Kein Asyl ohne Schlepper
MIGRATIONSPOLITIK. Das europäische Asylsystem gleicht mittlerweile einem Schildbürgerstreich. Es existiert fast nur noch, weil es von FluchthelferInnen unterlaufen wird.
HANDLUNGSBEDARF | Kommentar: Alexander Pollak
Die Innenministerin ist gescheitert. Ende Oktober 2012 hielt Johanna Mikl-Leitner eine bemerkenswerte Rede im österreichischen Parlament. „Ich lasse es nicht zu, dass permanent das Thema Asyl mit Kriminalität in Verbindung gebracht wird“, so Mikl-Leitner unter dem Beifall der Regierungsfraktionen. Eineinhalb Jahre später sieht alles anders aus. Die Kriminalisierung hat ihren Höhepunkt erreicht. Sämtliche Flüchtlinge finden sich im Kriminal wieder, wie der Bericht zur „Organisierten Schlepperkriminalität 2013“ des Bundeskriminalamtes zeigt.
Der Jahresbericht kennt nur noch zwei Kategorien von Flüchtlingen: jene, die „rechtswidrig auf eigene Faust eingereist“ sind, und jene, die „rechtswidrig mit Hilfe von Schleppern eingereist“ sind. Besonders problematisch: Die Statistik der geschleppten Personen führt Menschen aus bekannten Kriegs- und Krisenregionen an: syrische Staatsangehörige (1.951), gefolgt von Personen aus der Russischen Föderation (1.661) und Menschen aus Afghanistan (1.632).
Das Asylsystem gleicht im Jahr 2014 einem Schildbürgerstreich: Wer in Europa Schutz finden will, kann nur innerhalb Europas einen Asylantrag stellen, darf aber nicht legal nach Europa reisen. Ein Durchkommen ist praktisch nur mit Unterstützung professioneller FluchthelferInnen möglich. Einzige Ausnahme: die von europäischen Regierungen zugesagten Kleinkontingente für syrische Flüchtlinge.
Alle anderen Flüchtlinge stehen einer massiven Grenzabwehr gegenüber. Rund um Länder wie Österreich wurde noch ein zweiter Festungswall errichtet: das Dublin-Abkommen. Nur wessen Fluchtroute nicht nachvollziehbar ist, kann in Österreich Asyl beantragen.
Kürzlich begründete ein anerkannter Flüchtling auf Ö1, warum er Fluchthilfe in Anspruch nehmen musste: „Der Grund, wieso ich weg musste, wieso ich diese gefährliche Reise machen musste, der Grund, wieso ich Schlepper und Mittelsmänner bezahlen musste, ist: Es hat einfach keine andere Möglichkeit gegeben, Schutz zu bekommen. Selbst wenn es mir gelungen wäre, in die Botschaft eines EU-Landes zu gelangen: Ich hätte dort keinen Schutz bekommen.“
Gäbe es keine FluchthelferInnen und würde niemand eine rechtswidrige Handlung setzen, wäre das Recht auf Asyl in Europa inzwischen weitgehend zum toten Recht verkommen. Prozesse gegen FluchthelferInnen, die Flüchtlinge nicht misshandelt, sondern ihnen einzig zur Ein- oder Weiterreise verholfen haben, stehen für die Doppelbödigkeit des Systems. Fluchthelferinnen droht selbst dann eine mehrjährige Gefängnisstrafe, wenn die Einreisenden nachweislich politisch verfolgt waren. Auch wer Verwandten oder Bekannten für minimale Aufwandsentschädigungen hilft, wird vom Schlepperparagrafen erfasst.
Eine umfassende Reform des als Kriminalisierungsinstrument wirkenden Paragrafen ist dringend vonnöten. Es braucht wieder legale Fluchtmöglichkeiten nach Europa. In den vergangenen Wochen wurden dazu zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen gestartet. Ein Weckruf an die österreichische und die europäische Politik.
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