Frontbegradigung
DOSSIER. Wie ist die FPÖ nach dem erzwungenen Abgang von Andreas Mölzer positioniert? Hat sie einen Richtungswechsel vorgenommen?
Text: Andreas Peham
Dass Andreas Mölzer (Corps Vandalia) über Jahrzehnte rassistische und antisemitische Texte – vor allem in seinem Wochenblatt „Zur Zeit“ – verantwortet hatte, disqualifizierte ihn nicht für die neuerliche FPÖ-Spitzenkandidatur zur Europawahl. Auch die Veröffentlichung seiner Aussagen zur EU bei der Präsentation der jüngsten Publikation der Parlamentarierin Barbara Rosenkranz machte ihn für die Parteispitze zunächst nicht untragbar. Weder seine bereits 2009 erstmals aufgestellte Behauptung, das „Dritte Reich“ habe den (ökonomischen) Alltag weniger reglementiert als die verhasste EU, noch seine zuerst geleugnete dann als ironisch verharmloste rassistische Rede vom „Neger-Konglomerat“ vermochte also Mölzer zu Fall zu bringen. Bekanntlich stolperte er erst über einen Artikel zum österreichischen Fußballstar David Alaba, der aufgrund seiner Hautfarbe („pechrabenschwarz“) kein „echter Wiener“ sein könne. Erst damit zog sich die FPÖ die Ablehnung des Boulevards und den Groll der stolzen Fußballpatrioten zu.
Weil wie stets in vergleichbaren Fällen mancherorts schon wieder eine um Mäßigung bemühte Parteispitze oder gar eine weniger rechte FPÖ behauptet wird, soll in Erinnerung gerufen werden, dass es nach wie vor der von Burschenschaftern dominierte rechtsextreme Kern ist, der die Partei beherrscht. Schon beim Mölzer-Abgang zeigte sich, wie wenig dieser inhaltlich begründet war. So hatte NAbg. Elmar Podgorschek (Grenzlandsmannschaft Cimbria) kein grundsätzliches Problem mit den Äußerungen, vielmehr sah er dessen erzwungenen Abgang als Zeichen dafür, „dass gewisse Äußerungen in der Öffentlichkeit schwer vertretbar“ seien. „Der Begriff Neger“ sei für Podgorschek „nicht problematisch“, darum würde er ihn „auch heute noch gebrauchen“.
Burschenschafterpartei
Bis Mitte der 1980er Jahre belief sich der Anteil von deutsch-völkisch Korporierten unter den FPÖ-Nationalratsabgeordneten auf rund zehn Prozent. Unter dem Burschenschafter Jörg Haider wuchs dieser Anteil kontinuierlich, um 1999 die Höchstmarke von 50 Prozent zu erreichen. Der daraufhin einsetzende Absturz in der WählerInnengunst ging vor allem zulasten der Korporierten: Ihr Anteil sank bis 2002 auf 20 Prozent, um jedoch bis 2013 wieder auf über 40 Prozent zu steigen. Derzeit gehören von den 33 männlichen Nationalratsabgeordneten 15 einer deutschnationalen Verbindung an. Mit Barbara Rosenkranz und der Familien- und „Vertriebenensprecherin“ Anneliese Kitzmüller kommen zwei Mitglieder von nicht minder deutschnationalen „Damengilden“ oder „Mädelschaften“ dazu. Kitzmüller, nebenbei führende Funktionärin der rechtsextremen Österreichischen Landsmannschaft (ÖLM), verlangte Anfang September 2011, dass eine slowenische Zwei-Euro-Münze umgehend aus dem Verkehr gezogen werden soll. Die Freiheitliche stieß sich daran, dass die Münze dem Interbrigadisten und Partisanenkommandanten Franc Rozman Stane (1911–1944) gewidmet ist. Ohne konkrete Beweise vorzulegen, behauptet Kitzmüller gegenüber der APA (1. 9. 11), dass Stane „in Gräueltaten“ involviert gewesen wäre. Barbara Rosenkranz blieb dadurch in Erinnerung, dass sie nach Bekanntgabe ihrer Kandidatur zur Bundespräsidentschaft ihre ablehnende Haltung gegenüber dem NS-Verbotsgesetz erneuerte, weil dieses in Teilen die „freie Meinungsäußerung“ behindere. Gefragt, ob sie selbst auch an der Existenz von Gaskammern zweifle, antwortet Rosenkranz kryptisch: „Mein Geschichtsbild ist das eines Österreichers, der zwischen 1964 und 1976 in österreichische Schulen gegangen ist. An diesem Geschichtsbild habe ich keine Änderungen vorzunehmen.“ Auf die Nachfrage, ob das nun heiße, dass sie „keine Zweifel daran“ habe: „Man kann Geschichte natürlich nur mittelbar wahrnehmen. Was gelehrt wurde, ist auch mein Geschichtsbild.“ („Kurier“, 3. 3. 2010)
Als Ausdruck der weltanschaulichen Dominanz des korporierten Milieus in der FPÖ kann auch die Tatsache gesehen werden, dass 2011 das 1998 gestrichene Bekenntnis zur „deutschen Volksgemeinschaft“ wieder im Parteiprogramm verankert wurde. Dementsprechend attestierte die deutsche „National Zeitung“ der FPÖ einen „klaren Rechtsruck“: „Mit diesem neuen Parteiprogramm [...] schlägt die FPÖ unter HC Strache – nun auch schriftlich fixiert – einen dezidiert deutsch bewussten und klar national-freiheitlichen Kurs ein und kehrt somit zu ihren Wurzeln zurück. Mindestens drei der fünf Stellvertreter Straches, die allesamt einstimmig von den Delegierten gewählt wurden, gehören dem deutschnationalen Lager an. Dies zeigt auch, dass die Geschlossenheit innerhalb der national-freiheitlichen Gesinnungsgemeinschaft groß wie selten ist.“
Einen Ausdruck dieser „Geschlossenheit“ stellt etwa die Übernahme des umstrittenen WKR-Balls in der Wiener Hofburg durch die FPÖ dar, einen anderen die Gratulationen, die die Parteispitze Ende 2011 der rechtsextremen „Aula“ zum 60-jährigen Bestehen übermittelte. Heinz-Christian Strache (pennale Burschenschaft Vandalia) nannte das „freiheitliche Monatsmagazin“ ein „unbequemes Medium“, das „sich nie dem Zeitgeist, woher auch immer er wehen mochte, untergeordnet hat“. Tatsächlich versperrte sich das Burschenschafter-Zentralorgan so zeitgeistigen Erkenntnissen wie jener von den Giftgasmassenmorden in den Vernichtungslagern, was ihm schon einmal eine Verurteilung nach dem NS-Verbotsgesetz eingebracht hat. In der von Strache und anderen FPÖ-Führungskadern beglückwünschten „Aula“ war unter anderem auch von einem „auf uns lastende[n] althebräische[n] Zinseszinssystem“ zu lesen, von Adolf Hitler als „unerwünschte[m], weil erfolgreiche[m] Sozialrevolutionär“, dessen durchgesetztes „Primat der Politik über die Wirtschaft [...] gewissermaßen das Todesurteil der kapitalistisch geführten Welt heraus[forderte]“, oder von der „normative[n] Kraft der rassischen Abstammung“ und der Notwendigkeit eines „Befreiungskrieg[es]“ gegen die „Verräter und Verbrecher“ aus dem „eigenen Volk“. Und zum Nationalsozialismus fiel dem FPÖ-Akademikerblatt schon einmal „soziale Gerechtigkeit, volksgemeinschaftliches Denken gegen zunehmende Materialisierung, klare Verantwortungs- und Führungsstrukturen statt endloses Feilschen um Parteiinteressen“ ein.
Stefan: „Mahnmale und Bußrituale“
Auch der steirische Nationalratsabgeordnete Wolfgang Zanger (Corps Vandalia) will am Nationalsozialismus „gute Seiten“ sehen: In der ORF-Sendung Report (7. 11. 2006) erklärte er: „Alle lechzten nach Beschäftigung, nach ein bisschen Hoffnung, und als dann der Führer gekommen ist, der dann angefangen hat mit verschiedenen Bauideen oder Straßenbau – die Autobahnen sind damals entstanden –, das hat den Leuten Hoffnung gegeben.“ Aus der relativierenden bis apologetischen Sichtweise des Nationalsozialismus oder von Elementen desselben folgt eine, angesichts des Selbstverständnisses der Zweiten Republik zwangsläufige Frontstellung von korporierten Freiheitlichen zu dieser Republik. In ihr, so der Wiener Nationalratsabgeordnete Harald Stefan (Burschenschaft Olympia), herrschten die „Ewiggestrigen [...] mit ihrem Dauerfeuer der Bedenkveranstaltungen, Mahnmalen und Bußritualen“. Die ablehnende Haltung gegenüber (neonazistischen) Holocaustleugnern und rechtsextremen Relativierungsversuchen lässt Stefan den Eindruck bekommen, durch „Aussagen [...], die nicht der offiziösen Geschichtsbetrachtung entsprechen“, werde „der ganze Staat in Frage gestellt. Und das Erstaunliche ist: Das ist tatsächlich so. Welch ein Armutszeugnis für das Staatswesen. Der Befreiungsmythos wird zur Grundlage unserer Republiken. Wankt diese völlig einseitige Geschichtsdarstellung, wankt das Fundament des Staatswesens. Bricht ein Mosaikstein heraus, funktioniert das System nicht mehr. Ja, das ist der Grund für die hysterischen Reaktionen auf alles, was zu einer differenzierten Betrachtung führt.“ (Schillerkommers in Wien, 11. 6. 2005)
Der „Kurier“ fragte am Vorabend des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus 2007 FPÖ-Nationalratsabgeordnete nach ihrer Sicht auf dieses Datum. Die Antworten fielen vielsagend aus: „Ich weiß nicht, ob es richtig ist, jedes Jahr Gedenkfeiern abzuhalten. Bald feiern wir jedes halbe Jahr“, lamentierte Alois Gradauer (pennale Verbindung Bajuwaria). Der oberösterreichische Abgeordnete verlangte einmal mehr einen „Schlussstrich“. Parteichef Strache forderte ein Gedenken an „alle Opfer aller Kriege“, womit er die Besonderheit des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen einebnete. Und der oberösterreichische Nationalratsabgeordnete Werner Neubauer (Schülerverbindung Gothia Meran, pennale Burschenschaft Teutonia, Linz) forderte 2009 ebenfalls, einen Schlussstrich unter die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit zu setzen, zumal sie durch Strafgesetze eingeschränkt sei: „Das Inferno des Jahres 1945 hat im ganzen deutschen Raum zu einer ständigen quälenden, ja lähmenden Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte geführt, wie sie in keinem anderen europäischen Land jemals erfolgt ist. Sie wird auch in keinem anderen europäischen Land mit jenem unvergleichlichen Masochismus stattfinden, der unsere Länder auszeichnet. 65 Jahre nach Kriegsende ist das Ende der Aufarbeitung des Faschismus nicht abzusehen, immer mehr Personen werden aus dem Licht ins Zwielicht gezerrt [...]. Weg von der Vergangenheitsbewältigung, weg von der Geschichtsdiskussion, die im Hinblick auf Strafgesetze und Zustände, wie sie zur Zeit der Demagogenverfolgung in Deutschland oder der Kommunistenverfolgung in den USA herrschten, nicht offen geführt wird.“
Nach dem erzwungenen Rückzug Mölzers von einem Richtungsstreit innerhalb der Partei zu sprechen, wäre jedenfalls verfrüht. Tatsächlich handelt es sich nicht um eine ideologische Ausdifferenzierung, sondern um eine bloße Frontbegradigung, die angesichts der kritischen Stimmen im journalistischen Boulevard notwendig erschien. Angesichts dieses Einknickens der Parteispitze wuchs der Ärger unter Burschenschaftern, jedoch haben sie sich mit offener Kritik zumindest bis nach den EU-Wahlen zurückgehalten. Denn auch Korporierte haben ein Interesse am Erstarken der FPÖ, das ihnen weitere Posten und Pfründe verschafft.
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