Geduld und eine gute Strategie
DOSSIER. Sie hat als eine der ersten weiblichen Croupiers Österreichs gearbeitet und heuer in Ninja-Kostümen symbolisch FPÖ-Wahlstände attackiert. Die Künstlerin Simonida Selimović über ihre Familie, selbstbewußtes Auftreten und Roma-Klischees.
Interview: Philipp Sonderegger
Wie gewinnt man beim Poker?
Geduld, viel Geduld und nochmals viel Geduld. Und mit einer guten Strategie und Menschenkenntnis. Es schadet nicht, wenn man sich eingehend mit dem Spiel beschäftigt.
Sie waren eine der ersten weiblichen Croupiers in Österreich?
2005 gab es nur wenige weibliche Croupiers. Damals wurde Poker vom österreichischen Verband als Strategiespiel gepusht. Ich habe in einem Wiener Karten-Casino meine Ausbildung gemacht. Von über 60 Bewerbern sind dann drei Frauen genommen worden. Es ist ein schwerer Beruf. Es schaut schön aus, aber man arbeitet in Nachtschicht, und als ich begonnen habe, gab es noch viele Spieler, die das weniger als Sport betrieben haben.
Wie haben die Spieler auf sie reagiert?
Man muss sich schon beweisen als Frau. Aber nach einer Zeit kriegt man auch den Respekt, wenn man sich durchschlägt und das Handwerk versteht. Ich war dann auch international für Eurosport und DSF tätig und viel unterwegs. Heute gibt es einige weibliche Croupiers. Es fällt aber auf, dass Frauen weniger zugetraut wird, vor allem in den leitenden Positionen wie Casinomanager oder Turniermanager. Da sitzen immer Männer.
Hat man Mitleid, wenn da jemand viel Geld verliert?
Ich finde es wichtig, als Croupier zu wissen, wie es sich anfühlt, wenn man verliert. Die Spieler kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Und am Anfang hatte ich schon Mitleid. Aber wo es einen Gewinner gibt, gibt es immer auch einen Verlierer, darüber muss man sich im Klaren sein.
Sie haben mit 13 Jahren auch in einem Film mitgespielt.
Ich habe in Nebenrolle ein Roma-Kind in „Dunarea/Donau“ gespielt; aber das war wahnsinnig klischeehaft. Da hat sich übrigens auch nicht viel gebessert. Das Bild der Roma ist noch immer überwiegend das von armen, schmutzigen Ungebildeten. Die Stigmatisierung durch Medien führt auch dazu, dass sich viele serbische Roma gar nicht als Roma bekennen. Viele sprechen die Sprache nicht öffentlich, es wird auch zu Hause nicht mehr gelernt.
Haben Sie als Kind Romanes gesprochen?
Bis zu meinem siebenten Lebensjahr lebte ich in Serbien und habe beide Sprachen gesprochen. Mit meinem Vater Serbisch und mit meiner Mutter Romanes. Vater hat es nicht gelernt, weil mein Großvater das nicht wollte – wegen der Verfolgung. Meine Großmutter hat heimlich ein wenig mit den Kindern gesprochen. Aber so richtig konnte mein Vater es erst dann, als er meine Mutter kennen gelernt hat.
Und in Wien?
Ich konnte kein Wort Deutsch, hatte aber gute Lehrer. Die haben schnell erkannt, dass ich gut lesen und rechnen kann. Sie haben sich auch eingesetzt, dass wir einen Zugang zu Musik, Literatur und vor allem Theater bekommen. Das war eine Welt, die für mich total verführerisch war. Auch die Eltern haben zum Glück sehr darauf geachtet, dass wir etwas lernen. Oft hörte ich, du musst die Schule machen, sonst wirst du Putzfrau. Zu Hause war immer etwas zu tun, weil die Eltern viel arbeiten mussten. Auch wir Kinder mussten immer mit anpacken. Die Schule war wie Urlaub. Das war mein einziger Spaßfaktor.
Warum ist Bildung Ihrer Familie so wichtig?
Das kommt von meinen Großeltern. Mein Urgroßvater war Tierarzt und Großvater Ingenieur. Aber es ist auch so, dass die Frauen meistens zu Hause gesessen sind. Die haben den Mann unterstützt, damit der einen gescheiten Beruf erlernen kann. Meine Oma war Analphabetin. Das passiert ganz oft. Um die Frau besser zähmen zu können – vor allem wenn sie besonders hübsch ist –, muss die nix können. Der andere Großvater handelte mit Immobilien und war deshalb ziemlich reich. Die Großmutter hat als Schneiderin von zu Hause aus gearbeitet.
Wie war es, Anfang der 90er Jahre als Roma nach Wien zu kommen?
Wir wussten, das Land hat eine faschistische Tradition. Uns wurde gesagt: Sagt’s in der Schule bloß nicht, dass ihr „Zigeuner“ seid. Da habe ich erkannt, wir sind anders. Eine Zeit lang habe ich mich geschämt. Wenn Kinder sich gegenseitig beschimpft und sich „Zigeuner“ geziehen haben, das habe ich nicht verstanden, und es hat mich schon sehr verletzt.
In Serbien waren Sie auch schon „anders“?
Auch da war das schon spürbar. In einer serbischen Kleinstadt wissen die Leute, wer ein Rom ist. Man erkennt das an den Berufen, an den Nachnamen, und viele Roma haben eine dunkle Hautfarbe. Mein Vater nicht, der ist rotblond und hat blaugrüne Augen, den hat man nicht erkannt. Außer ich war dabei, weil ich eher dünkler bin. In den mitteleuropäischen Ländern hält man mich für eine Brasilianerin oder eine Spanierin. Später hat man mich auch am Balkan nicht mehr als Romni eingestuft, wegen meines Auftretens und weil ich mehrere Sprachen spreche. Und wenn ich dann gesagt habe, ich bin aber Romni, dann waren die schön beeindruckt. So kann man auch als Romni sein?
Sie haben schon sehr jung als Modell gearbeitet?
Von Pago stand eine Pappfigur von mir in allen Billa- und Merkur-Filialen, als ich 13 war. Gegenüber Auftraggebern habe ich damals, mangels Selbstbewusstsein, gesagt, meine Mutter sei Inderin. Meine Eltern konnten mich da auch nicht stützen. Mama und die Tante haben mich heimlich zu den Shootings begleitet. Papa wusste nichts davon, bis er mich am News-Cover gesehen hat. Oh Gott, meine Tochter halbnackt in der Zeitung. Das war nicht leicht für ihn, sein Frauenbild war schon eher konservativ. Mit 14 bin ich allein in die Türkei geflogen, um mit Tony Wegas in seinem Video „Maria Maria“ zu knutschen. Meine Eltern haben dann davon erfahren, als sie es im ORF-Wurlitzer gesehen haben.
Wenn Sie Roma kennen lernen, ist dann das Romasein ein Thema?
Man erkennt sich. Man redet miteinander. Oder zumindest wird getuschelt: Ah, du bist auch ein Rom? Was für eine bist du, eine Kalderasch oder eine Gurbet? Man sieht dann auch, wer nicht dazu steht: Nein, ich kann’s gar nicht, also bin ich auch keine. Oder: Ja, meine Eltern sind Roma, aber ich nicht. Und was bist du dann? Na, ein Mensch. Gut, es ist jedem selbst überlassen, aber viel trägt man halt nicht dazu bei, dass sich Roma emanzipieren können.
Fühlen Sie sich als Österreicherin?
Klar, Österreich hat mir viel gegeben. Heuer haben wir bei der Wienwoche das Mindj-Panther-Projekt gemacht. Wir sind in Ninja-Kostümen zu FPÖ-Wahlständen gegangen, wo wir mit einem Transparent bekundet haben: Österreich, wir lieben dich, wir verlassen dich nie mehr. Mindj heißt Pussy auf Romanes. Der älteren Roma-Generation ist das ein wenig aufgestoßen, aber die Jungen finden das sehr cool und lustig.
War die Konfrontation mit der FPÖ nicht riskant?
Wir haben die Provokation vorsichtig dosiert. Die FPÖ-Wähler dort haben uns beschimpft, gestoßen, versuchten unser Banner anzuzünden. Die Polizei hat uns dann weggewiesen, von einem Flashmob wollten sie nichts hören.
Sie zeigen sich mit Ihrer Schwester, Ihrer künstlerischen Partnerin, auf einem Poster in kurzen Kleidern. Absicht?
Damit haben wir gespielt, ja. Wir wollten jungen Frauen bei einem Rap-Konzert am Mexikoplatz signalisieren: Steht auf und macht euer Ding, so selbstbewusst, wie ihr nur könnt. Aber tretet’s denen auch in den Hintern, wenn sie euch auf die Nerven gehen. Ich will weiblich sein dürfen und mich für Gleichberechtigung stark machen.
Es ist ok, mit gutem Aussehen Männer einzuwickeln?
Das ist doch die Waffe. (Lacht) Männer wickeln mich auch manchmal mit ihrem Charme ein. Warum nicht auch umgekehrt? Wenn ich damit etwas Gutes bewirke, auf jeden Fall. Das würde ich auch jeder Frau empfehlen. Wir haben unseren Körper, unsere Sprache und unsere Gestik, und damit artikulieren wir, was wir wollen. Jeder Mensch will etwas. Warum soll man nicht alles einsetzen was man hat, um das zu bekommen, was man will?
Können Sie von der Schauspielerei leben?
Ja. Ich würde aber gern noch eine große Rolle spielen. Wo dann alle sehen, dass ist ein Romni. Warum nicht einmal eine dunkle Julia am Burgtheater? Was mich aber auch total nervt, sind dann die Migrantenstücke, wo ich als die Zigo-Braut reinpassen würde, die zu früh verheiratet und malträtiert wird. Die Theater sind da leider nicht so weit wie das Publikum. Deshalb versuchen meine Schwester Sandra und ich mit den Stücken, die wir mit unserem Verein Romano Svato produzieren, solche Klischees zu brechen.
Hat sich das nicht schon gebessert?
Kaum. Die großen Häuser haben nicht einmal offenes Vorsprechen. Und wenn dann einmal jemand genommen wird, heißt es, man hat die Rolle nur gekriegt, weil man einer Minderheit angehört. Bei unseren Produktionen haben wir gemerkt, dass Schauspieler zum Teil nur schwer damit umgehen konnten, dass wir jetzt ihre Vorgesetzten sind. Viele Roma-Vereine werden ja von Gadje – also Nichtroma – geleitet, weil die Roma angeblich erst in die Leitungspositionen hineinwachsen müssen. Das muss sich auch ändern.
Wie gut sind die Roma-Vereine aufgestellt?
In den letzten Jahren hat sich viel getan. Aber es müssen sich noch mehr Roma zu ihrer Identität bekennen und sich engagieren. Leider machen einige Roma-Vereine nur Politik für die autochthonen Roma. Die Zugewanderten bräuchten in der jetzigen Situation eine eigene Vertretung, dann kann man sich zusammenschließen und gemeinsam agieren.
Simonida Selimović ist Schauspielerin und Musikerin in Wien. Sie wurde 1979 in Serbien geboren und kam mit sieben Jahren nach Wien. Bereits als Kind arbeitete Selimović als Schauspielerin und Model. Später konnte sie als eine der ersten weiblichen Croupiers in Österreich international reüssieren. Mit ihrer Schwester, der Schauspielerin Sandra Selimonvić, gründete sie 2011 den Roma-Theater-Verein Romano Svato. Heute konzentriert sie sich wieder auf das Schauspiel. Ihre nächsten Projekte: Rollen in Filmen von Nina Kusturica und Ishani Kent.
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