Der balkanesische Wahnsinn
RUBRIKEN. Noch einmal Anmerkungen zum Nationalismus in der Diaspora.
ANDERS GESAGT: Olivera Stajic über die Rolle der Medien, in einer pluralistischen Demokratie für Diversität zu sorgen
Verzeihen Sie, ich muss ein wenig wütend und persönlich werden. Und zwar zu einem Thema, das in dieser Kolumne schon einmal angerissen wurde: Nationalismus und Faschismus in der Diaspora. Also in der zweiten Generation der MigrantInnen, wenn Sie so wollen.
In einer Community, wie der ex-jugoslawischen, deren Zusammensetzung ethnisch divers ist und deren Mitglieder entweder am eigenen Leib oder aus sicherer Distanz einen blutigen ethnischen Konflikt erlebt haben, sind klarerweise Spannungen zu finden. Beinahe täglich kann auch der interessierte Medienkonsument im Ausland am „balkanesischen Wahnsinn“ teilhaben. Massengräber werden entdeckt; Kriegsverbrecher verurteilt, freigesprochen, bejubelt; Nationalspieler und Fans skandieren im Fußballstadion faschistische Parolen.
Diese aufwühlenden Ereignisse werden auch in der Diaspora debattiert. In Zeiten massiver Social-Media-Nutzung sind diese Debatten unmittelbar und sehr emotional erlebbar. Ob man sich daran beteiligt, bleibt einem selbst überlassen – möchte man meinen. Ich musste jedoch immer wieder erleben, dass man von mir als Journalistin erwartet, mich aktiv zu beteiligen oder gar für „unsere Sache“ die Stimme zu erheben. Das fordern jene, die mich als „eine von ihnen“ identifiziert haben wollen. Jene, die mich zum gegnerischen Lager dazu zählen, unterstellen wiederum in jeder Meinungsäußerung Parteilichkeit. Diese vermeintlichen Lager verlaufen immer entlang ethnischer Begrenzungslinien, die am Balkan wie eh und je komplizierte, historisch gewachsene Konstrukte sind. Ein großer Teil der MigrantInnen aus diesem Teil Europas – egal ob sie vor Jahrzehnten als GastarbeiterInnen oder etwas später als Kriegsflüchtlinge nach Österreich kamen – akzeptiert, tradiert und zementiert diese Grenzen ein. Zudem geben sie diese Weltsicht an ihre Kinder weiter.
Jene wie ich, die im Mosaikbild der eigenen Identität das Steinchen der ethnischen Zugehörigkeit – übrigens auch der Zugehörigkeit zu Österreich – gering schätzen oder als entbehrlich betrachten, begeben sich in ein Niemandsland voller Rechtfertigungsforderungen und Misstrauen. Die steten Versuche im beruflichen und privaten Umfeld diverse Etikettierungen und Vereinnahmungen abzuwehren, ist eine emotional sehr fordernde Angelegenheit. Davon können einige aus meiner Generation der Ex-Jugoslawen erzählen. Der blutige Konflikt, den wir als Kinder und Jugendliche erlebt haben, trennt uns zudem für immer von den Gleichaltrigen hierzulande. Diese Erfahrung birgt, meiner Meinung nach, auch eine gewichtige Verantwortung: Das unmittelbare Erleben eines blutigen Gemetzels als Resultat ethnischer Ressentiments sollte eine klare Abgrenzung zu jeglicher Form von Nationalismus und Faschismus zur Folge haben. Smrt fašizmu, sloboda zdravom umu!
Olivera Stajic ist Redaktionsleiterin von daStandard.at.
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