Pass egal Wahl
Österreichs Demokratie schrumpft von Wahl zu Wahl. SOS Mitmensch ruft daher erstmals alle NichtstaatsbürgerInnen zur Urne.
Die FPÖ warnt eindringlich davor, das Wahlrecht „zu verschenken“. Integrationsstaatsekretär Sebastian Kurz konzediert zwar, dass demokratische Beteiligung ein hohes Gut sei, aber von einem Wahlrecht für lang ansässige NichtstaatsbürgerInnen will auch er nichts wissen. Es geht um nicht weniger als die Zukunft der österreichischen Demokratie. Die europaweit fast einzigartig restriktiven Einbürgerungsbestimmungen führen in Kombination mit dem Wahlausschluss von Nichtstaatsbürgerinnen dazu, dass sich der Inklusivitätsfaktor der österreichischen Demokratie im Sinkflug befindet.
Durften 2008 noch über 91 Prozent der in Österreich lebenden Personen über 16 Jahre wählen, sind es bei den diesjährigen Wahlen nur noch 89 Prozent. In Wien ist sogar jeder Fünfte aufgrund der Staatsbürgerschaft vom Wahlrecht ausgeschlossen. Dabei leben zwei Drittel der NichtstaatsbürgerInnen schon länger als fünf Jahre in Österreich, 40 Prozent sogar schon länger als zehn Jahre.
Die Folgen des Wahlausschlusses sind gravierend: erzwungenes politisches Desinteresse, eine bröckelnde Legitimität staatlicher Einrichtungen und eine Politik, die an der Lebensrealität von immer mehr Menschen vorbeigeht. Demokratieforscher Rainer Bauböck kritisiert, dass ein großer Teil der Gesellschaft zwar den Gesetzen unterworfen, aber von demokratischer Beteiligung ausgeschlossen sei. Ohne Behebung dieses Demokratiedefizits könne von Integration nicht ernsthaft gesprochen werden, so Bauböck. Sein Kollege Gerd Valchars betont, dass neben der Schaffung eines realistischen Zugangs zur Einbürgerung auch ernsthaft über die Öffnung der Demokratie für NichtstaatsbürgerInnen diskutiert werden müsse.
Demokratisch mitgestalten
Auch Betroffene wollen den Demokratieausschluss nicht länger schweigend hinnehmen: „Seit sechs Jahren lebe ich in Österreich. Die österreichische Politik schafft die Rahmenbedingungen für mein Leben hier. Um mich hier politisch repräsentiert zu fühlen und um meine Umgebung demokratisch mitzugestalten, muss die Nationalratswahl auch meine Wahl sein“, so die 26-jährige Sarah S., die mit deutschem Pass in Österreich lebt. Paulo B., 46, mit brasilianischem Pass in Österreich, hält fest: „Dass mir nach 23 Jahren in Österreich das Recht auf die Staatsbürgerschaft und auch das Recht auf politische Mitbestimmung verweigert wird, kann ich nur als irrational bezeichnen. Die Politik bewirkt damit, dass ich zu fühlen anfange, dass es das eigentliche Ziel ist, mich und alle, die in der gleichen Situation sind, aus dem demokratischen Prozess auszuschließen und in einer Parallelgesellschaft zu halten.“
Am 24. September können Sarah S., Paulo B. und andere vom Wahlausschluss Betroffene erstmals in Österreich ihre Stimme abgeben. Als Zeichen für eine inklusive Demokratie hält SOS Mitmensch am Wiener Minoritenplatz die erste österreichische „Pass egal Wahl“ ab. Alle, die in Österreich leben, aber keinen österreichischen Pass haben, können an der Wahl teilnehmen. Damit soll die offizielle Nationalratswahl symbolisch vervollständigt werden. apo
Nähere Infos zur Pass egal Wahl auf www.sosmitmensch.at