Stolz und Vorurteil
DOSSIER. Über die Schwierigkeit, Roma zu sein: Eine Schülerin, eine Studentin und ein junger Künstler erzählen von sich – von ihrer Herkunft, ihren Gemeinsamkeiten und dem aufrechten Gang zwischen Klischee und Verleugnung.
Reportage: Stefan Kraft
Saška hat eine dunkle Hautfarbe, Robert nicht so sehr, Žaklina einen leichten Teint. Bist du Spanierin, bist du Italienerin, bist du Brasilianerin, haben die Leute Žaklina gefragt. Was hätte sie darauf antworten sollen? Schließlich ist sie Wienerin von Geburt an und keine Spanierin und keine Italienerin. Sie ist auch keine Serbin, nur weil ihr Vater im Alter von sechs Jahren dieses Land verlassen hat. Und sie ist eine Romni, aber das hat sie lange keinem erzählt. Auch Saška hat das nicht getan, erst im September dieses Jahres hat sie sich „geoutet“ vor der Klasse, zwei Jahre vor der Matura war es so weit. „Warum ich so dunkel bin, war bis dahin nicht geklärt.“ Žaklina erging es ähnlich, erst mit 15 erzählte sie ihrer Freundin im Gymnasium davon, dass sie eine Romni ist. Die Freundin hatte Verständnis, die Freundin war Kurdin.
Robert, Jahrgang 1986, wuchs hingegen unter Roma auf. Nicht in seinem Elternhaus, mit dem verbindet ihn nur die Geburt. Viele Kilometer weit weg in einem staatlichen Heim, 80 Prozent der Kinder waren Roma. Heute gibt es Organisationen, die sich darum kümmern, dass die Kinder zu Hause bleiben können, im familiären Umfeld. Damals gingen die Behörden von Dorf zu Dorf und nahmen die Kinder mit. Robert hat den „Befund“ gelesen, der ihn ins Heim brachte: „Da stand etwas drin über schlechte Verhältnisse, über eine ungesunde Umgebung.“
Farbe bekannt
Seit drei Jahren ist Robert in Wien, er besucht hier die Akademie der bildenden Künste, er kennt die 16-jährige Saška, er kennt die 25-jährige Žaklina, denn alle drei engagieren sich im Romano Centro, einem der ersten Roma-Vereine Österreichs, gegründet 1991. Hier haben sie zusammengefunden. Aber das war für keinen der drei so selbstverständlich, wie es sich liest. Weder die gemeinsame Sprache, noch eine wie immer geartete gemeinsame Kultur ließ sie zusammentreffen, und auch über ihre Identität als Roma sind sie sich nicht einig. Es scheint, als wäre die Gemeinsamkeit vor allem den anderen zu verdanken, jenen, die sie als Roma einordnen, die sie nach dem Grund für ihre Hautfarbe fragen, die mit ihnen Interviews führen. Und bei allen dreien führte der Druck von außen und das Fragen in ihrem Inneren dazu, Antworten zu finden, wer sie sind oder was sie sind oder ob sie überhaupt so etwas sind wie die Angehörigen einer Volksgruppe, einer Minderheit, einer Kultur.
Bei Žaklina und bei Saška, die beide in Wien zur Schule gingen, ist dieses Fragen erst spät aufgetreten. Das haben sie ihren Lehrern zu verdanken, die nichts zu sagen hatten über die Nachfahren jener Bevölkerungsgruppe, die zu Hunderttausenden im Dritten Reich ermordet worden war. Žaklina kann sich nicht erinnern, in der Schule etwas über die Roma gehört zu haben, außer in einem kurzen Absatz im Geschichtsbuch. „Da bin ich innerlich rot geworden, weil ich Angst gehabt habe, dass ich erkannt werde.“ Saška meint: „Über das Volksgruppengesetz haben wir in der Unterstufe gesprochen, das war’s.“ Jetzt, in der 7. Klasse, schreibt Saška eine vorwissenschaftliche Arbeit für die Matura über die Roma, jetzt hat sie Farbe bekannt, jetzt wissen auch ihre Klassenkameraden, dass sie eine Romni ist. „Kein Professor hat sich dafür interessiert, sie haben gemeint, ich muss das Thema ändern. Aber ich bin stur geblieben, ich möchte das unbedingt machen.“ Und so fand Saška einen Geschichtsprofessor, der schließlich nachgab.
Bei Žaklina dauerte es bis zum Ende ihres Studiums im Fach Bildungswissenschaften, bis sie beschloss, die Roma zu studieren. Ein Seminar über „Armut“ gab den Ausschlag, eine Diplomarbeit folgte, nun scheint es, als würde sie das Thema nicht loslassen – als Aktivistin, als Forscherin und als Lehrerin für Roma-Kinder.
Wir waren sichtbar
Žaklina und Saška haben Eltern, die sie mit der eigenen, sagen wir, Roma-Kultur vertraut gemacht haben. Robert hatte nur LehrerInnen, die keine Roma waren, deswegen spricht er auch nicht Romanes oder Romani, eine Sprache, die völlig unterschiedlich gesprochen wird, im Burgenland anders als in der Slowakei, in Ungarn anders als in Serbien, wie mir Žaklina erklärt. Eine Sprache, die so viele Unterschiede aufweist wie die Menschen, die sie sprechen, weil sie von den „Kontaktsprachen“ dominiert wird, so wie ihre SprecherInnen von der umgebenden Bevölkerung. Robert hatte Kontakt zu den anderen, denn inmitten des Dorfes, in dem er aufwuchs, war ein Park, und in dem Park war ein Schloss, und in dem Schloss wohnten die Heimkinder. Nicht an den Randzonen der Städte, wie es heute üblich ist, nicht mit einer Mauer drumherum. „Wir waren sichtbar“, sagt Robert. „Ich weiß, dass die Einwohner damit am Anfang ein großes Problem hatten.“ Aber es folgte keine große Auseinandersetzung, die Kinder wurden akzeptiert.
Die, sagen wir, Roma-Kultur brachte sich Robert selbst bei, das Interesse begann in der Mittelschule im angewandten Kunstunterricht, als die Sprache auf verschiedene „Ethnien“ kam. Robert begann zu forschen, wollte wissen, „woher ich komme und was ich bin“. Hast du das Bedürfnis gehabt, deine Familie kennenzulernen? Ja, hat er, danke der Nachfrage. Das letzte Mal war er vor drei Jahren in seinem Geburtsort Hnúšťa, beim Begräbnis seiner Mutter. „Ich habe es gesehen, und das reicht mir“, sagt Robert. Er blieb nur zwei Stunden. „Es ist zwar meine biologische Familie, aber sie haben mich nicht erzogen, und ich fühle nichts ihnen gegenüber.“ Das Einzige, was er fühle, sagt Robert, sei Mitleid. Und Entsetzen darüber, dass in der Mitte der Europäischen Union derartige Slums existieren, dass Menschen heutzutage so leben können.
Losgelassen hat ihn dieses Erlebnis nicht. Er schoss Fotos an diesem Tag, und diese Fotos übermalte er, er übermalte seine Familie und ihr Elend mit typischen Darstellungen, mit, sagen wir, Klischees von Roma. „Du kannst zwischen Foto und Zeichnung, zwischen dem Illustrativen und dem Dokumentarischen nicht mehr unterscheiden.“ Und wenn doch? „Du schaust das Bild an und siehst den Unterschied zwischen dem Stereotyp und dem, was wirklich ist.“ Das hast du sicher gemacht, um die herkömmliche Betrachtungsweise zu brechen, Robert? Nein, sagt er. „Du kannst Klischees thematisieren und auf sie aufmerksam machen, aber das Brechen funktioniert nicht.“
Roma-Kultur als Klischee
Saška ist elf Jahre jünger als Robert, Saška hat einen anderen Weg gewählt. „Ich erfülle alle positiven Klischees, ich bin sehr musikalisch, ich will die Musik zu meinem Beruf machen“, sagt sie. Und ihre Eltern haben ihr gesagt, du bist Romni, du sollst dich nicht dafür schämen. Die Mutter hat in Jugoslawien mit ihrer Ziehharmonika Musikbewerbe gewonnen – „als erste Frau“, sagt Saška –, aber davon kann man nicht leben, deswegen zogen sie nach Chicago. Saška war erst zweieinhalb Jahre alt, andere Kinder passten auf sie auf, die Eltern arbeiteten Tag und Nacht. Als der Vater krank wurde in einem Land ohne allgemeine Krankenversicherung, zogen sie nach Wien. Saška sagt, sie benimmt sich wie eine Wienerin oder wie eine Romni, je nach Umfeld. Doch im Gegensatz zu Robert fühlt sie sich unter den Roma zu Hause. Wenn sie auf welche trifft, die auf der Straße musizieren, dann fühlt sie sich sofort hingezogen, „das sind meine Leute“ sagt sie. In ihrer großen Arbeit für die Schule geht es um die „positiven Klischees“, die haben es ihr angetan, sie bringt sie in Stellung gegen die Vorurteile über das Stehlen und Betteln.
Für Robert ist die Roma-Kultur aber selbst ein Klischee. Im Dorf seiner Eltern gibt es diese Kultur nicht, sagt er. Im Kinderheim wurde er als Roma dazu gezwungen, das Geigenspielen zu lernen. Und er hat gelernt, dieses Instrument zu hassen. „Ich bin bildender Künstler, aber ich male auch keine naive Kunst über Roma, die in den Konzentrationslagern ermordet wurden“, sagt er.
Žaklinas Großvater war ein berühmter Akkordeonspieler, überall in Europa hat er Konzerte gegeben. Kurz probierte sie, ganz am Anfang der Schullaufbahn, in seine Fußstapfen zu treten. „Dann habe ich aber doch den anderen Weg eingeschlagen.“ Während Robert bei Roma-Musikfestivals eher beobachtend daneben steht, glaubt Žaklina, dass dabei doch etwas in ihr anklingt. „Ich fühle mich zurückversetzt in meine Kindheit“, sagt sie.
Skeptische Lehrer
Diskriminierung haben Saška und Žaklina weniger frontal erfahren als Robert, der vor seiner Zeit in Wien die Akademie in Bratislava besuchte. Dort war er oft physisch konfrontiert mit den Nazis auf der Straße, beim Warten auf den Bus, bei seinem Weg vom Internat zur Kunstschule.
In Wien lernte er hingegen den „positiven Rassismus“ kennen. Der Professor auf der Akademie in Wien, bei dem er sich bewarb, wollte ihn zuerst nicht nehmen. Und als er dann seine Bilder sah, meinte er überrascht: „Du bist erstaunlich gut.“ Erst später verstand Robert, was gemeint war.
Saška kann Ähnliches berichten. Ihre Englischprofessorin, „eine vollblütige Österreicherin“, wollte nicht so recht glauben, dass dieses dunkle Mädchen mit dem serbischen Namen so gut Englisch sprechen konnte. Fast wäre es zur Nachprüfung gekommen, doch Saška rief den Stadtschulrat an und beschwerte sich. Seither, so sagt sie, „versucht die Lehrerin mich mit anderen Augen zu sehen“.
Aber wie siehst du dich selbst?
Ich bin stolz, eine Romni zu sein, sagt Saška.
Ist es wichtig, diesen Stolz zu zeigen, fragt Robert.
Ja, sagt Saška.
Ich kann stolz darauf sein, dass ich ein Diplom auf der Akademie habe oder ein Instrument spielen kann, sagt Robert.
Du zeigst der Mehrheitsgesellschaft ein anderes Bild der Roma, sagt sie.
Darauf bist du stolz? Machst du deine Sachen, damit du ihnen ein anderes Bild zeigst, fragt Robert.
Auch, sagt Saška. Ich will ein besseres Bild zeigen.
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