Servitenkloster, was dann?
Die Aktivistin und Künstlerin Marissa Lôbo hat die Flüchtlingsproteste von Anfang an begleitet. Ein Gespräch über deren ungewisse Zukunft, den verflogenen Medien-Hype und Selbstexotisierung als politische Strategie. Interview: Gunnar Landsgesell
Marissa Lôbo kommt mit beschrifteten Händen zum Interview. Auf einer Hand ist zu lesen: „We demand our rights“. Das sieht nach Henna-Bemalung aus. Haben Sie das mit den Flüchtlingen gestaltet?
Ich überlege mit Freunden gerade, ob wir eine künstlerische Aktion starten, um durch eine Art Selbst-Exotisierung politische Statements zu setzen. Europäer haben oft einen kolonialen Blick auf Nicht-Weiße Menschen, sie sind dann irritiert, wenn man ihnen diesen Blick zurückwirft, indem man scheinbar Bildern entspricht, die sie im Kopf haben. Das ist natürlich auch ironisch gemeint. Wenn jemand in der Straßenbahn steht und dann auf meine bemalte Hand schaut, bemerkt er, dass das nicht nur dekorativ ist, sondern auch eine Botschaft, eine Forderung.
Verstehen die Leute außerhalb künstlerischer Räume solche Zugänge oder führt das auch zu Missverständnissen?
Ich denke, es wird verstanden, wenn ein „schönes und exotisches“ Muster zu einem politischen Statement wird. Ich selbst verstehe Kunst als politisches Handeln, Kunst ist nie neutral. Meine Arbeiten als Künstlerin bewegen sich zwischen Realität und Fiktion und möchten hegemoniale Diskurse durchkreuzen, auch die des Kunstfelds selber. Und es geht mir darum, Brüche herzustellen. Zurück zu den Bemalungen: Im Fall der beschrifteten, bemalten Hände, deren Bedeutungen sich nicht erschließen, ist mein Körper – hier ganz zufällig – das Medium. Mir geht es nicht um ornamentale oder dekorative Kunst – es gibt immer einen Bruch zwischen meiner Ästhetik, also dem Bild meines Körpers, und dem, was ich sage. Was ich sage, ist das, was die weiße Mehrheit nicht erwartet. Ich selbst werde aber nicht zum Objekt, ich bleibe handelndes Subjekt und versuche mit meiner oft performativen Arbeit, Kolonialitäten sichtbar zu machen und andere Genealogien herzustellen.
Kürzlich rief die feministische Künstlerinnengruppe FEMEN aus der Ukraine zum „Topless Jihad Day“ auf. Sie protestierten gegen „Islamismus“ und die „Unterdrückung muslimischer Frauen“. M-Media führte daraufhin ein Interview mit einer Aktivistin von MuslimaPride, die die negativen Bilder von Musliminnen in dieser Befreiungsaktion bestätigt sieht. Auch hier scheint ein kolonialer Gestus eng mit Fragen von Körper und Autonomie eng verbunden.
MuslimaPride formulieren ganz deutlich ihre Kritik an den weißen Feministinnen. Dass Musliminnen nicht frei wären, ist ja eine entmächtigende Behauptung, mit der diese oft konfrontiert werden. In diesem Fall wiederholen das auch weiße Feministinnen. Das ist eine klischeehafte Übertreibung, eigentlich eine sexistische und rassistische Haltung, paternalistisch sowieso. Meine Position ist hier sehr klar: Ich vertrete als Schwarze Feministin nicht diese westlichen Perspektiven. Viele Frauen „of Colour“ sind aus solchen Diskursen ausgeschlossen, ihnen wird eine Objekt-Position zugeteilt, indem über sie geurteilt wird und sie „befreit“ werden sollen.
Liegt in diesen nackten Körpern auch eine Bevormundung gegenüber anderen politischen Zugängen?
Ich sehe einen Widerspruch bei FEMEN selbst: Sie laufen schon Gefahr, selbst zu einem Projekt des Voyeurismus zu werden und ihre eigenen Forderungen auszuhöhlen. Ich bin nicht gegen diese Nacktheit, aber das allein kann es nicht sein. Es geht schon um die Frage, wer hat die Macht über den eigenen Körper? FEMEN ist in dieser Hinsicht auch ziemlich moralistisch unterwegs, sie sind gegen Sexarbeit, klinken sich auch in Kampagnen gegen Zwangsprostitution ein. Das ist wieder so ein pauschalisierender Zugang: Ich selbst verteidige das Recht auf Sexarbeit als Arbeit wie jede andere auch. Wir vertreten auch bei MAIZ (Autonomes Zentrum von und für Migrantinnen in Linz, Anm.) diese Haltung, weil wir glauben, dass Sexarbeiterinnen im weiß dominierten feministischen Diskurs diskriminiert werden. Den Frauen muss Autonomie und freie Entscheidungsmacht zugestanden werden.
Die Vorgabe, deutsch zu sprechen, ist in Österreich immer wieder Gegenstand politischer Auseinandersetzungen. Wir führen unser Gespräch auf Deutsch, welche Rolle spielt es für Sie, diese Sprache zu sprechen?
Ich studiere an der Akademie der Bildenden Künste und treffe immer wieder auf Leute, die versuchen, mit mir Englisch zu sprechen. Es gibt offenbar einen Automatismus zu glauben, dass Schwarze Menschen nicht Deutsch sprechen. Das ist aber auch eine Machtfrage: Wer spricht Deutsch? Sicherlich mag es nett gemeint sein, wenn jemand mich auf Englisch anspricht, aber es irritiert mich einfach. Man gibt mir damit auch zu verstehen, dass man glaubt, ich würde nicht gut Deutsch sprechen. Erst kürzlich, bei der Pressekonferenz der Refugees im Servitenkloster, fand ich es wieder bezeichnend, dass die Journalistenfragen vor allem an den einzigen Mehrheitsösterreicher mit deutscher Muttersprache gerichtet wurden. Das heißt im Umkehrschluss, dass man Menschen, die mit Akzent sprechen, sofort beiseite schiebt – nach der Logik: Ich kann dich nicht verstehen. Das hat ganz klar mit einer epistemologischen Gewalt zu tun.
Sie haben sich bei den Refugee-Protesten von Anfang an engagiert. Sie sind der erste Versuch von Flüchtlingen in Österreich, für sich selbst zu sprechen. Wie haben Sie den Beginn erlebt?
Der Wunsch, eine Bewegung zu starten, kam von den Flüchtlingen selbst. Ich habe mich damit sofort identifiziert,. Mich hat das ein wenig an das Jahr 2000 erinnert, als es im Zuge der Tötung von Marcus Omofuma und später von Seibane Wague eine starke Mobilisierung der Schwarzen Community gegeben hat. Das war eigentlich das letzte Mal, dass minorisierte Positionen in dieser Weise auf die Straße gebracht wurden. Im Oktober 2012 gab es die Demonstration der somalischen Community vor dem Parlament, das war auch eine Inspiration für die Flüchtlinge in Traiskirchen. Seit der „Operation Spring“ gibt es ein kollektives Trauma in der Schwarzen Community. Es besteht eine Angst zu demonstrieren, die Angst vor umfassenden Kontrolle und staatlicher Repression. Dennoch sind die Flüchtlings-AktivistInnen, die ziemlich perspektivlos ein Leben in einem Lager führen, also allen Grund haben, resignativ zu sein, aufgestanden, um für ihre Zukunft einzutreten. Der Marsch von Traiskirchen nach Wien war so gesehen ein historischer Moment. Wir waren vielleicht 400 Leute auf der Straße, aber ich hatte das Gefühl, wir waren 10.000.
Medial gab es Aufmerksamkeit, allerdings war man sich unklar, wie die Proteste zu bewerten sind.
Die Medien suchen immer die spektakuläre Geschichte. Der Moment, als die Polizei das Camp im Votivpark gewaltsam abriss, und wir in die Votivkirche wechselten, hat für die Medien offenbar gut funktioniert. Auch als der Hungerstreik begann. Ich habe ja oft in der Kirche geschlafen und konnte miterleben, wie die Medien sich auf diesen Hungerstreik stürzten. Das war das Spektakel, das sie suchten. Als die Flüchtlinge aber nach verschiedenen Gesprächen ins Servitenkloster gingen, haben sie ihr Interesse verloren. Retrospektiv sehe ich die Berichterstattung als sehr negativ. Die Medien waren vor allem damit beschäftigt, ein Bild zu konstruieren, wie instrumentalisiert die Flüchtlinge sind, wie frech das doch ist. Aber natürlich waren die Flüchtlinge geradezu radikal, indem sie gesagt haben: „We demand our rights“ statt „wir bitten, hier bleiben zu dürfen.“ Und jetzt? Ist der Medien-Hype vorbei, die Flüchtlinge sind wieder extrem isoliert. Aber insgesamt wurde gerade in Sachen medialer Selbstrepräsentation sehr viel erreicht. Plötzlich waren selbstorganisierte Pressekonferenzen von FlüchtlingsaktivistInnen denkbar – und gefragt.
Welche Rolle nehmen Sie ein? Versuchen Sie zu moderieren?
Ich identifiziere mich ganz klar mit der Bewegung. Auch, weil ich Migrantin bin, weil ich schwarz bin, auch wenn ich in Österreich einen anderen Status erworben habe. Ich habe eine Daueraufenthaltsgenehmigung, ich arbeite hier, habe Privilegien. Ich kann also sagen: Ich bin mit euch, aber ich bin auch privilegiert. Ich bin ein politisches Subjekt, ich kämpfe gegen strukturellen Rassismus, aber ich muss zugleich meine gesicherte Position klarmachen. Ich kann mich hier nicht als Flüchtlings-AktivistIn präsentieren. Deshalb beschränke ich mich vor allem auf eine Rolle der Moderation in der Öffentlichkeit.
Die Sprecher haben der Caritas vorgeworfen, als Verhandlungspartner des Innenministeriums ein doppeltes Spiel zu spielen. Sind die Flüchtlinge unglücklich mit ihrem Fürsprecher?
Ich verstehe diese Reaktion, aber sie ist mittlerweile auch nicht mehr neu. Was soll man von der Caritas erwarten? Sie vertritt eine karitative, keine politische Position. Sicherlich ist das in sie gesetzte Vertrauen enttäuscht worden. Die Caritas führt, so erzählen es die FlüchtlingsaktivistInnen, sämtliche Verhandlungen mit dem Innenministerium, ohne dass sich bisher etwas bewegt. Die Leute wollen nun selbst mit dem Ministerium in einen Dialog eintreten, bislang war das ohne Vermittlungsinstanz allerdings nicht möglich.
Die Caritas hat den Flüchtlingen Quartier angeboten, ein Teil der Leute ist in unterirdischen Gewölben untergebracht. Wie soll es weitergehen?
Die Caritas hat erklärt, dass das Quartier nur bis Ende Juni verfügbar ist. Dann möchte man renovieren. Die Frage, die wir uns jeden Tag stellen: Was soll dann passieren? Will man alle dann wieder nach Traiskirchen abschieben oder in abgewirtschaftete Pensionen in der Einöde verfrachten? Die FlüchtingsaktivistInnen haben eine andere Vorstellung, wie die beste aller Asylpolitiken aussieht – und sie werden dafür weiter kämpfen und auf ihre Rechte bestehen. Und für diese Bewegung wird hoffentlich noch viel Solidarität entstehen.
Zur Person:
Marissa Lôbo, 1975 in Brasilien geboren, ist Koordinatorin der Kulturabteilung des Vereins MAIZ, einer Selbstorganisation von MigrantInnen, wo sie Projekte zwischen kultureller und politischer Bildung realisiert. Sie ist Künstlerin und Aktivistin in der Schwarzen- und MigrantInnen-Bewegung. Seit 2008 studiert Lôbo an der Akademie der bildenden Künste in Wien in der Klasse postkonzeptuelle Kunst.