Aus den Augen
RUBRIKEN. Was spricht eigentlich dagegen, europäische Asylverfahren in Nordafrika durchzuführen?
SONDERECKE | um die ecke gedacht mit Philipp Sonderegger
Die Zahl der Ertrunkenen im Mittelmeer steigt und damit bekommt auch der Vorschlag neuen Auftrieb, Flüchtlinge näher an den Krisengebieten zu halten. Europäische Asylverfahren sollen in der Krisenregion oder in Lagern im Norden Afrikas durchgeführt werden. Gegenwärtig sind die europäischen Institutionen nicht bereit, den menschenrechtlichen Preis für so ein Modell zu bezahlen. Außerdem fehlt mit Libyen beim wichtigsten Transitland ein staatliches Gegenüber, um überhaupt Verhandlungen aufzunehmen. Allerdings könnte sich die Lage rasch ändern. Asyl-VerteidigerInnen sollten sich daher nicht auf die mangelnde Umsetzbarkeit des Konzepts verlassen und deshalb die gravierenden Konsequenzen solcher Konzepte öffentlich diskutieren.
Was würde sich ändern, wenn Europa seine Asylverfahren auf fremdem Territorium durchführen lassen würde? Nun, die Rechtsposition der Asylsuchenden würde sich massiv verschlechtern. In Europa gilt neben der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) auch die Europäische Menschenrechtskonvention. Das bietet Flüchtlingen einen relativ weitreichenden Schutz gegen die Abschiebung in Krisengebiete. Dagegen sind viele Staaten, die für solche Zentren in Frage kämen, nicht einmal der GFK beigetreten. Dazu kommt: In Europa werden Flüchtlinge nicht generell eingesperrt, sondern – schlimm genug – nur unter bestimmten Voraussetzungen. Kaum vorstellbar, dass nordafrikanische Staaten auf die Internierung der Asylsuchenden verzichten würden – um sie auch wieder loswerden zu können. Neben den rechtlichen Standards würde sich mit Sicherheit auch die Qualität der sozialen Versorgung verschlechtern. Von mitteleuropäischen Staaten muss man für Schutzsuchende dieselben Standards medizinischer und sozialer Betreuung einfordern, wie sie uns allen zu gute kommen. Aber lässt sich dieser Anspruch noch aufrecht erhalten, wenn Schwellenländer die Abwicklung vor Ort übernehmen und deren Regierungen für Flüchtlinge einen höheren Standard bieten müssten, als für Teile der eigenen Bevölkerung? Nicht unwesentlich wäre auch der drohende Verlust zivilgesellschaftlicher Unterstützung bei der Betreuung; von nachbarschaftlicher Hilfe bis zur spendenfinanzierte Betreuung durch große Wohlfahrtseinrichtungen. Die sinkenden rechtlichen und sozialen Standards gingen überdies mit einem demokratiepolitischen Problem einher: der erschwerten parlamentarischen, zivilgesellschaftlichen und medialen Kontrolle dieser sensiblen staatlichen Aufgabe. Wahrscheinlich könnten sich nur noch internationale Player das Hinschauen leisten. Nationale NGOs, Zeitungen und ParlamentarierInnen haben dazu nicht die Mittel.
Flüchtlinge sind auch lebendige Kunde von Menschenrechtsverletzungen, für die Europa Verantwortung trägt. Wir sollten sicher gehen, dass uns diese Botschaft weiterhin nahe kommen kann.
Philipp Sonderegger ist Menschenrechtler, lebt in Wien und bloggt auf phsblog.at.
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