Unternehmen Gemeinwohl
Das Ziel wirtschaftlicher Tätigkeit ist das Gemeinwohl. So steht es in vielen staatlichen Verfassungen geschrieben. Was also bereits jetzt common sense ist, soll durch die Gemeinwohl-Ökonomie erreicht werden. In fünf Staaten Europas gibt es sie bereits. Text: Christian Felber
Laut einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung wünschen sich 88 Prozent der Menschen in Deutschland und 90 Prozent der ÖsterreicherInnen eine „neue Wirtschaftsordnung“. Die Marktwirtschaft, so der Wunsch der Mehrheit, soll humaner, solidarischer, ökologischer und demokratischer werden. Auf Initiative von einem Dutzend Unternehmen in Österreich startete am 6. Oktober 2012 die Umsetzung der „Gesamtprozess Gemeinwohl-Ökonomie“. In zweieinhalb Jahren hat sich die Bewegung auf ganz Österreich, Deutschland, die Schweiz, Italien und Spanien ausgebreitet sowie in immer mehr Staaten Nord- und Südamerikas. Nicht nur Unternehmen, auch Privatpersonen, Vereine, Gemeinden und Hochschulen bilden die Bewegung und entwickeln gemeinsam den Prozess „von unten nach oben“. Dieser ist bewusst entwicklungsoffen und kooperativ: Gesucht werden Verbindungen zu anderen Alternativen von der Solidarischen Ökonomie über Komplementärwährungen bis zum Bedingungslosen Grundeinkommen.
Bonus-Malus-System für Unternehmen
Grundanliegen ist eine demokratisch entwickelte Wirtschaftsordnung, die auf einem Werte- und Zielfundament beruht, das bereits heute schon breit geteilt wird. „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl“, steht etwa in der Bayerischen Verfassung. Die Verfassung Italiens spricht von der „Ausrichtung der öffentlichen und privaten Wirtschaft auf das Allgemeinwohl“, die Schweizer Verfassung von der „gemeinsamen Wohlfahrt“ als Ziel der Eidgenossenschaft, und in der US-Verfassung enthält schon die Präambel den „general welfare“. In der Gemeinwohl-Ökonomie soll dieses Ziel nun mit Leben erfüllt werden. Das Gemeinwohl soll von allen Unternehmen abgefragt, gemessen und – je nach Engagement und Erfolg – belohnt werden. Unternehmen erstellen zu diesem Zweck eine Gemeinwohl-Bilanz, in der sie messen, wie authentisch sie die fünf wichtigsten Verfassungswerte leben: Menschenwürde, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Solidarität und Demokratie. Je besser die Gemeinwohl-Bilanz, desto niedriger die Mehrwertsteuer, der Zoll, die Zinsen, etc., und es soll Vorrang beim öffentlichen Einkauf geben. Das Ergebnis: Die fairen, nachhaltigen, ethischen Produkte werden preisgünstiger als die unethischen, und die verantwortungsvollsten Unternehmen verbleiben am Markt. Hingegen scheiden diejenigen aus, denen die Grundwerte der demokratischen Gemeinschaft nichts bedeuten, und die auch nicht bereit sind, „ethisch zu lernen“. Konkret werden Unternehmen etwa dafür belohnt, wenn sie über die Verkürzung der Regelarbeitszeit (z. B. um 10 bis 20 Prozent) zum Abbau der Arbeitslosigkeit beitragen; indem sie Menschen mit besonderen Bedürfnissen oder MigrantInnen integrieren; indem sie auf Gender-Parität bei Beschäftigung, Einkommen und Mitbestimmung achten oder die höchsten verfügbaren ökologischen Standards einhalten. Schwere Regelbrüche wie die Nichteinhaltung der Kernarbeitsnormen der ILO (Internationale Arbeitsorganisation der UNO), das Ausnützen von Steueroasen oder die Nichtoffenlegung aller Unternehmensbeteiligungen oder von Lobbying-Aktivitäten führen hingegen zu so großen Bilanz-Mali, dass diese Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren würden. Letztlich wären auf diesem Weg die Marktgesetze in Einklang gebracht mit den Grundwerten der Verfassungen.
Bruttonationalglück statt BNP
Erste Erfahrungen mit Pionierunternehmen zeigen, dass die Gemeinwohl-Bilanz zu wirken beginnt: Ein Restaurant in Innsbruck lässt von den Lehrlingen die Speisekarte bio, fair und regional zusammenstellen. Ein Südtiroler Unternehmen hat die Marketingstrategie umgestellt von „soviel verkaufen wie möglich“ auf „nur das verkaufen, was die KundInnen wirklich brauchen“. Das ist im Kleinen ein Beitrag von der Konsum- und Wachstums- zur Suffizienz-Gesellschaft. In Österreich helfen sich Pionierbetriebe sogar gegenseitig mit finanziellen Mitteln aus, und ein Salzburger IT-Dienstleister hat die gesamte Belegschaft in den Bilanzerstellungsprozess eingebunden. Seither denken die Beschäftigten in allen Bereichen mit, bringen Ideen eigeninitiativ ein und nehmen den „Chef“ in die Verantwortung. Immer mehr Unternehmen überlegen, sich in Genossenschaften zu verwandeln oder eine neue Rechtsform zu entwickeln: Das „Gemeinwohl-Unternehmen“.
Je besser die Gemeinwohl-Bilanzen der Unternehmen ausfallen, desto besser ist auch das Gemeinwohl-Produkt, das den Erfolg einer Volkswirtschaft misst. Das BIP misst, so wie die Finanzbilanz eines Unternehmens, nicht die Zielerreichung, sondern die Mittel des Wirtschaftens. Das Ziel des Wirtschaftens ist laut Lehrbüchern die Bedürfnisbefriedigung, und wenn diese gelingt, erwächst daraus das verfassungsmäßige Ziel: das Gemeinwohl. Ein Gemeinwohl-Produkt könnte sich aus den 20 oder 30 relevantesten Komponenten von Lebensqualität zusammensetzen. In Gemeinden, die auf Gemeinwohl ausgerichtet sind, wären BürgerInnen in der Lage, selbst so einen Index zu „komponieren“. Grundbedürfnisse und Beziehungswerte sind weltweit weitgehend kongruent. Anschauliches Beispiel dessen ist das „Bruttonationalglück“, das in Bhutan entwickelt wurde und sich an nachhaltigem Wirtschaften, sozialer Gerechtigkeit und kulturellen Werten anstatt dem Wirtschaftswachstum als oberste Maxime orientiert. Das BNG hätte aber genauso gut von einer österreichischen Universität stammen können.
Gemeinwohl-Ampel: schafft Transparenz
Wie könnte eine alternative Wirtschaftsordnung Realität werden? Der „Gesamtprozess Gemeinwohl-Ökonomie“ setzt sich aus mehreren strategischen Strängen zusammen, die ineinandergreifen sollen. Die Unternehmen und deren Bilanz werden über eine Gemeinwohl-Ampel (ähnlich der Idee der Lebensmittelampeln auf Verpackungen) für die KonsumentInnen transparent und messbar.
Nach nunmehr zweieinhalb Jahren seit diese Bewegung gegründet wurde, unterstützen diese Idee rund 1.200 Unternehmen in 15 Staaten. Jeder dritte Betrieb hat den Prozess der Bilanzerstellung bereits begonnen, rund 60 Unternehmen aus mehreren Staaten haben den Prozess mit einem externen Audit abgeschlossen. Täglich kommen neue Unternehmen jeder Größe, Branche und Rechtsform hinzu. Die ersten Banken sind ebenso an Bord wie größere Unternehmen: Drei Unternehmen aus Deutschland, Österreich und Ägypten mit etwa zweitausend Beschäftigten zählen dazu. Über deren Bilanz-Ergebnis soll schon bald die „Gemeinwohl-Ampel“, die auf allen Produkten angebracht wird, Auskunft geben. Sie hilft den KonsumentInnen als Information für eine ethische Kaufentscheidung und später dem Gesetzgeber für die unterschiedliche Behandlung der Unternehmen. Am Tag X werden Produkte ohne Gemeinwohl-Ampel vielleicht nicht mehr gekauft. Unethische Unternehmen sind dann bereits massiv unter Zugzwang geraten, ihre Bilanzen transparent zu gestalten.
Bereits Anfang 2013 haben erste Städte und Gemeinden den Weg zur „Gemeinwohl-Gemeinde“ und „Gemeinwohl-Region“ eingeschlagen. Das bedeutet, dass sie ihre Bilanzen nun selbst erstellen und die Privatunternehmen in ihrem Einzugsgebiet einladen, das auch zu tun. Zusätzlich initiieren diese Kommunen Prozesse, in denen BürgerInnen sich ebenfalls beteiligen können. Die Entwicklung des „Kommunalen Lebensqualitätsindex“ dient als Vorarbeit zum Gemeinwohl-Produkt. Mit „Kommunalen Wirtschaftskonventen“ werden die Fundamente der Wirtschaftsverfassung der Zukunft entwickelt. Was dort demokratisch diskutiert wird, soll die Zukunft der Wirtschaftsordnung wesentlich gestalten. Es geht um 20 Schlüsselelemente, vom Bedingungslosen Grundeinkommen bis zum Erbrecht, von der Care Economy bis zu den Commons (also gemeinsam genutzte Güter).
Ein konkretes Beispiel aus den Vorschlägen der Gemeinwohl-Ökonomie zeigt, wie anders die Bevölkerung empfindet und entscheiden würde, wenn sie die Freiheit dazu hätte: In ganz Europa entschieden Menschen, als man sie man sie im Rahmen von Veranstaltungen zum Thema befragte, dass die Ungleichheit zwischen den niedrigsten und höchsten Einkommen ungefähr beim Faktor 10 liegen sollte. Die Realität sieht anders aus: In Österreich sind die höchsten Einkommen 1.000-mal so hoch wie die niedrigsten, in Deutschland 6.000-mal und in den USA 350.000mal so hoch. Auch Fragen des Eigentums und der Unternehmensdemokratie würden – bei demokratischen Prozessen – mit Sicherheit anders entschieden als die derzeitige Gesetzeslage ist. Das bedeutet Veränderung und ruft auch Widerstand bei einigen Interessensvertretungen hervor. Auch deshalb soll der Weg von unten nach oben führen.
Aus den kommunalen Konventen könnten durch direkte Wahl (Modell Island) oder über Delegationen ein Bundeswirtschaftskonvent konstituiert werden, der dann die erste demokratische Wirtschaftsverfassung ausformuliert und dem Souverän zur Abstimmung vorlegt. Historisch ein würdiges Datum wäre der 100. Geburtstag der ersten Verfassung der Ersten Republik, das wäre schon bald: 2018.
Alle Infos zu Inhalten und Möglichkeiten des Mitmachens:
www.gemeinwohl-oekonomie.org
Christian Felber ist Sprecher von attac und Autor mehrerer Bücher, darunter „Retten wir den Euro“ (Deuticke, 2012), „Die Gemeinwohl-Ökonomie“ (Deuticke, 2012), „Kooperation statt Konkurrenz – 10 Wege aus der Krise“ (Deuticke, 2009).