„Bitte nicht zu mir“
Unter vielen MigrantInnen ist die Einwanderungsabteilung der Stadt Wien als Behörde des Stillstands verschrien. Abgelaufene Dokumente durch lange Wartezeiten und schwer fassbare MitarbeiterInnen – ein Lokalaugenschein von Clara Akinyosoye.
Wer die Geschichte von Mohammed Hamud (Name von der Redaktion geändert) kennt, den wundert es nicht, dass der junge Syrer nicht gut auf die MA 35 zu sprechen ist. 2009 stellte Hamud einen Staatsbürgerschaftsantrag und wartet seitdem auf eine Antwort. Dazwischen ist viel passiert. In den vier Jahren waren sieben verschiedene ReferentInnen für seinen Antrag zuständig. „Drei davon haben sich gar nicht bei mir gemeldet“, sagt Hamud. Die MitarbeiterInnen, die tatsächlich für seine Anrufe erreichbar sind, sagen ihm immer wieder dasselbe. Es sei alles in Ordnung, er müsse warten, solle nicht anrufen, denn sie seien sehr beschäftigt. Erst mehr als ein Jahr nach der Antragstellung fordert ihn eine Referentin auf seine Dokumente zu erneuern, weil sie abgelaufen sind. Für den Staatsbürgerschaftsantrag benötigt man eine Vielzahl von Dokumenten, deren Heranschaffung von den ausstellenden Behörden mit Kosten verbunden ist. Aber bereits nach wenigen Monaten sind diese Dokumente wieder ungültig. Hamud hat seine aktualisierten Dokumente schon oft bei der MA 35 abgegeben doch „sie lassen sie immer wieder ablaufen.“ Hamud ist kein Einzelfall.
Die Volksanwaltschaft spricht in ihrem jüngsten Bericht an den Wiener Landtag von „gravierenden Verzögerungen“ bei Staatsbürgerschaftsverfahren. Sie kritisiert, dass die MA 35 die „sechsmonatige Entscheidungsfrist regelmäßig überschritten“ habe, Verfahren in vielen Fällen doppelt so lang oder länger gedauert haben und es regelmäßig zu nicht nachvollziehbaren Verfahrensstillständen von mehreren Monaten gekommen ist. Die Ursache: „organisatorischen Defizite“ und „mangelnden Sorgfalt bei der Aktenverwaltung“. 2012 beschwerten sich 68 Menschen über die MA 35 als Staatsbürgerschaftsbehörde. 45 Prüfverfahren wurden durchgeführt, 22 Beschwerden waren berechtigt. Und von 94 Beschwerden bezüglich der Niederlassungsbewilligungen waren 31 berechtigt.
Gesetzesnovellen schuld
Bei der MA 35 ist man ob der Faktenlage um Erklärung bemüht. „Seit 2006 steigen die Verfahrenszahlen stetig an“, sagt Barbara Reinwein, Sprecherin der MA 35. Man wickle jährlich etwa 300.000 Verwaltungsverfahren ab. Der Grund dafür, dass die Erledigung der Anträge so viel Zeit in Anspruch nehme, sei, dass es in den letzten sieben Jahren 14 Gesetzesnovellen gegeben hat und „die Fremdenrechte mittlerweile ein Flickwerk sind, das selbst für erfahrene TopjuristInnen nur schwer überschaubar ist.“ Gerade im Bereich der Staatsbürgerschaftsverfahren habe man bereits Maßnahmen zur Verfahrensverkürzung gesetzt, die aber noch Zeit bräuchten um ihre volle Wirkung zu entfalten. Dass es seit Kurzem tatsächlich Bemühungen gibt, hält auch der Bericht der Volksanwaltschaft der MA 35 zu Gute. Doch in der Behörde ist nicht erst seit dem Erscheinen des Berichts Feuer am Dach. Schon lange monieren kritische BeobachterInnen, dass die MitarbeiterInnen überlastet sind, das Personal nicht ausreicht um rasche Verfahren zu bewerkstelligen und zudem besser geschult werden sollte. Viele KundInnen beklagen sich über unfreundliche MitarbeiterInnen, die keine Auskunft geben wollen oder können.
Akademiker fährt LKW
Davon kann Mohammed Hamud wahrlich ein Lied singen. Nun hat sich der 30 Jährige vor einigen Monaten auch noch am Bein verletzt. Eine kleine Operation wäre notwendig, doch er lässt sie nicht machen. Denn er fürchtet um seinen Job als LKW-Fahrer und seine Chance auf die österreichische Staatsbürgerschaft. Denn wer Österreicher werden will, muss in der Tat erwerbstätig sein. Hamud hat Islamwissenschaft, Arabistik und Orientalistik studiert und spricht perfekt Deutsch und Arabisch. Einen seinen Qualifikationen entsprechenden Job zu finden sei ohne Staatsbürgerschaft aber schwer, findet Hamud. Die lukrativen Jobangebote, bei denen seine Sprachkenntnisse und interkulturelle Fähigkeiten gefragt gewesen wären und er viel Zeit im Ausland hätte verbringen müssen, hat Hamud abgelehnt. Denn ein Staatsbürgerschaftsanwärter muss seinen Lebensmittelpunkt in Österreich haben. Aus demselben Grund ging auch die Beziehung mit seiner Verlobten in die Brüche. Das schmerzt ihn am meisten. Die gebürtige Deutsche wollte zurück in ihre Heimat und dort mit Hamud leben. Aber er war nicht bereit Österreich zu verlassen und somit seine Chancen auf Einbürgerung aufzugeben. Also ließ er seine Verlobte schweren Herzens ziehen.
Volles Wartezimmer
Selbst nach vier Jahren weiß der Syrer immer noch nicht woran er ist obwohl er den Staatsbürgerschaftstest bereits 2011 positiv absolviert hat. Zwischenzeitlich, erzählt Hamud, war sein Akt sogar verschwunden. Mittlerweile ist er aber wieder aufgetaucht. Kein Wunder also, dass er befindet: „Die MA 35 gibt kein gutes Bild ab.“ Ein Befund mit dem auch andere Kunden konform gehen würden, wie ein Lokalaugenschein in der MA 35 zeigt.
Das Hauptquartier der MA 35 auf der Dresdnerstraße 93 im 20. Bezirk ist alles andere als eine kleine Amtsstube. Vor dem großen, modernen Gebäude stehen an einem sehr heißen Donnerstag um kurz vor elf einige Leute verstreut. Die meisten haben ihre Unterlagen in Mappen gesammelt oder einen Antrag in der Hand. Zur Anmeldung und für Staatsbürgerschaftsfragen geht’s nach links in den sechsten Stock. Das steht auf einem Schild und das sagt auch ein Mitarbeiter, der eine neon-gelbe Warnweste trägt auf der MA 35 steht. Er soll hier offensichtlich für Orientierung und Ordnung sorgen. Im sechsten Stock finden sich eine Anmeldung, eine Kassa und rund 90 wartende Menschen, die sitzen, stehen, herumgehen, Formulare ausfüllen oder ihren Kindern einfach nur beim Spielen zuschauen. Und Kinder gibt es hier viele. Für sie wurde eine kleine Spielecke eingerichtet. Daneben befindet sich der Stillraum. Darin ist aber nur ein Sessel zu finden. Deswegen kann sich auch hier schon mal eine kleine Schlange bilden.
Kann Ihnen keine Antwort geben
Eine junge Polin Mitte zwanzig schiebt ihren Kinderwagen den Gang entlang – immer wieder hinauf und hinunter. Sie telefoniert dabei mit ihrer Mutter und beschwert sich lautstark. Ihr Kind ist erst vier Wochen alt und sie wartet bereits seit fast eineinhalb Stunden. Sie hat die Nummer 101 gezogen. Ana (Name von der Redaktion geändert) weiß, dass sie und ihre Tochter noch lange hier werden ausharren müssen. Die nächste Nummer, die aufgerufen wird, beginnt mit der Ziffer 4. Die Polin ist seit der Volksschule in Österreich, hat zwei Kinder und bereits negative Kontakte mit der MA 35 erlebt. „Das Schlimmste ist, dass man hier nichts erfährt. Jeder sagt „bitte nicht zu mir“, keiner sagt einem was“, beschwert sich die Mutter. Eigentlich will sie hier nur die Kopie des Passes ihres Kindes abgeben, wie es in einem ihr zugestellten Brief verlangt wird. Das Scheiben hat sie mit. Ob sie die Kopie per Mail, Fax oder Post zuschicken kann, steht nicht zu lesen. Nur, dass sie das Dokument nachreichen soll. Mo, Di, Do, Freitag zwischen acht und zwölf Uhr. Die zuständigen MitarbeiterInnen sind telefonisch aber erst ab 13 Uhr zu erreichen – auch das steht in dem Schreiben. Ana findet das „schwachsinnig“. Es ist gerade kurz nach elf.
Während sie auf und abgeht versucht sie jemand vom Magistrat zu finden, der ihr erklären kann, ob sie das Dokument nicht auch per Mail schicken kann. Sie spielt mit dem Gedanken einfach ein Amtszimmer zu betreten – Nummer hin oder her. Am Gang trifft sie endlich auf eine Mitarbeiterin. Die Frau schüttelt den Kopf. „Ich kann ihnen da keine Antwort geben“, sagt sie freundlich, fast mitleidig, aber wie aus der Pistole geschossen – noch bevor Ana die Frage überhaupt gestellt hat. Eine Stunde später hat die junge Frau es doch geschafft: im Erdgeschoß bekniet sie eine Mitarbeiterin regelrecht, doch nachzufragen, ob sie die Kopie elektronisch übermitteln könne. Die schlichte Antwort lautet „ja“.
Ana kommt zurück in den sechsten Stock, stillt ihr Kind in einer ruhigen Ecke, weil der Stuhl im Stillzimmer belegt ist und verschenkt ihre Nummer 101 an eine Frau mit Nummer 106. Die wiederum reicht ihre alte Nummer an Bettina Schiechtl weiter, eine Frau, die gerade erst gekommen ist. Die Aufregung um die Rochade, die den Damen vielleicht einen halbe Stunde Wartezeit ersparen könnte, hat etwas Amüsantes, auch wenn die Beteiligten vollkommen entnervt wirken. „Ich geh jetzt“, sagt Ana. Euphorie liegt in ihrer Stimme. Der Bildschirm zeigt derweil an, dass sich die Nummer 57 auf den Weg in ein Zimmer machen darf.
„Ich kann nichts für die Hitzewelle“
Schiechtl ist zum ersten Mal in der MA 35 und bereits verstimmt. Da die Südtirolerin mit ihrer Familie länger als drei Monate in Österreich bleiben will, muss sie deren Aufenthalt bei der MA 35 anmelden. Am Telefon wollte sie sich beim Kundenservice im Vorfeld noch einmal versichern, ob sie alle notwendigen Dokumente beisammen hat. „Ich bin Ärztin und glaube nicht, dass ich irgendwelche kognitiven Probleme habe.“ Der Mitarbeiter am Telefon habe sie aber so behandelt, sagt Schiechtl. Er habe sie auf die Internetseite der MA 35 verwiesen, ihr erklärt, dass er nichts für die Hitzewelle könne und einfach aufgelegt. „Hier gibt es keinerlei Kundenservice“, findet Schiechtl und versucht sich auszurechnen wie viele Kunden pro Stunde wohl dran kommen. Sie beschließt in etwa vier Stunden wiederzukommen. Schließlich hat auch sie ein kleines Kind zuhause. Heute ist der Wochentag, an dem hier auch nachmittags KundInnenverkehr ist.
Ein frischgebackener Österreicher mit Wurzeln aus Guinea spaziert den Gang entlang. Er hat sich einen Kaffee geholt und wirkt gelassen. Er scheint einer der wenigen hier zu sein, die keine schlechte Laune haben. Das liegt vielleicht daran, dass er nur hier ist um für einen seiner ehemaligen Landsleute zu übersetzen und seine persönlichen Amtswege bei der MA 35 schon vor einigen Monaten erledigt hat. Er und seine Familie haben selbst zwei Jahre auf den Rot-Weiß-Roten Pass gewartet und das findet er eigentlich in Ordnung: „Hier braucht man eben Geduld“, sagt er, zuckt mit Achseln und spaziert davon. Die zufriedenen KundInnen sie sind rar gesät in dieser Behörde.