Das ist Ihr Fatalismus!
DOSSIER. Wie gerecht ist Österreichs Steuersystem? Über Erbschaftssteuer, die Nöte der Realwirtschaft und das Primat der Politik liefern sich WIFO-Experte Stephan Schulmeister und Clemens Wallner von der Industriellenvereinigung eine hitzige Debatte.
Moderation: Thomas Seifert
Seifert: Herr Wallner, was halten Sie davon, eine Vermögenssteuer einzuführen, wenn im selben Ausmaß die Lohn- und Einkommensteuer gesenkt wird? Würde das die Mitglieder der Industriellenvereinigung nicht zufriedenstellen?
Wallner: Nein, denn erstens haben wir schon eine hohe Lohnsteuer und Abgabenquote in Österreich. Zweitens ist die Frage, was man als Vermögen bezeichnet. In der Volkswirtschaft gibt es keinen Faktor Vermögen. Da gibt es den Faktor Arbeit und den Faktor Kapital. Und bei beiden muss ich dafür sorgen, die Produktivkräfte zu wecken. Vermögen ist nichts anderes als das, was aus der Arbeit oder dem Kapital in besteuerter Form auf ein Konto kommt. Das noch einmal zu besteuern, würde einer Doppelbesteuerung entsprechen.
Seifert: Na ja, von meinem Gehalt muss ich ja auch Mehrwertsteuer bezahlen, und auch das, was ich von meinem Gehalt kaufe, wird besteuert. Da fragt mich ja auch niemand ...
Wallner: Ja eben, damit haben wir eigentlich eine Vierfachsteuer: Man würde die Vermögensentstehung besteuern, den Ertrag, dann noch einmal die Substanz und in der letzten Stufe den Konsum. Insofern finde ich die Debatte über die Vermögenssubstanzbesteuerung etwas unehrlich. Viel ehrlicher wäre es zu sagen: Gut, man möchte den Faktor Kapital stärker besteuern. Dann könnte man die KESt. (Kapitalertragsteuer, Anm.) von 25 auf 35 Prozent anheben. Das lehnen wir zwar ab, aber das wäre jedenfalls eine faire Debatte. Und ich ersuche auch, in der Debatte nicht zu vergessen, dass Vermögen in privaten Händen für eine Volkswirtschaft sehr dienlich ist: um den Staat zu finanzieren, wenn er Budgetdefizite machen muss, oder auch, um Unternehmensinvestitionen zu finanzieren. Sofern man – anders als etwa in Griechenland – nicht das Ausland dafür verwenden will.
Schulmeister: Dass man zwischen den Vermögensarten unterscheiden muss, da kann ich dem Herrn Wallner durchaus folgen – was das Realkapital betrifft. Das ist jenes Vermögen, das dem Produktionsprozess dient. Finanzkapital würde ich aber sehr anders einschätzen. Bei Adam Smith wird ganz klar unterschieden zwischen den Kapitalisten und den Rentiers. Die einen ziehen aus dem Sozialprodukt nur kraft des Besitzes etwas ab, die anderen kraft ihrer unternehmerischen Tätigkeit. Und wenn ich mich nicht ganz irre, dann ist die Haupttendenz für die Transformation unserer Marktwirtschaften in den letzten 40 Jahren eben genau diese gewesen, dass sich die Anreizbedingungen für Unternehmertum durch instabile Finanzmärkte ständig verschlechtert haben. Deshalb haben die Unternehmer selbst, insbesondere die großen, begonnen, nur wenige Kredite zwecks Realkapitalbildung aufzunehmen, und sind stattdessen auch auf die Finanzmärkte gegangen. Das ist klar ersichtlich an der sogenannten Geld-Vermögens-Rechnung, wo wir sehen, dass der Unternehmersektor überwiegend Finanzvermögen akkumuliert.
Wallner: Aber nicht in Österreich.
Schulmeister: Nein, aber in den großen Industrieländern.
Wallner: In manchen ...
Schulmeister: Nein, in allen großen: in Deutschland, Frankreich, England, den USA. Und an dieser Entwicklung muss das System zugrunde gehen. Wir befinden uns in einem Prozess der Selbstzerstörung, da mache ich mir keine Illusionen. Und da lasse ich mir von keinem Wirtschaftsforscher einen Aufschwung aufschwatzen, das ist eine Fata Morgana: Weil in einem System, in dem unternehmerische Tätigkeit im Vergleich zur Finanzalchemie auf allen Ebenen – auch auf der steuerlichen Ebene – so sehr benachteiligt wird, entsteht folgende Situation: Es wird immer mehr Finanzvermögen gebildet, das keine realwirtschaftliche Deckung hat. Die höchste Form davon sind die Staatsschulden. Das heißt, diejenigen, die jetzt Staatsanleihen haben, glauben, das ist Vermögen, also Finanzkapital. Aber die werden sich wundern. Und genau deshalb müssen unternehmerische Aktivitäten durch die Systembedingungen wieder viel stärker gefördert werden. Das setzt allerdings politisch voraus, dass die Unternehmervertreter begreifen, dass sie vor 40 Jahren, als sie schrittweise den Neoliberalismus als ihre Ideologie adoptiert haben, leider aufs falsche Pferd gesetzt haben: weil die neoliberale Ideologie immer im spezifischen Interesse des Finanzkapitals wirksam war, und nicht im Interesse des Unternehmertums. Die Stoßrichtung von Milton Friedman oder von Hayek war: „Weg mit der Regulierung der Finanzmärkte“ und „Weg mit dem System fester Wechselkurse“ und „Weg mit der Stabilisierung des Zinsniveaus unterhalb der Wachstumsrate durch die Geldpolitik“, sie war für die Liberalisierung aller Finanzmärkte. Jetzt fährt das System langsam, aber sicher an die Wand.
Wallner: Interessant, dass hier das Pickerl Neoliberalismus verwendet wird. Wenn man zurückschaut in die 40er Jahre, dann war man eher Richtung Ordoliberalismus orientiert, der eben keine zügellose, freie Marktwirtschaft wollte, sondern einen Staat, der die ganz großen Tugenden der Marktwirtschaft festigt, also Wettbewerb ermöglicht und Kartellbildungen verhindert. Und genau daraus ist der Neoliberalismus entstanden.
Schulmeister: Na, na ...
Wallner: Oh ja! Also der Neoliberalismus ist nicht automatisch schlecht. Aber Sie haben recht: Wenn ich Staatsanleihen kaufe, bin ich nicht sicher, was ich einmal dafür bekomme. Und bei Aktien bin ich noch weniger sicher. Das ist etwas, was die Finanzmärkte kennzeichnet. Dann frage ich mich aber schon, warum dann eine Steuer auf eine Substanz eingehoben wird, die man kaum bewerten kann? Die Finanzmärkte sind extrem volatil, für eine Aktie, die ich besitze, bezahle ich heuer möglicherweise Steuer, und das nächste Jahr ist sie viel weniger wert. Dasselbe gilt auch bei Immobilien. Wenn die keinen Ertrag abwerfen, brauche ich Cash, um mir das leisten zu können. Deshalb möchte ich bei den Erträgen ansetzen. Erst wenn aus diesen Vermögen ein Ertrag erwirtschaftet wird, kann der Staat zugreifen. Das tut er heute ohnehin schon, wir haben fast acht Milliarden Euro an vermögensbezogenen Steuern in Österreich, von der Versicherungsteuer bis zur Bankenabgabe, die eine reine Substanzsteuer ist, von den Kapitalertragsteuern bis zu Grunderwerbsteuern. Wozu also auch noch die Besteuerung der Vermögenssubstanz?
Schulmeister: Also die Unternehmer würden sich einen großen Gefallen tun, wenn sie einer bescheidenen Vermögenssteuer von sagen wir 0,5 Prozent mit einem hohen Freibetrag und unter Ausschluss des unternehmerischen Vermögens zustimmen. Das würde der Wirtschaft und den Unternehmern etwas bringen und helfen, den Karren nicht noch tiefer in den Dreck zu manövrieren.
Seifert: Haben wir in Österreich nicht ein Missverhältnis bei Taxes on Property? Laut OECD-Daten sind diese mit 0,6 Prozent sehr gering im Vergleich zu viel liberaleren Staaten wie den USA oder Großbritannien. Was tun wir also, wenn es sich nicht mehr lohnt, in Realkapital zu investieren, weil hier die steuerliche Belastung viel höher ist und viel zu gering auf Vermögen? Denn wenn jemand 50 Hektar Grund und drei Villen am Fuschlsee hat, dann garantiere ich Ihnen, dass er ein hohes Einkommen haben wird. Das heißt, ich treffe den Richtigen.
Wallner: Also ich wage zu bezweifeln, dass es da viele gibt. Es gibt genügend Landwirte, die wenig Einkommen, aber ein riesiges Vermögen haben, bis hin zu Adeligen, die ein Schloss zu bewirtschaften haben, denen aber das Geld dafür fehlt. Der springende Punkt für uns ist aber, dass Vermögen auch eine Produktivkraft ist. Es geht darum, Anreize zu setzen. Wenn Sie sagen, die Property Tax ist in anderen Staaten so hoch, dann müssen Sie sehen, dass es sich dabei zu 80 Prozent um Grundvermögen handelt. Das kann man natürlich besteuern, aber warum auch das Finanzvermögen? Wir haben in Österreich ja nicht das Problem, dass wir ein zu hohes Finanzvermögen haben. Wir haben ein Netto-Finanzvermögen, das knapp über 100 Prozent des BIP liegt, da sind wir weit hinter anderen Staaten. Wir haben auch ein sehr geringes Immobilienvermögen und wir haben eine Eigentümerquote bei Immobilien in Österreich, die unter 50 Prozent liegt. Das gibt es nur in Deutschland und in Österreich, weil wir in Österreich eben einen sehr starken Sozialstaat haben. Da brauche ich mir wenig private Altersversicherung aufbauen, wenig für meine Gesundheit oder Bildung ansparen. Dafür brauche ich in anderen Staaten viel Privatvermögen. Ich bin ein Befürworter des Sozialstaates, die Frage ist nur, wie er auch effizient sein kann.
Seifert: Jetzt bewegen wir uns etwas vom Thema weg, aber Sie verlangen, dass die Ausgaben zurückgefahren werden, sind aber gegen Vermögenssteuern? Man muss doch auch die Tax Balance verändern.
Wallner: Für uns sind das kommunizierende Gefäße. Wenn ich mir ein Vermögen aufgebaut habe, dann stammt das doch irgendwo aus einem Ertrag ...
Schulmeister: Na gut, also die Grundempfehlungen der Industriellenvereinigung bestehen darin, dass der Staat seine Aktivitäten zurückfahren soll, dass er effizient ist ...
Wallner: Nein!
Schulmeister: Aber die Staatsquote wollen Sie schon senken, oder nicht?
Wallner: Wir wollen die Staatsquote senken und auch Effizienz bei gleichen staatlichen Leistungen ...
Schulmeister: Ja ja, das ist ein Teil jener Therapie, die von der Europäischen Union vor 20 Jahren in ein Regelwerk gegossen wurde: mit den Maastricht-Kriterien. Dahinter steckt die Vorstellung, dass im Zweifelsfall die freien Märkte den Einsatz der Produktionsfaktoren besser regeln als das System Politik. Das bedeutet nichts anderes als die Entmündigung des Systems Politik und, wie das Hayek auch ehrlich ausgesprochen hat, eine Unvereinbarkeit mit der Demokratie. Das Problem ist, dass bei der Steuerung ökonomischer Prozesse letztlich nur ein System das letzte Sagen hat. Früher hat man vom Primat der Politik, dem Primat der Demokratie gesprochen. Die Grundidee der Neoliberalen ist natürlich, dass der freie Markt es besser macht. Diese Vorstellung wird aber durch das, was auf den freien Märkten passiert, empirisch auf geradezu groteske Weise desavouiert. Hier werden systematisch falsche Preise gebildet, die Aktienkurse verdreifachen bis vervierfachen sich in einer Zeit, in der die Realwirtschaft Europas in der schwersten Krise seit den 30er Jahren steckt. Das ist durch kein Modell der Welt rationalisierbar. Aber die herrschende Wirtschaftstheorie tut immer noch so, als seien das nur Unfälle. Irgendeinmal sollte man aber doch die Schlussfolgerung aus der Empirie ziehen, dass Rohstoffpreise, Aktienkurse, Wechselkurse, Zinssätze manisch-depressiven Schwankungen unterliegen und Unternehmertum systematisch beschädigen. Aber immer noch glaubt man, dass man aus Geld mehr Geld machen kann, das ist ein Irrtum. Das versuche ich der Industriellenvereinigung und der Wirtschaftskammer seit 20 Jahren zu erklären.
Seifert: Warum hört man nicht auf Sie?
Schulmeister: Weil man irrigen Modellen folgt. Man hat sich jenen Ideologien zugewandt, die sagen, der Sozialstaat und die Gewerkschaften sind letztlich das Übel. Man verfolgt eine irrationale Sparpolitik, anstatt die Wirklichkeit zu beobachten: Denn die Staatsverschuldung ist ja exakt in den Staaten am stärksten gestiegen, die am meisten gespart haben. Nehmen Sie Deutschland, dort hat man zum Teil sogar die Sozialausgaben erhöht und eine vergleichsweise gute Entwicklung erlebt. Oder die USA, wo man erkannt hat, dass es Blödsinn ist, in der jetzigen Situation zu sparen. Die Amerikaner haben das Arbeitslosengeld massiv erhöht, während man es in Europa kürzt. Die USA haben nicht nur die Zinsen massiv gesenkt, sondern auch eine expansive Fiskalpolitik betrieben, der Staat hat also zweieinhalb Jahre lang Konjunkturprogramme gefahren und so die öffentliche Beschäftigung angekurbelt. Damit konnte man auf die massive Verunsicherung der privaten Haushalte und der Unternehmen reagieren und die Gefahr einer wirtschaftlichen Depression abwenden, während Europa in einer Depression verharrt. Mit Erfolg: Laut jüngsten Prognosen der Europäischen Kommission werden wir im Jahr 2015 das Niveau von 2008 erreichen – da liegen die USA dann schon um 12 Prozent darüber.
Wallner: Aber die Zurückhaltung bei den Investitionen rührt ja nicht daher, dass die Konjunktur im Abschwung ist, sondern weil die Unternehmen kein Vertrauen mehr in die Politik haben. Die Politik in Österreich setzt Maßnahmen, die nicht langfristig angedacht werden. Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren bei ihren Sparpaketen mehrfach angekündigt, dass sie 70 Prozent ausgabenseitig konsolidieren will und 30 Prozent durch Einnahmen. Heute ist genau das Gegenteil der Fall. Wir können bei den Staatsausgaben bei mindestens 4 Prozent des BIP effizienter sein. Brauchen wir weiterhin vier Wetterdienste, neun Statistikämter, müssen wir weiterhin die Lohnverrechnung ...?
Schulmeister: ... aber die Annahme, dass ein Budget durch Einsparung konsolidiert werden kann, ist einfach falsch.
Wallner: Schauen Sie sich doch an, was die IWF-Studien dazu sagen.
Schulmeister: Der IWF sagt doch gerade etwas anderes ... Was Sie bei Ihren ausgabenseitigen Konsolidierungen immer vergessen, ist, dass diese Maßnahmen Kettenreaktionen nach sich ziehen. Ein Gedankenexperiment im Sinn Ihrer Forderungen: Nehmen wir an, wir erhielten die gleiche Qualität der öffentlichen Dienstleistung mit 10 Prozent weniger Beamten. 50.000 Beamte werden ab 1. Jänner arbeitslos. Daraus resultiert ein massiver Einbruch des privaten Konsums, und – das werden Sie mir zugestehen – dieser massive Einbruch wird in der jetzigen Situation den Pessimismus der Unternehmer und ihre Abneigung, zu investieren, weiter verstärken. Das führt zu einer weiteren Dämpfung der Wirtschaft, wodurch wiederum die Arbeitslosigkeit steigt. Was ich hier rekapituliere, sind die einfachen Einsichten aus den Jahren 1929 bis 1933, in jedem Lehrbuch unter dem Begriff Sparparadox nachzulesen.
Wallner: Aber wir würden doch nicht von einem Jahr auf das andere 50.000 Beamte entlassen. Und jetzt wollten Sie ein konkretes Beispiel durchgehen und gehen wieder in die Theorie.
Seifert: Darf ich auch ein Laborbeispiel bringen: Wir haben zweimal drei Millionen Euro am Tisch: einmal das Erbe meiner Oma auf dem Sparbuch. Auf den Gewinn zahl ich brav 25 Prozent Kapitalertragsteuer, das Geld gehört – ganz ohne Erbschaftsteuer – mir. Mit den anderen drei Millionen versuche ich, ein Unternehmen zu gründen, Arbeitsplätze zu schaffen und zahle dafür eine Latte an Abgaben für meine Mitarbeiter usw. Ist das nicht problematisch? Für das Geld der Oma habe ich nichts geleistet, im Fall der Firmengründung sehr wohl.
Wallner: Wenn Sie die Erbschaftsteuer ansprechen, da gibt es offenbar einen Vater, eine Mutter, die der nächsten Generation etwas zugute kommen lassen will. Sie haben sich in Konsumverzicht geübt, möchten, dass das Kind etwas bekommt. Wenn ich das besteuere, dann habe ich denselben Effekt wie bei vermögensbezogenen Steuern: Dann wird jemand eben weniger ansparen und mehr konsumieren.
Schulmeister: Das wäre ja gut!
Wallner: Ja natürlich, das ist das Heilmittel des Herrn Schulmeister, dass man sich über den Konsum rettet. Aber sicher, wenn jemand sagt, es ist mir völlig egal, was meine Nachkommen erben, wenn ich sterbe, dann wäre das Erbe leistungslos. Das sind aber die wenigsten Fälle. Unser Standpunkt ist schon, dass eine Erbschaftsteuer der Erblasser und nicht der Erbe zahlt. Ein Beispiel: Die Ehefrau arbeitet beim Mann, einem Alleinverdiener. Die Frau arbeitet für den Haushalt, für das Erwerbseinkommen des Mannes. Und wenn er ihr dann etwas schenkt oder erbt, soll sie das versteuern? Also das wäre nicht gerecht, das ist ja eine reine Transaktion ohne Wertschöpfung.
Seifert: Herr Schulmeister, halten Sie eine Erbschaftsteuer für sinnvoll?
Schulmeister: Absolut, es geht darum, die Dynamik in einem System zu erhalten, und ein System wird immer weniger dynamisch, je geringer der soziale Turnover ist. Wenn es keine Erbschaftssteuer gibt, leidet die soziale Mobilität darunter. Aber ich verstehe natürlich, dass der Ökonom der Industriellenvereinigung argumentiert, dass man die Vermögenden nicht zusätzlich belasten muss.
Seifert: Der Unternehmer Attila Dogudan meinte, zur Erbschaftssteuer befragt, das Argument, Ererbtes wurde bereits einmal besteuert, gilt nicht. Das sei ja auch bei der Mehrwertsteuer so. Er findet eine angemessene Erbschaftssteuer in Stufen ab einer Million Euro okay. Können Sie das nachvollziehen?
Wallner: Das kann ich nicht nachvollziehen, weil wir dann, wie schon ausgeführt, eine Doppel- und Dreifachbesteuerung hätten. Und kurz zur Mehrwertsteuer: Die zahle ich, um einen Gegenwert für die Vorleistungen vom Staat zu bekommen. Das ist ja völlig legitim, damit habe ich auch eine Konsummöglichkeit, die Vorsteuer betrifft ja nicht nur die nötige Infrastruktur, die Rechtssicherheit, Transportwege etc. Was aber wird mir bei der Erbschaftssteuer abgegolten?
Seifert: Aber je mehr jemand an einem Wirtschaftssystem partizipieren kann, umso höher sind seine Chancen, reich zu werden. Dafür sollte es auch eine gewisse Dankbarkeit geben. Glauben Sie, dass die Lastenverteilung in Österreich okay ist? Budgetkonsolidierung durch Einsparung?
Schulmeister: Das widerspricht der Empirie.
Wallner: Ja, die Grundverteilung ist absolut okay, weil die Umverteilung ja nicht nur im Steuersystem stattfindet, sondern auch über die Staatsausgaben.
Schulmeister: Also im Steuersystem findet sie in Österreich nicht statt ...
Wallner: Schauen Sie sich doch die WIFO-Studie an: Im untersten Dezil aller Steuerpflichtigen haben Sie 27 Prozent Steuerbelastung, im obersten Dezil aber fast 40 Prozent am Einkommen. Das heißt, dass wir sehr wohl allein im Steuersystem eine Progression haben.
Seifert: Aber in den goldenen Jahren, von denen Herr Schulmeister gesprochen hat, war die Steuerleistung in den USA in den obersten Dezilen fast 90 Prozent.
Wallner: In Österreich findet die große Umverteilung eben erst durch das Transfersystem statt. In Form von Staatsausgaben die nach der Steuerleistung an die Haushalte verteilt werden. Wir haben in Österreich schon jetzt die höchste Umverteilung weltweit, das können Sie an vielen Indikatoren vergleichen.
Schulmeister: Also die neueste Studie der EZB sagt, dass es mittlerweile nahezu kein Land in Europa gibt, wo die Vermögen so ungleich verteilt sind wie in Österreich.
Wallner: Nein, die Vermögen sind doch gar nicht so hoch, wie Sie vorgeben. Also wenn Sie die Pensionsanwartschaften hinein rechnen und die Betriebs- und die Unternehmensbeteiligung rauslassen, dann ergibt das eine wesentlich geringere Konzentration. Aber dass die Vermögenskonzentration zugenommen haben soll, wer sagt das?
Schulmeister: Wollen Sie im Ernst behaupten, dass seit den 1960er Jahren die Vermögensverteilung nicht ungleicher geworden ist? Dann sind Sie anderer Meinung als 90 Prozent der empirischen Literatur. Zugleich erleben wir in Österreich und in der Europäischen Union die höchste Arbeitslosigkeit seit den 1930er Jahren. Die Lebens- und Entfaltungschancen junger Menschen sind heute schlechter als vor 40 Jahren, das kann doch niemand leugnen. Das alles hat auch mit einer mangelnden sozialen Umverteilung zu tun. Ich habe Kinder, ich weiß wie schwer es ist, heute für junge Leute etwas anderes als einen prekären Job zu bekommen.
Wallner: Na gut, das ist Ihr Fatalismus. Ich sehe das anders.
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