Verwertbarkeit als Maxime
INTEGRATIONSPOLITIK: Österreichs Integrationspolitik bewegt sich in einem engen Rahmen. Die Bedürfnisse der betroffenen Menschen hat sie vielfach nicht im Blick.
HANDLUNGSBEDARF | Kommentar: Alexander Pollak
Geht es nach Integrationsminister Kurz, dann wurde in den vergangenen Jahren „ein Integrationsturbo gezündet“. Auch der Vorsitzende des von Kurz bestellten Expertenrats für Integration spricht davon, dass die Integrationspolitik in Österreich „Tritt gefasst“ habe. Unabhängige BeobachterInnen sehen das anders. In einer internationalen Studie der Bertelsmann-Stiftung landet Österreich, was die Rahmenbedingungen für MigrantInnen betrifft, nur auf Platz 32 von 41 Ländern.
Ein Grund für die große Diskrepanz zwischen positiver Selbst- und deutlich kritischerer Außenwahrnehmung liegt wohl im Begriff „Integration“ selbst. Dieser lässt sich mit vielerlei Bedeutungen aufladen. Er kann für Chancen, Rechte, Perspektiven, Beteiligungsmöglichkeiten oder auch für Kontrolle, Unterordnung, Selbstaufgabebereitschaft und Verwertbarkeit stehen.
Ein Blick in den Integrationsbericht 2014 gibt Auskunft über die Bedeutung von „Integration“ in Österreich. Perspektiven für alle hier ankommenden Menschen zu schaffen, ist offenbar kein Ziel der Integrationspolitik. Gerade jene Gruppe, die am meisten Unterstützungsbedarf hätte, wird im Integrationsbericht nicht einmal erwähnt: Asylsuchende. Ihnen Bildung, Qualifikation und Arbeitssuche zu ermöglichen, wird nicht angestrebt. Zugehörigkeit und demokratische Beteiligung sind ebenfalls keine prioritären Integrationsziele. Dass viele hier geborene Kinder vom Staat als „Fremde“ angesehen werden, die erst die Staatsbürgerschaft erwerben und den Beweis erbringen müssen, dass sie gleichwertige BürgerInnen sein können, stört den Expertenrat nicht. Auch dass immer mehr hier lebende Menschen von den Wahlen ausgeschlossen sind, wird im Integrationsbericht nicht thematisiert. Auch das Wort „Doppelstaatsbürgerschaft“ kennt der Bericht nicht.
Der ökonomische und politische Nutzen von MigrantInnen
Dominiert wird der Bericht von einem anderen Wort: Deutsch. Dem (wichtigen) Erlernen von Deutsch wird eine Dimension verliehen, die andere Fragen – etwa jene nach der sozialen Durchlässigkeit im Bildungsbereich – aus dem Blickfeld drängt. Die schulische Frühselektion von Kindern im Alter von zehn Jahren wird nicht als Problem benannt. Schulmodelle für neu ankommende Jugendliche zu entwickeln, die beides ermöglichen – rasch Deutsch zu lernen und in einen regulären Klassenverband eingebunden zu sein –, hat keine Priorität, ebenso wenig Maßnahmen im Bereich der Mehrsprachigkeit.
Vieles deutet darauf hin, dass die österreichische Integrationspolitik nicht Chancen, Rechte oder Perspektiven als Leitmotiv hat, sondern nur auf eine doppelte Verwertbarkeit abstellt: die ökonomische Verwertbarkeit von MigrantInnen und die politische Verwertbarkeit der Integrationspolitik in einem von Nationalismus, Mono-Identitätsdenken und auch Rassismus geprägten Umfeld.
Diese Verwertbarkeitslogik lässt Raum für einige Themen, wie etwa die Anerkennung im Ausland erworbener Abschlüsse, die Anpassung der Rot-Weiß-Rot-Karte an reale Erfordernisse oder eben den Erwerb der deutschen Sprache. Andere wichtige Problembereiche und Bedürfnisse bleiben außerhalb des Radars oder werden gar konterkariert.
Ein Ausbruch aus diesem engen Rahmen ist notwendig. Im Herbst wird der von SOS Mitmensch gegründete Alternative ExpertInnenrat seinen neuen Maßnahmenkatalog für eine umfassende Migrations-, Integrations- und Gleichstellungspolitik präsentieren.
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