Sonderecke: Verschleppte Schutzpflicht
Schleppergesetze schützen weniger Geflüchtete vor Ausbeutung als Staaten vor ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen. Um die Ecke gedacht mit Philipp Sonderegger. Illustration: Petja DImitrova
Der Schlepperparagraph schützt Flüchtlinge nicht, ganz im Gegenteil. Die Kriminalisierung von Fluchthilfe erhöht das Risiko für alle Beteiligten, abgewälzt wird auf die Geflohenen: je höher die Strafen, desto gefährlicher wird die Reise. Umso schwieriger wird es, effektiven Schutz zu finden. Würden alle Staaten der Erde dem europäischen Beispiel folgen, dann wäre die Genfer Flüchtlingskonvention längst ad absurdum geführt: ein Asylantrag kann erst im Zielland gestellt werden, doch die Reise dorthin ist illegal und Fluchthilfe wird mit Strafe bedroht. Solange keine Antragsmöglichkeit aus dem Ausland besteht – etwa die abgeschafften Botschaftsanträge – kann daher behauptet werden: Die Kriminalisierung von Fluchthilfe ist eine gravierende Einschränkung des Rechts Verfolgter, diplomatischen Schutz in einem fremden Staat zu finden. Eine solche Einschränkung sollte aber gute Gründe haben.
Von einigen BefürworterInnen der Schlepper-Kriminalisierung wird ins Treffen geführt, dass damit Ausbeutung und Gefährdung von Flüchtlingen bekämpft werde. Die strafrechtlichen Tatbestände sind allerdings durchwegs in anderen Delikten (oder doppelt) geregelt: Wucher, Körperverletzung, Tötungsdelikte, Menschenhandel oder Ausbeutung von Fremden. In den parlamentarischen Unterlagen wird der Gesetzesbeschluss mit einem Rahmenbeschluss des Europäischen Rates begründet. Jenem über die „Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise sowie des unerlaubten Aufenthalts“ vom 28. November 2002. Um einen Einwand vorwegzunehmen: Dass derzeit alle Nationalstaaten die Ein- und Durchreise von Fremden regulieren dürfen, steht außer Streit. Gleichzeitig bindet uns aber die GFK. Die Regulierung von Ein-und Durchreise darf das Recht auf internationalen Schutz nicht unverhältnismässig beschränken. Europa hat diese Schwelle aber bereits überschritten.
Das sehen nicht nur NGOs so: Bereits 2009 wurde das Gesetz entschärft. Unentgeltliche Beihilfe zu illegaler Einreise wurde vom Strafrecht in das Verwaltungsrecht verschoben. Selbstlosen Fluchthelfern droht nur mehr eine Geldstrafe statt Gefängnis. Dem Gesetzgeber war klar geworden, dass er mit der Regelung von 2005 weit übers Ziel geschossen hatte. Dennoch blieb die Korrektur halbherzig.
Ob von den Anschuldigungen gegen Votivkirchen-Refugees noch etwas über bleiben wird, das wird man sehen. Ähnliche Gerichtsverfahren zeigen aber, dass die Regelung der Polizei zu viel Interpretationsspielraum lässt. Etwa der Freispruch des chinesischen Ehepaars Z. im Jahre 2007: die Kripo hatte ihnen die Schleppung von 1400 Landsleuten vorgeworfen. Nach 14 Monaten U-Haft lösten sich die Vorwürfe in Luft auf. Genauso wie die Existenzgrundlage der beiden – ihre Firma war wegen der langen Inhaftierung ruiniert.
Philipp Sonderegger ist Menschenrechtler, lebt in Wien und bloggt auf phsblog.at