung, erledigt den Haushalt und muss dafür erstmals im Waschraum hausen. Sie soll mit niemanden sprechen, soll keine Kontakte knüpfen, sich nicht emanzipieren. Izmaylova bleibt trotz der Widrigkeiten eineinhalb Jahre bei der Familie, besucht Deutschkurse, beginnt ein Studium und muss zwei Jahre ihres Bachelorstudiums aus Kirgisien nachholen. Von der Gastfamilie ist sie abhängig, weil StudentInnen für die jährliche Verlängerung des Visums einen Mietvertrag vor- und zwischen 5.000 und 10.000 Euro Vermögen nachweisen müssen. Heimlich versucht die junge Studentin, sich ein unabhängiges Leben aufzubauen, lernt Menschen kennen, die sie unterstützen und ihr Arbeit anbieten. Daraus wird nichts. Vier Anträge stellte Izmaylova für eine Arbeitsgenehmigung und erhält vier Absagen. Vor der Gesetzesänderung und der Einführung der Rot-Weiß-Rot-Karte war es für StudentInnen noch schwieriger, einen Arbeitsplatz zu bekommen. Denn wenn der Bedarf eines Betriebs auch von ÖsterreicherInnen gedeckt werden könnte, konnte das Unternehmen nicht frei entscheiden, sondern musste der heimischen Arbeitskraft den Vorzug geben. Für Drittstaatsangehörige gilt diese Regelung auch weiterhin. Ausnahmen gibt es wenige, etwa für so genannte Schlüsselkräfte oder StudienabsolventInnen. Mehr als 65.000 ausländische StudentInnen gibt es in Österreich. Für alle, die nicht aus dem EU-Raum kommen, heißt es weiterhin: Wer hier studiert, darf noch lange nicht hier arbeiten.
Geld sparen, Geld borgen
Bei Izmaylova klappt es schließlich doch noch mit der Arbeitsgenehmigung – bedingt. Sie darf bis zur Geringfügigkeitsgrenze verdienen (das sind 2013 386,80 Euro) und muss damit ihre Miete, ihr Studium und ihr Leben finanzieren. Und sie muss sparen – auf höchstem Niveau – um Rücklagen für die jährliche Visumsverlängerung nachweisen zu können. Wer gute Freunde hat, borgt sich ein paar Tausender und gibt sie nach dem Erhalt des Visums zurück. So auch geschehen bei Izmaylova, die sich mittlerweile im Doktoratstudium befindet und Teilzeit arbeitet – als Russischlehrerin und Betreuerin für Folteropfer im Verein Hemayat. Sie hat gelernt, ein „bescheidenes Leben“ zu führen. Sie kocht zuhause, geht wenig aus, lässt sich „Kleidung von Freunden schenken“, lebte sogar ein halbes Jahr bei ihnen. „Ich sollte Sparkurse geben“, witzelt die Dolmetscherin. Was hier beschrieben wird, sind Probleme, von den viele ausländische Studierende ein Lied singen können. Sie leben mitunter in prekären Verhältnissen, weil sie praktisch mehr verdienen müssen, als sie mit legaler Arbeit einnehmen können. Dass nicht angemeldete Tätigkeiten bei einem Teil von ihnen zur Tagesordnung gehören, können viele gar nicht abstreiten.
ÖH übt Kritik
StudentInnen, die unter 24 Jahre alt sind, müssen schon beim Erstantrag für ein Studentenvisum – der aus dem Heimatland zu stellen ist – für ein Jahr im Voraus einen Mietvertrag und einen monatlichen Unterhalt in der Höhe 450 Euro nachweisen. Pech, wenn man über 24 Jahre alt ist, dann muss der Unterhalt 850 Euro monatlich betragen. Schwierigkeiten, diese Voraussetzungen zu erfüllen, haben viele, weiß Rukiye Eraslan aus ihrem Alltag. Sie ist Referentin für ausländische Studierende bei der ÖH. Die bürokratischen Hürden, die Studierende aus Drittstaaten überwinden müssten, seien massiv. StudentInnen eines Bachelorstudiums dürfen nicht mehr als 10 Stunden, Masterstudierende nicht mehr als 20 Stunden in der Woche arbeiten. Die Beschränkungen bringen viele Studierende in finanzielle Schwierigkeiten und zielen offenbar einzig darauf ab, zu verhindern, dass die Menschen in all den Jahren ihres Studiums möglichst wenig Verankerung in Österreich finden. Und dann schnell wieder gehen.
Auch in dieser Hinsicht wird die Vorgabe, dass potenzielle Arbeitgeber eine Beschäftigungsbewilligung beim AMS beantragen müssen, verständlich. Das sei ein Mehraufwand, den sich viele Unternehmen nicht antun wollen, so Eraslan. Die Forderung der ÖH-Vertreterin: Statt des langwierigen Verfahrens sollten Unternehmen lediglich dazu verpflichtet werden, das AMS 14 Tage vor Arbeitsbeginn über die neue Arbeitskraft zu informieren.
Auch die im Jahr 2011 eingeführte Rot-Weiß-Rot-Karte, die für Studierende de facto eine Verbesserung gebracht hat, hält die Referentin nicht für gelungen. Wer ein Studium abgeschlossen hat, muss ein Einstiegsgehalt von stattlichen 1.997 Euro brutto nachweisen, um die Rot-Weiß-Rot-Karte zu bekommen. Dass das für viele eine unüberwindbare Hürde und in vielen Branchen keinesfalls ein übliches Gehalt ist, ist klar. Sechs Monate gibt der Staat den Absolventinnen Zeit, um einen solchen Job zu finden. Mehrfachbeschäftigungen oder Werkverträge gelten übrigens nicht, akzeptiert wird nur eine Fixanstellung. Und für BachelorabsolventInnen gilt die Regelung sowieso nicht.
Billigarbeit als Ausweg
Alejandro Verdin kommt 2010 aus Mexiko nach Österreich. Er hat einen guten Job, ein abgeschlossenes sechsjähriges Bachelorstudium in Industrial Designs und zehn Jahre Berufserfahrung. Die Liebe zu einer in Österreich lebenden deutschen Staatsbürgerin führt ihn nach Wien. Verdin besucht erstmals Deutschkurse und beginnt ein außerordentliches MBA Studium (Master of Business Administration) an der WU. Dafür berappt er rund 25.000 Euro. Forderungen nach geringeren oder gar keinen Studiengebühren für ausländische Studierende, die „vielleicht 3000 Euro“ für ein Studium bezahlen, hält Verdin für einen Witz. „There is no free lunch. Ich will nichts geschenkt“, sagt er. Und geschenkt wird dem engagierten jungen Mann auch nichts. Verdin schafft es als Quereinsteiger nicht, berufliche Erfahrungen in Österreich zu sammeln. Die Unternehmen sagen dem damaligen Studenten geradeheraus, dass ihnen die Prozedur, einen Nicht-EU-Bürger anzustellen, zu aufwendig sei. Andere Unternehmen wiederum, kritisiert Verdin, wissen erst gar nicht Bescheid, welche Erleichterungen die Rot-Weiß-Rot-Karte diesbezüglich bringt. Immer wieder bewirbt sich der Mexikaner, belegt praxisnahe Kurse am WIFI, um attraktiver für Unternehmen zu sein. Kostenrechnungskurse, die auf Deutsch stattfinden, sind kein leichtes Unterfangen für jemanden, der gerade erst Deutsch lernt. Verdin gerät an seine Grenzen, absolviert die Kurse dennoch erfolgreich. Einen Job bekommt er trotzdem nicht.
Verdin wird Stammkunde im Berufsplanungszentrum der WU und nimmt an Workshops für erfolgreiche Motivationsschreiben teil. „Ich war in 18 Monaten sicher 20 Mal dort. So oft, dass ich schon ein Freund von einigen Beratern geworden bin“, erzählt Verdin. Wäre er zu Beginn nicht so ein Romantiker gewesen, hätte er seine Freundin einfach geheiratet. Aber der Student wollte, dass alles seine Ordnung hat: abgeschlossenes Studium, guter Job, genug Geld, und dann die Traumhochzeit. Die Rechnung ging nicht auf. „Ich war naiv“, resümiert Verdin rückblickend.
Weil Verdin keine Arbeit findet und nicht so viel zum Haushalt beitragen kann, kommt es zu Spannungen mit der Freundin. Nach einiger Zeit steht der Mexikaner ohne Freundin, ohne Job, aber mit der Verpflichtung da, die Miete nun allein aufbringen zu müssen. Das Glück von Verdin ist, dass er nie aufgehört hat für seinen Arbeitgeber in Mexiko zu arbeiten. Er erhält regelmäßig Aufträge und kann so sein Studium finanzieren, seine laufenden Kosten plus den Unterhaltsnachweis für die jährliche Visumsverlängerung garantieren. „Aber es war die Hölle“, sagt Verdin. Der Student bekommt depressive Verstimmungen, fühlte sich minderwertig, weil er ständig zu Hause hockt. Schließlich ist der MBA kein Vollzeitstudium. Verdin hat viel Zeit, die er nicht mit „Biertrinken“ verschwenden will. Einige Monate vor seinem Studienabschluss eröffnet sich die Chance auf einen interessanten Teilzeitjob, bei dem er erstmals praktische Berufserfahrung sammeln kann. Der Personalabteilung der Firma ist bewusst, dass sich Verdin nach dem Studienabschluss sofort auf die Suche nach einem Vollzeitjob mit „Mindestgehalt“ umsehen muss. Sie wollen keine Ressourcen in einem Mietarbeiter stecken, der in Kürze wieder weg ist. Verdin schlägt ein unglaubliches Angebot vor. Er bietet sich dem Unternehmen als Billigarbeiter an: Für einen Spottpreis von nicht einmal 100 Euro im Monat will er arbeiten. Er bekommt die Stelle, bleibt fünf Monate dort und hat nun endlich eine Referenz in Österreich vorzuweisen. „Das hat geholfen“, erzählt Verdin. Danach wird er zumindest zu Vorstellungsgesprächen öfters eingeladen.
Am Ende des Studiums hat es noch einmal in sich. Verdin hat nicht genug Geld, um die ausstehenden Studiengebühren zu bezahlen, muss aber bei seinen Bewerbungen den Nachweis über ein abgeschlossenes Studium vorlegen. Also schreibt Verdin seinen Studienkollegen von seiner Notlage und bittet sie, ihm Geld zu leihen. Tatsächlich reagieren diese innerhalb von ein paar Tagen. Zur Zeit wartet Verdin auf die Rot-Weiß-Rot-Karte – er hat vor kurzem eine Jobzusage bekommen.
Diplom ist „ungültig“
Besonders bitter hat es Sujan Dhamala getroffen. Die missliche Lage des jungen Mannes aus Nepals ist so etwas wie ein Spezialfall. Vor zehn Jahren kommt Dhamala nach Österreich und schließt zwei Studien mit magna cum laude ab. Das Problem: Dhamala hat einen Bachelorabschluss in Internationaler Betriebswirtschaft an der umstrittenen „The International University Vienna“ erworben und einen Masterabschluss an der serbischen „The Megatrend University Vienna“. Beide Unis haben mittlerweile Konkurs angemeldet. Als Dhamala studiert, sind sie zwar in Wien ansässig, sein Bachelorstudium wird aber nicht anerkannt, weil „The International University Vienna“ zu diesem Zeitpunkt nicht mehr von Österreich anerkannt wird. Nun hat Dhamala einen anerkannten Master, aber keinen anerkannten Bachelor. Damit, wird ihm erklärt, gibt es auch keine Rot-Weiß-Rot-Karte. Zwei Jobzusagen und ein Verdienst von mehr als 2.000 Euro brutto sind damit unerheblich, wie ihm die Behörden erklären, denn Dhamala habe doch nie die Berechtigung für ein Masterstudium erworben. „Alles was ich in Österreich gemacht habe, wird nicht anerkannt“, sagt Dhamala. Nach jahrelangem Studium steht er vor dem Nichts. Ende dieses Jahres läuft sein Visum aus. Ein weiteres Studium anzufangen und sich und seine Frau wieder mit Geringfügigkeitsjobs über Wasser zu halten – das will Dhamala nicht mehr. In Wahrheit sind seine Alternativen überschaubar. Die Rückkehr nach Nepal ist eine davon.
Reformbedarf für Rot-Weiß-Rot
Einer Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte steht das Staatssekretariat für Integration nach anfänglicher Skepsis mittlerweile sehr positiv gegenüber. "Wir wollen, dass die Einkommensgrenze gesenkt wird und auch der Bachelorabschluss anerkannt wird", heißt es im Staatssekretariat. Derzeit sind BachelorabsolventInnen vom Erhalt einer Rot-Weiß-Rot-Karte für StudienabsolventInnen ausgeschlossen. Keinen Reformbedarf sieht man hingegen im Arbeits- und Sozialministerium. Die Rot-Weiß-Rot-Karte sei, so wird betont, „in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern“ ausgearbeitet worden und soll so bleiben, wie sie ist. Zum Vorschlag der Einbeziehung des Bachelors gibt es ein klares Urteil im BMASK: „Der Bachelor wird von der Wirtschaft nicht nachgefragt“, ergo auch nicht einbezogen. Auf höherer Ebene gibt es allerdings mehr Bewegung. Die Europäische Kommission arbeitet derzeit an einer Richtlinie, die ab 2016 in Kraft treten und StudienabsolventInnen aus Drittländern den Zugang zu Hochschulen und Arbeitsmärkten in der EU erleichtern soll. Darunter würde auch das Recht fallen, 20 Wochenstunden zu arbeiten bzw. die Möglichkeit nach Studienabschluss 12 Monate (statt sechs) im Land zu bleiben. Eine Richtlinie, die man im BMASK überraschenderweise durchaus „begrüßen“ würde.