Blame the victim!
RUBRIKEN. Was ich den Folterpolizisten gerne sagen würde.
CLARTEXT | Clara Akinyosoye sagt es nicht durch die Blume. Eine Kolumne über Diversität und Migration.
Es kommt selten vor, dass ich den Fernseher anschreie. Vor ein paar Wochen, da musste es aber sein. Denn in einem Fernsehbeitrag vom ORF klagten zwei Männer den ZuschauerInnen ihr Leid. Sie sprachen davon, welche Tortur die vergangenen Jahre für sie gewesen sei, dass sie und ihre Familien emotional und finanziell gelitten hätten. Sie wünschten sich Frieden, wollten sich endlich rehabilitieren. „Es geht mit dieser Schadenssumme an die wirtschaftliche Existenz“, sagte einer von ihnen. „Dann hättest du vielleicht nicht einen Menschen foltern sollen“, hab ich gesagt. Gern hätte ich die ehemaligen Polizisten, die Bakary J. 2006 in einer Lagerhalle gefoltert haben, wissen lassen, was ich über sie denke. Das hätte dann in etwa so geklungen:
„Ihr habt einen wehrlosen Menschen bedroht, erniedrigt, gefoltert, geschlagen, getreten. Ihr habt ihn mit dem Auto angefahren, ihm seine Würde und sein Leben nehmen wollen. Ihr, die ihr Polizisten wart, da um uns zu schützen. Uns, das sind alle Menschen in diesem Land. Nicht nur die Weißen und nicht nur die ÖsterreicherInnen. Ihr habt fast getötet – einen Mann, der in eurer Obhut gewesen ist. Und dieser Mann leidet heute noch und er wird wahrscheinlich immer darunter leiden, was ihr ihm angetan habt. Aber jetzt fallt ihr erneut über ihn her. Wie Vergewaltiger, die ihr Opfer wieder und wieder missbrauchen, indem sie sagen: Ich war’s nicht. Sie wollte es. Es war einvernehmlich. Sie lügt. Sie hat mich so angemacht in ihrem Minirock. Ich, ich, ich kann nichts dafür. Blame the victim, sagt man dazu. Ihr verlangt, dass wir das Opfer hängen. Denn jeder hat Schuld, nur ihr nicht. Jetzt wollt ihr es plötzlich wieder nicht gewesen sein. Bakary J. hat sich die Verletzungen selbst zugefügt? Das BM.I. hat euch zu der Aussage genötigt, euch reingelegt, euch im Stich gelassen? Geriert euch bitte nicht als Opfer. Zeigt eure Gesichter nicht im Fernsehen, stoppt eure Verleumdungen, bemitleidet euch, aber tut das still. Ihr seid Täter und ihr wisst das. Wir wissen es auch. Viele Menschen hätten euch gern im Gefängnis gesehen. Es sind Menschen, die erschüttert sind, verstört und angewidert. Von euch. Doch ihr habt es euch gut gerichtet. Das schmerzt, wem Menschenrechte heilig sind. Und es beschädigt das Vertrauen in das österreichische Rechtssystem. Es schwächt den Glauben an Gerechtigkeit. Natürlich hättet ihr gern euer Leben zurück. Aber Bakary J. bekommt sein Leben auch nicht zurück, seine Unbeschwertheit und seine Unversehrtheit. Kein bisschen Reue habt ihr gezeigt. So werdet ihr euch nicht rehabilitieren. So werdet ihr immer die Folterpolizisten bleiben und die Schande dieser Republik.“
Clara Akinyosoye, freie Journalistin und Ex-Chefredakteurin von M-Media.
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