Lagerkoller
DOSSIER. Hermann A., 46, hatte schon viele Jobs, aber nur wenige für länger. Seit über 20 Jahren pendelt er zwischen Leihfirmen, AMS und Arbeitslosigkeit. Und entspricht damit jenen Lebensläufen, die besonders armutsgefährdet sind. Text: Gunnar Landsgesell
Eigentlich ist Hermann A. (Name geändert) ausgebildeter Gärtner. Die Gesellenprüfung hat er 1989 in der Donaustadt abgelegt, musste aber nur zwei Jahre später wegen wiederkehrender Hüftschmerzen eine körperlich weniger fordernde Arbeit suchen. Er meldete sich beim AMS, da war Hermann 23 Jahre alt. Schließlich bewarb er sich bei der Supermarktkette Merkur und wurde Lagerarbeiter. Zeitweise fuhr er mit dem Gabelstapler, auch wenn er keinen Führerschein hatte. Das sei kein Problem, sagte ihm der Chef, er solle nur ein bisserl aufpassen. Nach fünf Jahren kam es zu Kündigungen im Unternehmen, Hermann traf es auch. Kurz darauf ließ er sich bei einer Leiharbeitsfirma registrieren, „Amigo oder so ähnlich hat sie geheißen“, sagt Hermann. Dort vermittelte man ihn als Stapelfahrer, er erhielt einen Job bei Milchfrisch (Nömix). Aber nur für eine Woche, als Aushilfe, dann war schon wieder Schluss.
Den Staplerschein hatte Hermann damals bereits auf eigene Kosten, um 2.000 Euro in einer Fahrschule gemacht. Nach der Kündigung ließ sich Hermann aus der Kartei der Zeitarbeitsfirma wieder streichen. Die nächste Stelle hatte er sich wieder selbst gesucht: als Handelsarbeiter bei einem anderen Supermarkt. Nun war Hermann Akkordarbeiter, stand bei der Flaschenausgabe und spürte die Schmerzen in der Hüfte. Ein halbes Jahr später kündigte er selbst. Die Hüften und auch ein Kollege machte ihm zu schaffen. Der frühere Läufer, der bei den Österreichischen Meisterschaften unter die vorderen Ränge lief, meldete sich wieder beim AMS. Dann kam der nächste Job, 1996, bei Meinl. Den hatte er auch auf eigene Initiative gefunden, wie er betont. Hermanns Arbeit bestand darin, Waggonladungen am Großgrünmarkt im Zentrallager zu entladen. Paletten und Getränke schlichten, Waren dem Stapler zuführen. „Das war schwere Arbeit, man musste auch schnell sein“, sagt Hermann. „Aber ich habe mich mit den Kollegen gut verstanden.“ Im Mai 1999 kam es auch hier zu einer Kündigungswelle, Rewe hatte die Firma übernommen. Abfertigung erhielt Hermann keine, ein paar Monate fehlten ihm auf die dafür nötigen 3 Dienstjahre. Wieder AMS.
Diesmal vermittelte ihn das Job-Service. Im Sommer begann Hermann bei Marchfeld Gemüse in Raasdorf im Lager, doch schon bald holten ihn die Schmerzen ein, diesmal heftig. Er ging in Krankenstand, schließlich wurde seine Tätigkeit beendet. Knapp 11.000 Schilling hatte er verdient, das fand er „nicht schlecht“. „Ich war als Arbeiter gemeldet, nicht als Angestellter. Das ist für die Firma billiger“, erklärt Hermann, ohne der Firma einen Vorwurf zu machen. Wieder das AMS. Anfang 2000 begann er bei Möbel Ludwig als Vollzeitkraft, im Lager chauffierte er einen sensorgeleiteten Hochstapler. Er führte die Möbel vom LKW zu den Regalen, die 8 bis 10 Meter hoch ragen. Die Hüftschmerzen begleiteten ihn auch hier, nun sollte der junge Mann aber endlich operiert werden. Mit einem neuen Hüftgelenk ging es in die Rehab am Zicksee, danach wieder zum AMS. Die erste echte Durstrecke. Fast ein Jahr fand Hermann keine Arbeit. Die Zeiten waren härter geworden. 2001 meldete er sich schließlich bei Trenkwalder – Leiharbeit, wenn nichts mehr ging. Trenkwalder ist ein großes Unternehmen, hat heute 55.000 MitarbeiterInnen und wurde 2014 zum „Recruiter des Jahres“ gekürt. Auf der Website heißt es: Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt. Hermann A. vermittelte Trenkwalder 2001 zur Mülltrennung. Dort arbeitete er ein paar Tage am Fließband, dann wurden die Leihkräfte nicht mehr gebraucht.
Als nächstes verlieh man Hermann an die Firma Welpa, dort schredderte er Kartons, schlichtete Wellpappe. Ungefähr 9.000 Schilling verdiente er, das war ganz ok, sagt Hermann. Davon konnte man leben. Tankgutscheine gab es damals auch, viele Leihfirmen vergaben die, schließlich mussten die Leute zu ihren Arbeitsstellen fahren. Wer bei Leihfirmen arbeitet, sagt Hermann, erhält keine Pendlerpauschale. Heute habe sich das mit den Tankgutscheinen auch aufgehört. Bei Welpa konnte der mittlerweile 33-Jährige schließlich einige Jahre direkt angestellt arbeiten, dadurch verdiente er etwas mehr. Als auch dort Leute gekündigt wurden, fand sich Hermann ohne große Hoffnungen wieder beim AMS ein. „Das AMS“, sagt Hermann, „hat oft nur Stellen vermittelt, die nicht machbar waren. Zu weit weg oder ganz schlecht bezahlt, im Lager oder zur Feldarbeit bei Bauern.“ Auch diesmal verhalf ihm nicht das AMS, sondern eine neue Leihfirma, TTI, zu einem Job. 2006 begann er bei Frisch & Frost im 22. Bezirk, wo es gefrorene Teigwaren abzupacken galt. „Dort, wo wir waren, war es kühl, aber nicht kalt. Wir mussten weiß angezogen sein, Handschuhe und Plastikmützen tragen.“ Hermann hatte die Teigwaren, die falsch lagen, vom Fließband wegzunehmen und anders zu sortieren. 8 Stunden dauerte so ein Tag, dafür erhielt er rund 1.000 Euro netto. Die Arbeit empfand der ausgebildete Gärtner und langjährige Lagerist als belastend: „Dafür muss man geeignet sein. Man kann kaum an etwas anderes denken, wenn das so schnell geht. Das Radio spielte, sich mit KollegInnen zu unterhalten war aber kaum möglich. Als er mit einem Container gegen eine Mauer fuhr und sich einen Finger brach, ging er in Krankenstand. Die Leihfirma verzichtete in der Folge auf seine Arbeitskraft und strich ihn von ihrer Liste. „Sie meinten, sie können mich nicht so lange im Krankenstand behalten, wegen der Krankenkosten, weil sie dann ja draufzahlen würden.“
Weitere Stationen folgten: In einem Gastro-Lager 2006, wo die Leiharbeiter nach drei Monaten gekündigt wurden, als man sie nicht mehr brauchte. Im Jahr 2007 als Prospektverteiler in Wien, Strasshof und Gänserndorf, ein Job, den das AMS vermittelt hatte. Dort erhielt er die Kündigung, weil man mit seiner Arbeit unzufrieden war. Hermann ging drei Mal vor Gericht, konnte aber nichts ausrichten, die Angestellten hielten zum Chef. Mit den monatlich 1.000 Euro war Hermann aber zufrieden gewesen. Danach verordnete ihm das AMS Simmering einen EDV-Lagerkurs, 2009 einen weiteren. Noch einmal fand er kurz Arbeit, bei der Baumarktkette BauMax, die zuletzt in Insolvenz ging. Seit damals bezog Hermann immer wieder Notstandshilfe. Ein Tagsatz zu 17,90 Euro ergibt zwischen 500 und 560 Euro monatlich. Die Bezirkshauptmannschaft zahlt dazu, was auf die 814 Euro Mindestsicherung für eine Person fehlt. Jobs über Leihfirmen hatte er zuletzt keine mehr bekommen. Sie setzen auf jüngere Arbeitskräfte, erzählt er. Leute ab 35 Jahren würden nicht so leicht unter Vertrag genommen. Hermann ist heute 46 Jahre alt. Im Sommer hat er sein zweites künstliches Hüftgelenk bekommen. Arbeiten möchte er so bald wie möglich. „Das bringt Freude im Leben, man denkt nicht so über Probleme nach. Was nützt es, den ganzen Tag CDs zu hören, wenn man frustriert ist?“ Sein Jobwunsch: eine Arbeit, bei der man sitzt und ein bisschen steht. Etwas am Computer, etwas, wo man sich wohlfühlt. Bis dahin ist der Finanzplan eisern. Schokolade ist Luxus, Fleisch und Eier gibt es ein bis zweimal die Woche. Die nächste Arbeit kommt bestimmt, meint Hermann. Diesmal vielleicht wieder länger.
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