MO Editorial
Liebe Leserin
Lieber Leser
Ob der Rücktritt Michael Spindeleggers, der wenige Stunden vor Drucklegung von MO alle Ämter abgab, etwas am Patt in der Steuerreform ändert, bleibt abzuwarten. Fakt ist, dass Österreich eine nie dagewesene Ungleichheit von Eigentum erlebt. Die Universität Linz hat berechnet, dass das Vermögen österreichischer Haushalte extrem konzentriert ist. Der Studie zufolge besitzt ein Prozent der Bevölkerung mehr als ein Drittel (38 Prozent) des gesamten Privatvermögens. Dass diese Entwicklung kein Zufall ist, sondern ein strukturelles Phänomen, hat übrigens auch Star-Ökonom Thomas Piketty in seiner Publikation „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ (Rezension in dieser Ausgabe) erstmals empirisch belegt. Die ÖVP hat sich bislang aber trotz drohender sozialer Verwerfungen erfolgreich gegen eine Reichensteuer verwehrt. Und dem Koalitionspartner SPÖ scheint es bislang nicht gelungen zu sein, eine Mehrheit der Bevölkerung von der Notwendigkeit einer Vermögenssteuer zu überzeugen. Viele Menschen fürchten offenbar, sie könnten mit ein paar Tausendern am Konto selbst zur Kasse gebeten werden. Die Superreichen und Konzerne dürfen sich über diese Form der Klientelpolitik freuen. Wie verhärtet die Fronten zwischen den Regierungspartnern sind, zeigt sich auch im Streitgespräch dieser Ausgabe, bei dem Clemens Wallner (IV) und Stephan Schulmeister (WIFO) ihre Argumente darlegen. Der inhaltliche Durchbruch ist bei dieser MO-Runde zwar nicht gelungen, das Gespräch macht aber auf eindrückliche Weise sichtbar, welche Philosophie sich hinter den jeweiligen Positionen verbirgt. Die Stärkung der Realwirtschaft versus des Finanzkapitals und der Abbau staatlicher Leistungen vs. der Vorzüge eines starken Sozialstaates sind dabei nur zwei Positionen, die die Großkoalitionäre voneinander trennt. Die Kosten für den Reformstillstand zahlt die Mehrheit, das steht bereits jetzt fest.
Spannende Momente wünscht
Gunnar Landsgesell
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