Supernackte Politik
Die Gesetze der Mediendemokratie sind gnadenlos. Wer beherrscht die Inszenierung der eigenen Person am besten?
Text: Fritz Franz | Illustration: Eva Vasari
Frank Stronach gibt Rätsel auf. Fühlt dieser alte Mann sich wirklich missverstanden, wenn er in diversen TV-Talk-Formaten in seinem unnachahmlichen Spechstil zum Angriff auf Moderatorinnen und andere Gegner übergeht? Oder folgt er einer medialen Inszenierung, die der Konkurrenz in Fragen vorgetäuschter Authentizität weit voraus ist? Schaut so die Politik von morgen aus, weil das Publikum hinter diesen bizarren Inszenierungen tatsächlich eine lang ersehnte Realität zu erkennen glaubt? Stronach ist nicht Haider, aber er unterhält fast so gut wie dieser. In der Mediendemokratie, in der der Auftritt wichtiger ist als der Inhalt, wird Stronach vom Pausenclown zum Star. Er gibt der Politik ganz ohne Bungee-Jumping ihre verlorene Physis zurück.
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Fast lassen die Wahlergebnisse von Frank Stronach in Salzburg, Niederösterreich und Kärnten, die ja kaum mit der inhaltlichen Klarheit seiner „Partei“ zu erklären sind, darauf schließen, dass in Österreich ein Punkt erreicht ist, an dem sich der Wettbewerbsvorteil PR-geglätteter KandidatInnen zum eigenen Nachteil gewendet hat. Armin Wolf meinte einmal sinngemäß, dass es kaum noch möglich sei, PolitikerInnen zu interviewen, weil Textbausteine als Antworten keinen Dialog mehr zulassen. Nun bietet auch Stronach keine Inhalte, aber das macht er immerhin sehr populär. Man versteht ihn, auch wenn man ihn nicht versteht: Als Wutbürger kanalisiert er unsere diffusen Gefühle. Er ist der König der Irrationalität als letzter Trumpf gegen eine Politik, die wie die seriellen Siebdrucke Andy Warhols mit gleichen Gesichtern nur ihre Farbe wechselt. So nehmen es jene Menschen, die man zu den Politikverdrossenen zählt, zumindest wahr. Authentizität wie sie der Frank beweist, ist anderen Parteien einiges Geld wert, besonders im Wahlkampf. Der mit Vorliebe hell gekleidete PR-Fachmann Alois „Luigi“ Schober erzählt heute gern, wie er den aussichtslosen Kandidaten Alfred Gusenbauer zum Kanzler gemacht hat. „Wenn du keine Marke bist, dann bist du gar nichts“, sagte Schober. Das war 2006. Jede/r erinnert sich, wie Gusi die Brillen abhanden kamen und dann das markant aufgerichtete Haupthaar seinen letzten Widerstand aufgab. Die Marke hatte trotzdem nicht besonders lange Bestand. Nach dem aktuellen Gesetz darf ein Minister heute aber ohnehin nicht mehr als Marke beworben werden, bedauern PR-ExpertInnen. Nur noch die Ministermarke, also das Amt unabhängig von der Person. Dennoch, so heißt es, wurde dem ÖVP-Kanzlerkandidaten Spindelegger geraten, seine Haare ein bisschen länger zu tragen. Das wirke weniger steif und schaffe Sympathien. Tatsächlich hat der Mann mit der pastoralen Ausstrahlung mit seinem Regierungskollegen Faymann zumindest einen ebenbürtigen Partner an der Seite. Beide, so munkelt man, wären in ihrer Konturlosigkeit bestens beraten. Denn peinliche Fehler im Wahlkampf würden viel mehr Stimmen kosten, als durch konkrete Programmpunkte zu gewinnen wären. Das hielt die Sozialdemokraten nicht davon ab, Faymann als Steuermann zu inszenieren. Wer das Poster genau ansieht, merkt aber, dass dem SPÖ-Chef das Ruder gehalten wird, während dieser etwas verdutzt über den schlingernden Kurs dreinschaut. Würde Faymann so lässig lehnen wie der Mann im Kajüteneingang, den Rücken zur Fahrtrichtung, hätte sich der Souverän wohl beeindruckt gezeigt. Dass Inszenierungen so ihre Tücken haben, mussten auch die Grünen erleben. Als einzige Parlamentspartei von Inseraten- und Korruptionsaffären unbelastet, nach einigen Zugewinnen in den Bundesländern mit Optimismus unterwegs, scheinen ihr ausgerechnet in diesem Moment die Themen abhanden gekommen zu sein. Mit der Plakatwerbung „Genug gestritten“, gedacht als Aufruf zur Abwahl der Koalitionspartner, wirkt man selbst auch ein wenig kalmierend, aus der nächsten Parole „Weniger belämmert als die anderen“ spricht nicht gerade die Überzeugung von eigenen Qualitäten. Dass zudem eine schwarze Putzfrau die Frage „Wer putzt bei dir?“ in einer online verbreiteten Wahlwerbung stellt, legt den Verdacht der Viktimisierung wie auch jenen nahe, dass die grüne (junge?) Wählerschaft gar nicht selbst ihre Wohnungen putzt. Dass diese Aktionen zumindest unbeholfen wirken, führt zur grundsätzlichen Frage der Inszenierung von Politik zurück. Versuchen sich die Grünen erstmals in einer Form von linkem Populismus, um die Gunst der Stunde zu packen? Der Kampagnenchef der Grünen, er war zuvor für die Ö3-Programmgestaltung verantwortlich, sorgt zumindest bei einem Teil der potenziellen Wählerschaft für Stirnrunzeln. Die Politik zum spaßistischen Format erklärt auch eine andere grüne Mitmachidee. Die App „Part of the Game“, bei der etwa Walter Meischberger noch einmal „supernackt“ ausgezogen werden muss, soll die 16- bis 35-Jährigen abseits von Sachpolitik ansprechen. Entertainment, das von Gustav Götz und Armin Rogl (Agentur „Media Brothers“) entwickelt und vom Publikum großartig angenommen wurde, wie sie erzählen. Die beiden haben als Ö3-Hitradio-Mitarbeiter jahrelang die Medienlandschaft bespielt, nun sind sie in die Politlandschaft gewechselt. Die Mediatisierung und Inszenierung von Politik als fröhliches Spiel mit Ironie und Aktionismus dockt auch an einen Parlamentarismus an, wo schon mal Stofftiere und Taferln aus- und T-Shirts übergezogen werden, sobald die Kameras live aus dem Hohen Haus übertragen. Muss denn Politik staubtrocken sein? lautet dann oft die Gegenfrage. Tatsächlich: Erinnert sich eigentlich noch jemand an den freundlichen Wirtschaftsprofessor Van der Bellen, dessen freundliche, aber völlig unspektakuläre Auftritte der Partei zwar hohe ökonomische Kompetenz zusprechen ließen, aber eben auch Spaßbremsertum? Aus heutiger Sicht ist so ein Image fast schon das Worst-Case-Szenario.
More Fun mit Medien
Auf Youtube lässt sich nachvollziehen, wie auch die Medien mit dem Iconic Turn die Erwartungshaltungen verändert haben. Nachzusehen ist eine Wahldiskussion im ORF von 1995. Vranitzky, Johannes Ditz, Haider, Haselsteiner und Van der Bellen erhalten jeweils so lange Redezeiten, dass sich die anderen Notizen machen, um ihre Argumente nicht zu vergessen. Längst haben private und öffentlich-rechtliche Sender die Redezeit in Info-Talkshows so sehr beschnitten, dass ein Bonmot oder ein deftiger Sager in den kurzen Sekunden-Slots effizienter sind, als die vielbeschworene Komplexität heutiger Politik verständlich zu machen. Der deutsche Talker Stefan Raab suchte für eine Polit-Show sogar einmal mit Preisgeld nach den besten DiskutantInnen.
Und auch wenn in Österreich Josef Pröll einmal mit seiner Suche nach dem Superpraktikanten die Grenzen des Politischen neu auslotete. Einen Minister, der in einer „Wetten dass ...?“ Show in eine Mülltonne steigt, wie das die CDU-Ministerin Ursula van der Leyen in Verkennung medialer Symboliken tat, gab es in Österreich noch nicht.
Dass laut einer Karmasin-Umfrage fast die Hälfte der BürgerInnen des Landes Fernsehdebatten als wichtigste Hilfe für ihre Wahlentscheidungen sehen, dürfte vor allem die Hoffnungen der FPÖ nähren. Das Fernsehen als unmittelbarste und persönlichste Form medialer Inszenierung entspricht auch jenen der Partei: Mythen der Volksnähe lassen sich auf diese Weise wunderbar nachspielen. Nach dem Marathonläufer Haider und „Mr. Nulldefizit“ Grasser wurde mit Strache erneut ein Politikertypus gefunden, der kraft des eigenen Images Politik nicht als sachliches, sondern als emotionales Gewerbe darzustellen vermag. Bislang wurde dem Feschismus aber noch keine Kanzlertauglichkeit attestiert. Geradezu komisch wirkt es in diesem Zusammenhang, dass dem FP-Chef durch den ehemaligen Geil-o-mobil-Fahrer Sebastian Kurz die bedeutendste Konkurrenz in Fragen der Zuwanderung zugesprochen wird. Der junge, fesche Integrationsstaatssekretär wird von den Medien wie kein anderer Politiker seit Haider umgarnt. Die ÖVP scheint glücklich über die Marke Kurz, der die Gesetze der Mediendemokratie bestens verstanden hat. Dass damit das konstatierte schwindende Vertrauen in die Institutionen wieder erstarkt, ist aber unwahrscheinlich.
Politik als Abenteuer: Alles unter Kontrolle am Neusiedlersee? Aber wer greift hier Steuermann Faymann ins Ruder?