Schwere Geschütze
Glaubt man der Innenministerin, hausen Millionäre in den Gewölben des Servitenklosters. Geht es bei den Schleppervorwürfen des BMI gegen drei Flüchtlinge darum, dass sich gut eingebundene Menschen nicht so leicht abschieben lassen?
Text: Tina Leisch, Fotos: Mustafa Naqvi
Viele Flüchtlinge verbringen oft Jahre in Österreichs abgelegenen Flüchtlingsunterkünften, ohne je Kontakt zur Bevölkerung oder eine österreichische Wohnung betreten zu haben. Ganz anders die Situation im Servitenkloster in Wien, wo zirka 40 Flüchtlinge aus Afghanistan, Pakistan und Nordafrika untergebracht sind. ÖsterreicherInnen mit pakistanischem Migrationshintergrund übersetzen die neuesten Presseartikel in Urdu oder Paschtu, StudentInnen besprechen Asylverfahren, DeutschlehrerInnen geben Gratiskurse. Abends treffen politische AktivistInnen ein, um auf dem Plenum die nächsten Schritte zu besprechen. Wenn die Caritas um 23 Uhr die Tür zum Versammlungsraum im Keller zusperrt, schleppen SupporterInnen Matratzen in den Hof, um zum Beistand unter freiem Himmel zu nächtigen. Als Ende Juli die Fremdenpolizei überraschend acht der Flüchtlinge festnahm und nach Pakistan abschob, flossen Tränen. Tränen der Wut über das Wahlkampfdebüt der Innenministerin als Eiserne Lady und Tränen der Trauer über die abrupte Trennung von Freunden. Was wird aus Onkel Ali Nawab, dessen letztes Lebenszeichen ein Anruf vom Zwischenstopp des Abschiebeflugs in Katar war? Das fragen sich nun die Kinder von UnterstützerInnen, auf die er als Babysitter aufpasste. Ali Nawab war unter anderem wegen zu großer Lebenslust inklusive Trinkfreude ins Visier der Taliban geraten. In seiner Heimat ist er in Lebensgefahr, ob er in einer pakistanischen Großstadt eine „innerstaatliche Fluchtalternative“ (Zitat Innenministerium) findet, ist mehr als fraglich.
Schuldlos Fristen versäumt
Wazir ist Paschtune aus Waziristan. Er und sein Bruder wurden von den Taliban gefangen genommen und gefoltert. Nur weil ein zwangsrekrutierter junger Talib mit ihm Mitleid hatte, konnte er fliehen. Sein Bruder tauchte nie wieder auf.
Wazir erobert mehr als nur Mädchenherzen, wenn er abends am Fenster seiner Klosterzelle sitzt und singt – solange bis allabendlich aus dem gegenüberliegenden Wohnhaus pünktlich um 22 Uhr der gleiche Nachbar „Ruhe jetzt, oder ich rufe die Polizei!“ schreit.
Der begnadete Sänger Wazir singt traditionelle Lieder der Paschtunen, des Pandschab, aber auch Bollywood-Hits und Lieder der Länder, die er auf seiner Flucht durchquerte. Als im Juni der Pianist Paul Gulda auf dem Servitenplatz ein Solidaritätskonzert für den Refugee-Protest organisierte, gab Wazir sein österreichisches Bühnendebüt. Jetzt lernt er Schubertlieder für das nächste Konzert mit Gulda. Wazir gehört zu zwölf Refugee-Aktivisten, die sich jeden Tag in der Früh bei der Polizei melden müssen. „Gelinderes Mittel“ heißt diese Maßnahme, die sicherstellen soll, dass abzuschiebende Flüchtlinge nicht untertauchen, bevor ihre Botschaften Heimreisezertifikate ausstellen. Jeden Morgen betritt Wazir mit weichen Knien die Wachstube in der Boltzmanngasse. Dass sein Asylantrag in zweiter Instanz negativ entschieden wurde, wirft auch Fragen bezüglich der Rechtsberatung, die er durch den Verein Menschenrechte Österreich erhalten hat, auf. Die NGO, die in engem Zusammenhang mit dem Innenministerium arbeitet, gerät durch andere NGOs immer wieder in Kritik.
Nun hat Wazir einen Folgeasylantrag gestellt, über den in den nächsten Tagen entschieden wird. Wenn die zuständigen Fremdenpolizisten und Asylrichter Wazir zumindest eine Duldung in Österreich gewähren, wird er vielleicht 2015 seinen ersten Weltmusikhit landen und 2017 den Song Contest für Österreich gewinnen. Wird er nach Pakistan abgeschoben, verkommt wahrscheinlich ein großes, aber mittelloses Talent in einem Staat, der für seine BürgerInnen nicht die minimalsten Sicherheitsgarantien geben kann. Lennart Binder, der als Rechtsanwalt einige der Refugee-Aktivisten im Asylverfahren vertritt, sagt, keiner seiner Mandanten habe ein asylrechtlich rechtsstaatliches Verfahren erhalten: „Die Leute wurden um ihre Fristen gebracht, sie sind regelrecht betrogen worden. Als sie aus Traiskirchen wegmarschiert sind, um an einer Demonstration vor der Votivkirche teilzunehmen, hat man sie nicht mehr nach Traiskirchen zurück gelassen. Dadurch wurden Fristen versäumt und in der Folge Bescheide nicht zugestellt. Sie hatten vertraut, dass Rechtsberater Beschwerde einreichen würden, das ist nicht passiert.“
Auch Michael Genner, Rechtsberater von Asyl in Not, der einige der pakistanischen Flüchtlinge berät, stellt fest: „Es gab für keinen der Flüchtlinge ein faires Asylverfahren. Nach dem negativen Entscheid in erster Instanz gab es in keinem einzigen Fall eine mündliche Verhandlung vor dem Asylgerichtshof in zweiter Instanz. Zwei meiner Klienten wurden abgeschoben, obwohl wir Anträge auf Duldung wegen der inzwischen sehr verschärften Sicherheitslage in Pakistan gestellt hatten. Einer der beiden hat sich inzwischen telefonisch bei uns gemeldet und erzählt, er sei zu den Eltern zurück und dort seien die Taliban aufgetaucht und hätten nach ihm gefragt, weshalb er nun untergetaucht sei.“
Döner statt Millionen?
Einer der Refugee-Sprecher erinnert nocheinmal an die Hintergründe des Protests: „Wir hatten zwei Ziele: Wir wollten auf menschenrechtswidrige Zustände im österreichischen Asylsystem aufmerksam machen, und wir wollten für uns selbst kämpfen. Darum, dass wir hier bleiben können.“Beim ersten Ziel hätte man einiges erreicht: Die Bedingungen im damals völlig überfüllten Traiskirchen seien verbessert, besonders schlimme Flüchtlingsunterkünfte geschlossen worden. Auch das Recht auf Arbeit für Flüchtlinge würde nun diskutiert. „Beim zweiten Ziel“, so der Sprecher, „haben wir das Gegenteil bewirkt: Jene, die sich engagiert haben, werden nun besonders schnell abgeschoben. Das Innenministerium will uns bestrafen.“
Der Verdacht der Bestrafung erhärtet sich im Fall der plötzlich aufgekommenen Schleppervorwürfe durch das BMI. Just am Tag nach der Abschiebung der ersten achtFlüchtlinge, als von verschiedener Seite heftige Kritik geübt wurde, verhaftete die Polizei plötzlich drei der Aktivisten unter dem Vorwurf der Schlepperei. Innenministerin Mikl-Leitner erklärte der Öffentlichkeit: „Wenn es etwa Probleme mit schwangeren Frauen auf der Schlepperroute gab, dann wurden diese Frauen hilflos auf der Route zurückgelassen.“ Einige Medien titelten mit „Bosse der Schleppermafia“. Alexia Stuefer, Anwältin eines der Verhafteten, bezeichnet die Behauptung, ihr Mandant sei ein Schlepperboss und habe dabei Millionen verdient, als „zur Gänze haltlos und nicht nachvollziehbar“. Sie spricht von offenbar „gezielt lancierten Fehlinformationen“, die zu einer beispiellosen Vorverurteilung geführt hätten. Auf Nachfrage erklärten indes auch die zuständigen Staatsanwaltschaften, in den Akten nichts finden zu können, was die Vorwürfe bestätige. Dem „Falter“ erklärte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Wien, die beschuldigten Votivkirchen-Flüchtlinge hätten bei „mutmaßlichen Schleppungen“ allenfalls „ein paar 100 Euro“ erhalten. Doch selbst dieser Vorwurf müsste erst geklärt werden.
In den Akten sei einmal von 50 Euro die Rede, 15 Euro davon für ein Döner für einen „Geschleppten“, einmal von 40 Euro.
Im Servitenkloster schütteln die Flüchtlinge die Köpfe über diese Kampagne. Ein Freund eines der Verhafteten hält den Vorwurf, Schlepperboss zu sein, für „völlig absurd“: „Es heißt, er habe Landsleuten auf der Durchreise etwas zu essen gegeben. Schauen Sie: In Österreich bekommt ein Prozent der Pakistani Asyl, in Deutschland 20 Prozent, in Italien 38 Prozent. Die Leute versuchen also weiterzureisen, auch, um zu Verwandten zu kommen. Werden sie in Österreich aufgegriffen, müssen sie den Asylantrag hier stellen. Es heißt, A. hätte für solche Durchreisende hier in Wien ein paarmal Unterkünfte und Essen besorgt. Er wusste vielleicht nicht einmal, dass das eine Straftat ist.“
Warum also fährt das Innenministerium derart schwere Geschütze auf – um eine Protestbewegung zu bekämpfen, die Menschenrechte für die Rechtlosen fordert? Sollte das alles wirklich nur ein unmenschliches Wahlkampfmanöver der ÖVP-Ministerin sein? Oder sollte das sympathische Bild der Votivkirchenflüchtlinge in den Medien möglichst nachhaltig beschädigt werden, um sie leichter abschieben zu können?
Fakt ist, dass Flüchtlinge in Österreich erstmals die Rolle des armen Opfers ebenso wie die Rolle des bedrohlichen Eindringlings hinter sich gelassen haben. Sie sind als Bürger und Weltbürger aufgetreten, haben Menschen- und Bürgerrechte eingefordert und aufgezeigt, dass der nationalstaatlich begrenzte Begriff von Demokratie längerfristig in einer globalisierten Welt nicht Bestand haben wird, ohne dass die Demokratie dabei verloren geht. Einmal mehr wurde aufgezeigt, dass in Fragen der Migrationspolitik Handlungsbedarf besteht.
Vielleicht hat die Innenministerin ja auch recht und die Refugee-Protestbewegung ist tatsächlich brandgefährlich für ihre Politik. Denn wenn allerorten Flüchtlinge und legal Ortsansässige miteinander ins Gespräch kommen, gemeinsam für Menschenrechte eintreten, dann ist das aktuelle Grenz- und Migrationsregime nicht zu halten.