Das Camp der Arbeitslosen
DOSSIER. Wer in Österreich Fußballprofi werden will, sollte sich das gut überlegen. Denn die Verdienst- und Karrieremöglichkeiten sind nicht rosig, und Arbeitslosigkeit wird auch unter Kickern ein immer größeres Thema. Die Spielergewerkschaft VdF hat deshalb im Sommer erstmals ein Trainingslager für vereinslose Kicker organisiert.
Text: Reinhard Krennhuber
Steinbrunn im Burgenland, Anfang Juli: Während die WM in Brasilien in die entscheidende Phase tritt, trainiert auf den Rasenplätzen des VIVA Sportzentrums eine ganz andere Fußballmannschaft. Die Bedingungen sind professionell, die Gesichter der schwitzenden Kicker bekannt. Doch Michael Gspurnig, Peter Hlinka, Cem Atan, Hans-Peter Berger und ihre Trainingskollegen bereiten sich auf eine Saison mit ungewissen Vorzeichen vor. Was sie verbindet, ist, dass sie arbeitslos sind, und der Wille, daran etwas zu ändern. Die Teilnahme am Camp der Spielergewerkschaft VdF (Vereinigung der Fußballer) für vertragslose Fußballer soll diesen Weg beschleunigen.
Vom FC AMS in die Erste Liga
Insgesamt 23 Spieler haben im Juli und August an dem Trainingslager teilgenommen, das die Vereinigung der Fußballer mit Mitteln des Arbeitsmarktservice heuer zum ersten Mal organisiert hat. Unter Leitung des ehemaligen ÖFB- und Bundesligatrainers Paul Gludovatz standen in drei zweiwöchigen Blocks sportmedizinische Tests, zwei Trainingseinheiten pro Tag, Testspiele und Karriereberatung auf dem Programm. „Unser Ziel war es, dass die Spieler nahtlos in den Mannschaftsbetrieb einer Profimannschaft wechseln können“, sagt Gludovatz – und dieses Vorhaben ist durchaus geglückt.
Profitiert von der Saisonvorbereitung unter der burgenländischen Sommersonne haben unter anderem Mirnel Sadovic (30 Jahre), Lukas Mössner (30) und Christian Haselberger (25) – alle drei wurden vom Wiener Zweitligaaufsteiger FAC unter Vertrag genommen, wo sie in der Herbstsaison zu Stammspielern avancierten. Für Sadovic war es keine Überwindung, sich für das Camp anzumelden. „Ich habe die Idee von Anfang an super gefunden, weil sich jeder aus unterschiedlichen Gründen einmal beim AMS wiederfinden kann“, sagt der offensive Mittelfeldspieler. Gerade das Training im Team sei für ihn und die anderen Teilnehmer extrem wichtig gewesen. „Die Bewegungsabläufe und die Übungen mit dem Ball kannst du alleine nicht sinnvoll trainieren“, sagt Sadovic, für den die Stimmung im Camp fern jeglichen Lagerkollers war. „Der Schmäh ist vielleicht sogar ein bisserl mehr gerannt, weil es nicht um Punkte und Prämien gegangen ist.“
Erfolgsquoten und Wermutstropfen
Für die Organisatoren war die Ausgangslage nicht gerade einfach. „Einen Haufen Kicker, die alle um einen neuen Vertrag buhlen, musst du erst einmal bei Laune halten“, sagt Projektleiter Oliver Prudlo. Der ehemalige Bundesliga-Profi kann jedoch auf eine respektable Vermittlungsquote der Camp-Teilnehmer verweisen. „Von 23 haben 11 den Sprung zurück in den Profifußball geschafft. Weitere Spieler haben im Amateurbereich neue Vereine gefunden“, erklärt Prudlo. Und auch die Bilanz seines sportlichen Leiters fällt positiv aus. O-Ton Gludowatz: „Die Burschen haben gehackelt wie die Wilden. Am Nachbarplatz hat die Mannschaft von Wiener Neustadt trainiert. Ich habe da keine Unterschiede feststellen können, was die Intensität und Qualität des Trainings betrifft.“
Allerdings gab es auch Wermutstropfen bei dem Pilotprojekt, für das sich die Organisatoren Anleihen aus Deutschland holten. Dort veranstaltet die Spielergewerkschaft seit mehr als zehn Jahren erfolgreich ein ähnliches Trainingslager. Einige der Camp-Teilnehmer fanden keinen neuen Arbeitgeber, darunter so prominente Namen wie der ehemalige ÖFB-Internationale Cem Atan oder Peter Hlinka, der auf über 300 Spiele in der höchsten österreichischen Spielklasse zurückblickt. „Wenn ich sehe, wie gut die beiden physisch beisammen sind, sagt das einiges über die Situation im österreichischen Fußball aus“, meint Gludovatz. Und auch für VdFProjektleiter Prudlo ist es erstaunlich, wie viele Klassefußballer mit beachtlichen Karrieren keinen Job mehr finden. „Es macht mich nachdenklich, dass scheinbar oft nicht mehr der Bessere, sondern der Jüngere oder Billigere einen Vertrag bekommt.“
Spitzengagen ade
Die Bedingungen, die Prudlo und Gludovatz kritisieren, lassen sich vor allem auf zwei Entwicklungen herunterbrechen, die den österreichischen Fußball seit geraumer Zeit kennzeichnen: gestiegenen Konkurrenzkampf und sinkendes Lohnniveau. Sollte es Zeiten gegeben haben, in denen in der heimischen Bundesliga Milch und Honig geflossen sind, sind sie heute definitiv vorbei. Laut einer im Oktober veröffentlichten Umfrage der Spielervereinigung unter mehr als 400 Profis verdient selbst in der höchsten Liga die Hälfte der Kicker inklusive Prämien nicht mehr als 75.000 Euro brutto pro Jahr, ein knappes Viertel muss mit weniger als 30.000 Euro das Auslangen finden. Noch um einiges schlechter ist die Situation eine Stufe darunter, wo fast zwei Drittel unter einem Jahreseinkommen von 30.000 Euro bleiben. Nicht mehr viel mit dem Bild des glamourösen Fußballerlebens hat die Erste Liga zu tun: Dort schrammen zahlreiche Spieler nur knapp am gesetzlich garantierten Kollektivvertragslohn von 1.100 Euro brutto pro Monat vorbei. Dieser wurde erst 2008 auf Initiative der Vereinigung der Fußballer eingeführt. Hinzu kommt, dass Österreich laut einer Studie von Ernest & Young eines der wenigen westeuropäischen Länder ist, in denen es kein Pensionsvorsorgemodell für Fußballprofis gibt.
Doch warum tun sich Fußballer das überhaupt noch an? „Man könnte angesichts dieser Zahlen natürlich sagen, dass es gescheiter wäre, beim Billa als Kassier zu arbeiten“, meint Sepp Zuckerstätter, Lohnexperte der Arbeiterkammer Wien, und verweist darauf, dass der Mindestlohn für ungelernte Arbeitskräfte im Handel bei 1.500 Euro brutto liege. „Allerdings reden wir von einem Superstarmarkt. Niemand spielt wegen 2.000 Euro Profifußball, sondern in der Hoffnung, einmal ein Vielfaches zu verdienen“, so Zuckerstätter. Wobei sich die rund 600 österreichischen Berufskicker in diesem Bestreben einer erheblich höheren Konkurrenz ausgesetzt sehen als früher. Der aufgerüstete Nachwuchsbetrieb mit zwölf Akademien produziert deutlich mehr Spieler als noch vor zehn Jahren. Und der Prozess hin zum vielzitierten Ausbildungsland ist ins Stocken geraten. Denn die Zahl österreichischer Fußballer, die ins Ausland wechseln, stagniert. Quotenregelungen wie jene aus der Ersten Liga, die vier Spieler unter 22 Jahren auf dem Spielbericht vorschreiben, befeuern die kritische Arbeitsmarktsituation noch weiter.
„Gerade für die Altersgruppe darüber, die sich noch nicht voll im Profigeschäft etabliert hat, ist die Situation extrem schwierig, weil jedes Jahr zahlreiche jüngere und billigere Akademieabgänger in den Arbeitsmarkt drängen“, sagt Oliver Prudlo. Die Neuauflage des VdF-Camps 2015, über die nach einer Evaluierung durch das Sozialministerium entschieden wird, hält der Spielergewerkschafter schon allein deshalb für unentbehrlich, weil die Fußballer dabei für ihre Situation sensibilisiert würden und über den Projektpartner „KADA – Karriere danach“ auch Knowhow in Sachen Ausund Weiterbildung erhalten.
Augen auf – auch in den Verbänden
Auch auf der Stirn von Paul Gludovatz bilden sich Falten, wenn er an die Arbeitsbedingungen im heimischen Profibetrieb denkt. Für den langjährigen Trainer sind Fußballer in Österreich zwar nicht grundsätzlich armutsgefährdet, er sagt aber auch: „Wenn ein Spieler 1.100 brutto verdient, dann lässt sich damit kaum ein Lebensunterhalt bestreiten, auch wenn viele dieser Jungprofis noch studieren und von ihren Eltern unterstützt werden.“ Umso wichtiger sei es, dass sich Fußballer frühzeitig Gedanken über die eigene Zukunft machen. „Vielen Talenten werden die Augen zugeklebt. Aber sie müssen sich schon vor der Unterschrift unter ihren ersten Vertrag überlegen, was sie nach ihrer Karriere tun wollen“, sagt Gludovatz.
Der ehemalige ÖFB-Trainer nimmt aber auch die Entscheidungsträger in den Verbänden und den Vereinen in die Pflicht. Man müsse den Profigeschäft realitätsnäher gestalten und sowohl die Anzahl der Vereine als auch der Akademien reduzieren, fordert Gludovatz. „Die wirtschaftliche Situation der Vereine wird sich in den nächsten Jahren nicht grundlegend verbessern. Von daher wäre es sinnvoll, den Profibetrieb für die Erste Liga, wie er aktuell zumindest auf dem Papier besteht, zu überdenken.“
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